Eine Hausfrau vom Lande macht Nägel mit Köpfen in Sachen Emanzipation
„Herzlichen Glückwunsch, Frau Gerlach.“ Die Metzgersfrau vom Lande kann sich allerdings so gar nicht freuen über die Nachricht, dass sie zum vierten Mal Nachwuchs bekommt. Die Arbeit im Laden, der Haushalt, die drei Kinder sind für Erika (Anna Schudt) jetzt schon kaum zu schaffen. Also verschweigt sie ihrem Mann Kurt (Christian Erdmann) die Schwangerschaft und entscheidet sich schweren Herzens für eine Abtreibung bei einem Kurpfuscher in Köln. Es gibt Komplikationen, eine Not-OP rettet ihr das Leben, und die Beziehungen ihrer jüngeren Schwester Charlotte (Alwara Höfels) ersparen ihr den Knast. Umso größer sind die Vorwürfe ihres Mannes. Er fühlt sich hintergangen, aber er spürt offensichtlich auch, dass ihm die Felle langsam davonschwimmen. Die Ehekrise erfährt ihren Höhepunkt, nachdem Kurt endgültig entschieden hat, dass Tochter Rieke (Lene Oderich) nicht das Gymnasium besuchen darf. Noch einmal brüllt er sie an, sie brüllt zurück – und ist mit den Kindern weg. Was als Warnschuss für Kurt gedacht war, bekommt eine Eigendynamik, als dieser sich einem klärenden Gespräch mit Erika verweigert. Und so bleibt sie mit ihren Kindern in der Kölner WG ihrer Schwester wohnen und macht Nägel mit Köpfen: Sie sucht sich einen Job, meldet ihre Große im Gymnasium an, und sie engagiert sich sogar mehr und mehr in der Frauenbewegung und kämpft mit Charly für eine straffreie Abtreibung. Ihr gekränkter Mann will das nicht hinnehmen und strengt einen Sorgerechtsprozess gegen sie an, bei dem sie die deutlich schlechteren Karten hat. Wird sie ihrer Kinder wegen zu ihm zurückkehren?
Geschickt ist der Plot um die 71er-Stern-Story „Wir haben abgetrieben“ herum gebaut
„Aufbruch in die Freiheit“ erzählt vom erwachenden Emanzipationsbestreben einer Ehefrau aus der Provinz, Anfang der 1970er Jahre, und von den schmerzhaften Nebenwirkungen, die ihr Weg zu mehr Selbstbestimmung für sich und ihre Familie mit sich bringt. Der ZDF-Fernsehfilm erzählt am Rande auch ein Stück bundesdeutscher Frauenbewegung mit: Als dramaturgisch glänzend erweist sich die Idee, die Geschichte dieser Frau, „eine allseitig reduzierte Persönlichkeit“, herumzubauen um die für die Abschaffung des §218 so wichtige „Stern“-Story von 1971, „Wir haben abgetrieben“. Dadurch bekommt die private Geschichte einen politischen Überbau, wird Familie auf den gesellschaftlichen Horizont der Zeit gehoben. Die fiktive Erika Gerlach ist am Ende sogar auf jenem legendären Titel fast(!) zu sehen: die Schriftbanderole soll sie angeblich verdecken, diese eine von 374 mutigen, teils prominenten, teils nicht prominenten Frauen, die sich zu ihrer Abtreibung bekannten oder jedenfalls solidarisch behaupteten, diese Straftat begangen zu haben. Die WG der Schwester zu einem aktivistischen Zentrum dieser Kampagne zu machen, auch das ist eine gute Drehbuchidee, genauso gut, sie nicht ausufern zu lassen. So bleibt der politische Zeitgeist im Spiel, kann der Film auch ein Stück weit als Hommage an die feministischen Kämpferinnen der ersten Stunde gesehen werden – im emotionalen Zentrum aber steht einzig und (nicht!) allein die Hauptfigur, eine verheiratete Frau, die in ihrem Leben etwas Grundlegendes ändern will.
In der Mitte des Films muss die Heldin schmerzlich feststellen, wie abhängig sie von ihrem Mann ist und in was für eine Lage sie sich als Ehefrau hineinmanövriert hat: „Ich stehe da wie ein Idiot. Ich habe mein Leben lang gearbeitet, ich habe drei Kinder, und ich habe gar nichts. Ich habe kein eigenes Geld, ich habe keine Ausbildung, ich habe kein Zeugnis, ich habe einfach überhaupt nichts.“
„Wir haben nach einem glaubwürdigen Look gesucht. Wir wollten keine Ausstattungs-Ikonen der 70er Jahre ausstellen, sondern die Zeit beiläufig miterzählen.“ (Heike Wiehle-Timm, Produzentin)
„Aufbruch in die Freiheit“: Es geht um einen Neuanfang, eine neue Kommunikation
Diese Fokussierung auf diese eine Frau ist auch in anderer Hinsicht bedeutsam für den Film. Denn es geht in diesem ZDF-Drama weniger um die Abrechnung mit einer verkrusteten, patriarchalischen Justiz (diese Kämpfe hat die 68er-Generation bereits die Jahre zuvor geführt), sondern um einen Neuanfang, um einen „Aufbruch in die Freiheit“. Selbst den Aktivisten um Erikas Schwester Charly geht es weniger um eine Grundsatzkritik am Staat, viel wichtiger für sie ist, was sie ihm abtrotzen können, damit der gelebte Alltag der Frauen in der Bundesrepublik ein deutlich besserer wird. Die konsequent subjektive Sicht der Erzählung hat auch Auswirkungen auf die Rezeption. Als Zuschauer kann man nachempfinden, was es 1971 für eine Frau hieß, abzutreiben oder mit seinen Kindern den Ehemann zu verlassen. Außerdem erfährt man am Schicksal der Heldin, wie eingeschränkt eine Ehefrau in jenen Jahren noch war: kein Beruf ohne Einverständnis des Gatten, und in Familienangelegenheiten (z.B. der Schulbesuch des gemeinsamen Kindes) verlangte das Gesetz die Unterschrift des Mannes. Die Autorinnen Andrea Stoll, Heike Fink und Ruth Olshan verzichten darauf, gesellschaftlichen Autoritäten (Ärzte) und Institutionen (Polizei, Gericht) allzu viel Raum zu geben. Wie die Gesellschaft damals tickte, jene konservative Denke ist eingeschrieben in die dörfliche Gemeinschaft, und sie steckt vor allem im Kopf von Erikas Ehemann. Und der wird trotz (zeittypischer) Brüllattacken erfreulicherweise nicht zum „Unmensch“, was sich auch darin zeigt, dass er die schweren Geschütze (sein Wissen um die Abtreibung und die Urkundenfälschung seiner Frau) vor Gericht nicht auffährt. Dieser Mann schreit oder er schweigt, weil er noch keine Sprache besitzt für die neuen Erfahrungen, die seine Frau macht und mit denen auch er sich auseinandersetzen muss. Auch die Heldin findet nur langsam die passenden Worte für ihre Bedürfnisse und ein gleichberechtigtes Miteinander.
Gute Unterhaltung ohne unnötige Buhmänner oder hölzerne Informationspassagen
Nicht nur für ZDF-Montagsfilm-Verhältnisse ist „Aufbruch in die Freiheit“ eine außergewöhnlich gute Produktion. Der Film versucht nie, zwanghaft so viele Punkte wie möglich von der politischen Zeitgeist-Agenda abzuhaken. Selbst als sich die Heldin anwaltlichen Rat sucht, folgt keine lautstark wertende Einführung in das herrschende Familienrecht. Und dass der für das Urteil entscheidende Passus („den Ehemann mit den Kindern böswillig verlassen“) nicht vor Gericht fällt, sondern dass ihn die eigene Anwältin vorbringt, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Film, keine unnötigen Buhmänner aufbauen möchte. Das Gesetz 1971 ist, wie es ist. Was allein zählt, sind die Konsequenzen für die Frauen. Indem der historische Gesamtrahmen im Film zurückgefahren und stärker das Engagement der Frauen betont wird, bietet diese vorbildliche Fernsehproduktion sicherlich dadurch auch leichter Anknüpfungspunkte für die aktuellen Machtstrukturen-Debatten. Es wäre dem Film zu wünschen, dass er mehr Erfolg beim Zuschauer haben wird als „Zarah – Wilde Jahre“ (2017) und „Eine wie diese“ (2015), die beiden vorangegangenen ZDF-Versuche, Emanzipationsgeschichte fiktional und unterhaltsam zu erzählen.
Eine dezente historische Zeichensprache & ein preiswürdiges Spiel von Anna Schudt
Der hoch emotionale Ansatz könnte den Unterschied machen. Außerdem ist die Besetzung geradezu perfekt: Da ist Sonnenschein Alwara Höfels („Sturköpfe“) als nicht auf den Mund gefallene Kämpferin für Frauenrechte und als Emanzipationscoach für ihre beziehungspolitisch zurückgebliebene Schwester, und da ist Christian Erdmann („Nur eine handvoll Leben“) als Gegenspieler von der wütenden, traurigen und larmoyanten Gestalt, der die Seventies-Koteletten schön hat und den Zwiespalt, in dem auch seine Figur steckt, stimmig zum Ausdruck bringt. Dieser Kurt schwankt zwischen letzten autoritären Zuckungen und verstecktem Stolz auf seine Frau, als sie ihm die „Stern“-Ausgabe vom 6. Juni 1971 zum Lesen gibt. Für die emotionalen Höhepunkte des Films sorgt Hauptdarstellerin Anna Schudt („Ein Schnupfen hätte auch gereicht“). Erika möchte das Neue wagen, hängt aber noch am Alten. Die Geschichte wird durch diese Figur, ihr Dilemma, lebendig, oft reicht ein Blick in das Gesicht der Schauspielerin, die auch im „Tatort“ durch ihr beiläufiges Spiel besticht. Man sieht bei ihrer Erika Angst, sehr fein nuanciert, man sieht Unsicherheit, Leere, Schmerz, und für die Dorfbewohner hat sie ein eingefrorenes Lächeln parat. Mal sagt sie nichts, mal reagiert sie und schreit wie ihr Mann, dann versucht sie es mit Reden, ein Kloß im Hals, sie muss es noch üben, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren. Und dann entspannen sich zwischendurch Schudts Gesichtszüge und ein Lächeln huscht über ihre Wangen, als sich Erika beispielsweise den Sticker mit der Aufschrift „Mein Bauch gehört mir“ an die Bluse heftet. Schudt trägt diesen Film von der ersten bis zur letzten Minute. Sie bringt uns diese gut erzählte, von Isabel Kleefeld unaufgeregt und mit einer dezenten historischen Zeichensprache inszenierte Geschichte nahe. Schudts Spiel ist beeindruckend und absolut preiswürdig.