Marie Aldenhoven ist jung und erfolgreich. Die Erbin einer noblen Berliner Privatbank hat einen nicht minder erfolgreichen Ehemann, einen Wachmann als Geliebten und doch kennt sie vor allem nur ihre Arbeit. Als sie wieder mal eine dieser langen Abende im Büro verbringt, beobachtet sie durch die Glasfront der gegenüberliegenden Büros eine Gewalttat. Ein Mann ringt mit einer aufgebrachten Frau. Sie stürzt zu Boden. Die Bankerin kann den „Mörder“ nur schemenhaft erkennen. Vorsichtig löscht sie das Licht. Zu spät, der Täter hat sie gesehen.
Eine klassische Thriller-Situation. Eine Frau wird Augenzeuge eines Mordes. Doch es gibt weder eine Leiche noch irgendwelche Spuren. Drei Lösungen fallen einem ein. Variante 1: Der Mord ist tatsächlich passiert, doch niemand will ihr glauben. Variante 2: Die Frau ist überarbeitet, seelisch labil, sie sieht Gespenster. Variante 3: Jemand will sie loswerden, vielleicht sogar der, der ihr vermeintlich am nächsten steht. Die Autorinnen Katharina Hajos und Constanze Fischer kennen das Genre – und sie wissen, dass man im Fernsehen, wo das Budget der Inszenierung und dem Stilwillen Grenzen setzt, mit dem Plot klotzen muss. Also mixen sie für „“Augenzeugin“ alle drei Varianten zu einem Thriller-Cocktail. Und wie viele Cocktails sieht dieser gut aus, ist cool im Auftakt, dafür etwas penetrant im Abgang.
Die Autorinnen geben zu, dass sie bei der Stoffentwicklung „natürlich“ an Filme wie „Das Fenster zum Hof“, „Vertigo“ oder „Sliver“ gedacht haben. Das hat nicht Ehrenrühriges. Nur wer die Klassiker des Genres kennt, dürfte in der Lage sein, sich eine zeitgemäße Variation der ewigen Thrillermotive Liebe und Verrat, Sehen und Verdrängen, Ohnmacht und Bedrohung auszudenken. Gerade weil der Film mit nur drei Hauptfiguren dramaturgisch sehr eng, fast wie ein Kammerspiel geführt wird, sind die Varianten absehbar. Zwar gerät die Heldin zunehmend in den Strudel ihrer tragischen Vergangenheit, doch als „der Böse“ kommt nur einer ihrer beiden Männer in Frage. Dass der Film bei dieser Ausgangslage dennoch lange Zeit interessant bleibt, liegt neben dem konsequenten Spiel mit Blicken und postmodernen Oberflächen an der unterkühlten Hauptfigur, die außer ihrem Blond- und Schönsein so gar nichts besitzt von dem, was weibliche Helden für gewöhnlich im deutschen Fernsehen haben.
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Die Hitchcock-Damen standen Pate. „Außen Eis, innen heiß“, hieß des Meisters Devise bei den Rollen für Grace Kelly, Tippi Hedren oder Kim Novak. Rike Schmids Marie lässt trotz Affäre wenig erahnen von ungezügelter Leidenschaft. „Weil sie psychisch in einer sehr labilen Verfassung ist, ist die Bank das einzige, an das sie sich in ihrem Leben festhalten kann“, umschreibt die Schauspielerin ihre Figur, „so muss sie sich keine Gedanken darüber machen, wie es in ihrem Inneren aussieht.“ Maries Coolness ist ein Spiegel ihrer Seele. „Ihre Seele ist ein dunkler Fleck, sie kann nur funktionieren nicht fühlen, sie leidet unter Amnesie, hat keine eigene Geschichte.“ Rike Schmid, die bislang sowohl mit Seichtem wie „Der Fürst und das Mädchen“ als auch mit Arthaus-Produktionen wie „Baal“ oder „Wir“ angenehm auffiel, die erfahrenen Kollegen Herbert Knaup und Benjamin Sadler an die Seite zu stellen, erweist sich als bessere Wahl als zunächst vermutet. So spielt Knaup zwar mit seinem „Feind in meinem Bett“-Image – seine sardonisch gekräuselten Augenbrauen kommen aber nur sehr zaghaft zum Einsatz. Sadler indes spielt wie in „Contergan“ den Verständnisvollen – doch auch sein Ex-Polizist hat eine veritable Leiche im Keller. (Text-Stand: 25.2.2008)