Wer an einem Werktag in der Großstadt mit dem Auto unterwegs ist, fährt in der Regel nicht spazieren; alle wollen von A nach B, und zwar so schnell wie möglich. Einer muss Pakete ausliefern, eine andere hat den wichtigsten Termin ihres Lebens, ein Vater will seine Tochter in der Kita abholen, eine Frau ist mit Wehen auf dem Weg ins Krankenhaus. Diese Menschen und noch einige mehr haben eines gemeinsam: Sie kommen nicht weiter, denn die Straße ist blockiert; eine fünfköpfige Gruppe will darauf aufmerksam machen, dass viel zu wenig gegen den Klimawandel getan wird. Damit bei einem Notfall Platz für einen Krankenwagen bleibt, haben sich allerdings nicht alle auf dem Asphalt festgeklebt.
Foto: ZDF / Bernd Schuller
Der clevere Titel „Aufgestaut“ bezieht sich nicht allein auf die Straßensperre: Einige der Betroffenen scheinen nur auf ein Ventil für ihre Wut gewartet zu haben. Verschiedene Reportagen haben dokumentiert, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ zum Teil erschreckend aggressive Reaktionen auslösen. Ein besonders zorniger Porschefahrer (Wayne Carpendale) rastet zwar aus, belässt es jedoch zum Glück bei Beleidigungen; in der rauen Wirklichkeit müssen die „Klimakleber“ durchaus mit Handgreiflichkeiten rechnen. Am Beispiel einer jungen Frau, deren Auto bloß gemietet ist, weil sie mit ihrem Cello auf dem Weg zum Konservatorium ist, verdeutlichen Matthias Thönnissen und Zarah Schrade (Buch und Regie) die Ambivalenz vieler Menschen: Ava (Nadja Sabersky) hat ein Vorspiel, das über ihre Karriere als Orchestermusikerin entscheidet. Eigentlich unterstützt sie Aktionen wie diese, aber heute passt es gar nicht.
„Aufgestaut“ ist Teil der „Instant Fiction“-Initiative des ZDF. Diese Produktionen werden mit wenig Aufwand und in kurzer Zeit umgesetzt; so kann auch fiktional vergleichsweise rasch auf aktuelle Ereignisse reagiert werden. Unter der Prämisse haben Thönnissen und Schrade bereits „Schlafschafe“ (2021) gedreht; in der tragikomischen Serie mit Daniel Donskoy und Lisa Bitter muss ein Mann damit klarkommen, dass seine Frau während der Corona-Pandemie zur radikalen Anhängerin einer Verschwörungserzählung wird. Donskoy wirkt auch diesmal mit: Polizist Wuttke hat keine Lust mehr auf solche Einsätze, zumal es ihm beim Versuch, den einzigen nicht festgeklebten Teilnehmer von der Straße zu tragen, in den Rücken fährt. Dann muss er auch noch neues Speiseöl besorgen, um den Sekundenkleber aufzulösen. Prompt solidarisiert sich der Spätkauf-Verkäufer mit der Gruppe und verlangt einen Wucherpreis.
Foto: ZDF / Bernd Schuller
Die sechs als Fortsetzungsgeschichte angelegten, aber binnendramaturgisch konzipierten Episoden dauern im Schnitt fünfzehn Minuten und folgen dem Erzählprinzip „Gesichter in der Menge“: Scheinbar willkürlich werden in jeder Folge ein oder zwei Beteiligte herausgepickt, weshalb die Erzählperspektive ständig wechselt; zum Beispiel zu Lew (Nicolas Garin), dem russischen Paketboten, der von seinem Smartphone regelmäßig über den aktuellen Stand seines Zeitbudgets informiert wird. Er steht unter permanentem Druck, wird am Ende aber dennoch zum unbesungenen Helden des Tages, wobei eine Plastikschere aus einer Kinderzeitschrift eine besondere Rolle spielt. Über die Hintergründe der Menschen offenbart die Serie nur wenig, wie das eben so ist bei flüchtigen Begegnungen, aber die Informationen genügen, um sich eine Biografie denken zu können: Der junge Mann aus dem Späti heißt Paul (Ben Andrews Rumler) und braucht dringend Geld, damit sich sein Bruder in Ghana eine neue Wasserpumpe für seine Erdnussplantage kaufen kann. So schlägt die Serie den Bogen von unserem Lebensstandard, den wir nicht einschränken wollen, zu jenen, die von der Erderwärmung ungleich stärker betroffen sind.
Zwischendurch wird es auch mal unverhofft witzig. Finn (Adrian Grünewald) hat sich zum ersten Mal festgeklebt, und das auch noch mit beiden Händen. Aber erst mal hat er ein anderes Problem. Zum Glück kommt sein Opa (Daniel Friedrich) vorbei. Der alte Herr, Richter a.D., ist schockiert, dass der Jurastudent mit einer Verhaftung eine ähnliche Laufbahn aufs Spiel setzt, aber er will natürlich nicht, dass sich sein Enkel in aller Öffentlichkeit in die Hose pinkelt. Die kleine Heiterkeit bleibt jedoch die Ausnahme, zumal sich kurz drauf eine Wackersdorf-Veteranin (Franziska Walser) zu der Gruppe gesellt: Margot will die Bevölkerung mit einem Fanal aus ihrer Bequemlichkeit reißen; und jetzt wird es dramatisch.
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