Die Bundeswehr ist seit 2001 in Afghanistan aktiv. Die „Friedensmission“ am Hindukusch zielte darauf ab, in diesem fremden Kulturraum Aufbauarbeit zu leisten und demokratische Strukturen zu etablieren. Die Realität sah bald anders aus: die zumeist jungen, unerfahrenen Soldaten fanden sich zunehmend in Kriegssituationen wieder. Auch in dem Fernsehfilm „Auslandseinsatz“ sieht der Zuschauer junge Männer, die mit westlicher Haltung und „überzogenen“ Erwartungen an ihren Einsatz in Afghanistan herangehen. Sie geraten in Situationen, in denen sie rasch handeln müssen, und in denen ihnen ihre eigene Moral oft etwas anderes abverlangt, als es die Regeln der Bundeswehr zulassen. Gut gemeinte Hilfsprogramme verwandeln sich schnell in ihr Gegenteil. Ein (politischer) Widerspruch jagt den nächsten – und die Soldaten müssen diese Situation aushalten.
Die Freunde Daniel und Ronnie sowie Emal, ein gebürtiger Afghane mit deutschem Pass, alle drei Mitte 20, gehören zu einem kleinen Trupp von Zeitsoldaten, die in dem entlegenen Dorf Milanh eine Schule wiederaufbauen sollen. Dort treffen sie nicht nur auf die Entwicklungshelferin Anna, sondern gewinnen auch Einblick in das komplizierte Leben in diesem Dorf zwischen den Fronten. Sie lernen den Malik des Ortes kennen, der seine Bewohner schützen muss, und seine Tochter, der von den Taliban zwei Finger abgeschnitten wurden, weil sie sich wagte, ihre Nägel zu lackieren. „Weshalb dürfen Mädchen nicht zur Schule gehen?“ wird da zur rhetorischen Frage. „Der Malik Jamil repräsentiert jene Afghanen, die die Taliban ermorden werden, wenn sich die NATO-Truppen in zwei Jahren aus Afghanistan zurückziehen“, betont Autor Holger Karsten Schmidt. Die Angst ist deshalb allgegenwärtig – und alle haben Ansprüche an den Malik und die Bewohner des Dorfes: Warlords, Taliban, die deutschen Jungs, die US-Truppen. Als ein Sohn des Malik beim Ziegenhüten brutal erschossen wird, um eine amerikanische Operation nicht zu gefährden, wird das als „Kollateralschaden“ abgetan. Daniel hat sich mit „Demokratie“-Floskeln und den Bundeswehr-Vorschriften den Einsatz lange Zeit schön geredet. Seine Zweifel wachsen, dennoch gilt für ihn noch immer die oberste Regel des Einsatzes: „keine Einmischung in die internen Angelegenheiten der Afghanen“. Ronnie dagegen, der zwischen Allmachtsgefühlen, Resignation und anarchistischer Wut hin- und hergerissen ist, fordert nach einer brutalen Entführungsaktion der Taliban zum Eingreifen auf. Auch Emal ist auf seiner Seite. Wird sich auch Daniel hinreißen lassen und gegen den Befehl seines Hauptmanns handeln?
Foto: WDR / Grischa Schmitz
Man spürt die Anspannung der jungen Soldaten in jedem Bild. Der Körper starr, die Stimme zittert. Die Angst versteckt sich hinter Posen und coolen Sonnenbrillen. Bei dem einen folgt nach dem ersten überraschenden Schusswechsel der Rausch über die Heldentat („weggeputzt“), bei dem anderen meldet sich das Gewissen, weil ein Mädchen, das in die Feuerlinie geriet, getötet wurde. „Auslandseinsatz“ folgt gleichermaßen der Realität einer solchen Bundeswehr-Mission und einem Erkenntnisprozess: Ankommen in Afghanistan, erste Bewährungsproben, das Fremde zu verstehen versuchen, Überdenken der eigenen Erwartungen. Nach einer knappen Stunde spitzt sich dann die Lage zu. Die jungen Wilden mucken auf. Blinder Aktionismus ersetzt blinden Gehorsam. Holger Karsten Schmidt setzt auf einen realistischen Akt der Gewalt mit konsequent schmutzigem Ende, von Regisseur Till Endemann verpackt in eine Hochspannungssequenz erster Güte. So viel Physis war selten in einem deutschen Fernsehfilm. Die private Geschichte findet einen Endpunkt, die politische Geschichte logischerweise nicht. „Es gibt gute Gründe für und gegen den Einsatz – und das bedeutet, dass keine der beiden Positionen komplett und ausnahmslos richtig sein kann“, gibt Autor Holger Karsten Schmidt zu bedenken. Und die Produzentin Heike Wiehle-Timm geht noch weiter: „Jede der im Film gezeigten Entscheidungen ist kritisierbar und angreifbar.“
„Auslandseinsatz“ ist der erste deutsche Fernsehfilm, der sich an Ort und Stelle mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auseinandersetzt. Der Film sollte nicht – wie andere Produktionen – die seelischen Auswirkungen auf die weitgehend überforderten jungen Männer nach der Rückkehr in die Heimat zeigen, sondern sie hautnah mit den Problemen vor Ort konfrontieren. Politik und Psyche waren gleichermaßen gefragt. Der Film meistert diese Gratwanderung auf sehr überzeugende Weise. Schmidt wollte kein Telekolleg zum Thema Auslandeinsatz der Bundeswehr abliefern – und er hat doch die wichtigsten Aspekte des Afghanistan-Dilemmas in die spannende Handlung hineingeholt. Die Schauspieler, allen voran Max Riemelt, nehmen den Zuschauer an die Hand, führen ihn durch die Fremde, durch das unwegsame Gelände eines im deutschen Fernsehen nicht existenten Genres. Der etwas ausgestellte Gegensatz zwischen den beiden Freunden ist dem Prinzip Spielfilm geschuldet – das einzige Moment, in dem der Autor etwas didaktisch verfährt. Doch Hanno Koffler spielt Raubein Ronnie so überzeugend in seiner anfangs unsensiblen Großkotzigkeit, sodass dieser Typus Soldat an Eigenständigkeit gewinnt. Fazit: „Auslandeinsatz“ ist ein ebenso authentisches wie packendes Kriegsdrama, das Psychologie, Politik und das Physische, ohne das auch ein TV-Film heute nicht mehr funktioniert, in ein ideales Spannungsfeld bringt.