Kaum ein Lied beschreibt den Schmerz der ersten Liebe so gut wie „The First Cut Is The Deepest“ von Cat Stevens: „Ich hätte dir mein ganzes Herz gegeben, aber es gibt da jemanden, der es zerrissen hat.“ In der romantischen Komödie „Auf einmal war es Liebe“ erklingt der Song kein einziges Mal, doch das Gefühl ist ständig präsent: Vor sieben Jahren hat sich Marie (Julia Hartmann) von Jakob (Kostja Ullmann) getrennt. Die beiden hatten eine klassische Sandkastenbeziehung, aber irgendwann genügte es Marie nicht mehr, dass der antriebs- und ehrgeizlose Jakob vom Leben nicht mehr erwartete als ihre Liebe. Nun ist Marie wieder da und stellt zu ihrer großen Verblüffung fest, dass sich Jakob anscheinend grundlegend gewandelt hat: Er ist vielbeschäftigter Fotograf mit Aufträgen in der ganzen Welt und lebt in einem teuer eingerichteten Loft. Angesichts ihrer unglücklichen Ehe ist die verschmähte Jugendliebe plötzlich wieder eine attraktive Option. Jakob könnte am Ziel seiner Wünsche sein, aber es gibt ein gewaltiges Problem, und das ist nicht mal die Tatsache, dass er angeblich verheiratet ist: Das Dasein, das Marie so beeindruckt, ist das Leben seines Nachbarn. Jakob hat bloß die Pflanzen gegossen, weil der Fotograf im Ausland ist; er selbst hat einen nicht besonders fordernden Job in der Spielzeugabteilung eines Hamburger Kaufhauses, lebt immer noch in der zwar kuscheligen, aber von Marie verachteten Ein-Zimmer-Wohnung und ist haargenau der gleiche Schluffi wie vor sieben Jahren.
Wie bei vielen guten Geschichten ist der Kern von „Auf einmal war es Liebe“ ganz einfach: Jakob nutzt die Gelegenheit und schlüpft in die Identität eines Anderen, um seine Verflossene zurückzuerobern. Normalerweise würde die Spannung nun aus der Frage resultieren, wie er aus der Nummer wieder rauskommt, denn irgendwann wird der Schwindel ja auffliegen. André Erkau (Buch und Regie) geht jedoch ganz anders vor, denn plötzlich gibt es – von seiner Mutter (Angela Roy) mal abgesehen – eine weitere Frau in Jakobs Leben. Als „love interest“ kommt die alleinerziehende flippige Lotte (Kim Riedle) zwar offenbar nicht in Frage, aber als sie vorübergehend aus ihrer Wohnung muss, bietet Jakob ihr das Loft des Nachbarn an. Marie gegenüber gibt er die Kollegin aus der Parfümabteilung als seine Frau aus, mit der ihn nur noch eine Freundschaft verbinde.
Foto: Degeto / Christine Schröder
Sämtliche nur denkbaren romantischen Verwicklungen sind alle schon mal erzählt worden, weshalb es praktisch unmöglich ist, das Genre neu zu erfunden. Trotzdem ist Erkau eine der liebenswertesten Romanzen des Fernsehjahres gelungen, zumal der Film immer wieder unerwartete Haken schlägt. Mindestens genauso entscheidend für die Qualität ist jedoch der warmherzige Humor der Geschichte, die nicht nur eine Hommage an die unergründlichen Wege der Liebe, sondern auch an die Freundschaft ist: Johannes Allmayer darf seiner Riege wunderlicher Gestalten eine weitere hinzufügen. Der Schauspieler war schon in Erkaus ersten Filmen „Selbstgespräche“ (2008) und „Arschkalt“ (2011) dabei; in „Arschkalt“ hat er den Typus Nervensäge, den er seither regelmäßig verkörpert, beinahe zur Perfektion gemacht. Hier spielt Allmayer einen etwas sonderbaren Kaufhausdetektiv. Er hat wortgetreu protokolliert, wie sein bester Freund damals Maries Flucht verarbeitet hat, konfrontiert ihn nun regelmäßig mit den Zitaten und willigt nur widerwillig in seine Pläne ein, sie zurückzugewinnen.
Die Handschrift des Drehbuchs erinnert an die kunstvoll komponierten Komödien von Sathyan Ramesh („Eine Nacht im Grandhotel“, „Vier sind einer zuviel“, „Kein Herz für Inder“), aber auch optisch setzt Erkau immer wieder markante Akzente (ein Kuss vor glitzerndem Großstadtpanorama). Mindestens so schön wie die Umsetzung und die herausragende Arbeit mit den Schauspielern sind die kleinen Ideen, mit denen viele Dialogszenen gewürzt sind. Als Marie im Kaufhaus auftaucht, taucht Jakob unter, und zwar im Bällebad. Was zunächst bloß wie ein witziger Gag wirkt, bekommt erst durch die Inszenierung einen ganz besonderen Charme. Von ähnlich verblüffendem Witz ist eine Verfolgungsjagd im Treppenhaus mit zwei Weihnachtsmännern. Außerdem wird die Handlung durch diverse Nebenschauplätze bereichert, denn auch der Kaufhausdetektiv Torsten, der alles im Griff zu haben glaubt, weiß plötzlich nicht mehr, wie ihm geschieht; und selbstredend schlummert in Jakob ein Potenzial, das geweckt werden will.
Soundtrack:
The Charlatans („The Only One I Know“), Stereophonics („Maybe Tomorrow”), T-Cheezy („Twelve Minutes Of Christmas”)
Erkau, der gegen Ende in einem Cameo-Auftritt als Nachbar zu sehen ist, kehrt mit der Komödie gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. „Selbstgespräche“ und „Arschkalt“, beide mit Mitteln des „Kleinen Fernsehspiels“ im ZDF entstanden, waren Komödien mit viel Tiefgang und das Versprechen einer großen Regielaufbahn. Anschließend hat er, ebenfalls sehenswert, zwei Kinofilme mit Wotan Wilke Möhring gedreht, „Mann tut was Mann kann“ (2012) und „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ (2013). Danach hat sich Erkau ein wenig in der Beliebigkeit des Fernsehalltags verloren. Weder „Tatort“-Beiträge wie „Wahre Liebe“ (Köln, 2014) oder „Schwanensee“ (Münster, 2015) noch die „Wolfsland“-Auftaktepisode „Ewig Dein“ haben nennenswerte Spuren im kollektiven Fernsehgedächtnis hinterlassen; „Liebe auf den ersten Trick“ (Sat 1, 2018) war eine sogar völlig witzlose Heiratsschwindler-Komödie. Umso besser ist ihm „Auf einmal war es Liebe gelungen“, zumal an diesem Film alles stimmt: das Tempo, der Witz, die kleinen Slapstickmomente; von den flott vorgetragenen komischen Dialogen ganz zu schweigen. Selbst eher wohlfeile Gags wie Jakobs Schluckauf in emotionalen Momenten wirken dank des sympathischen Spiels nicht aufgesetzt. Mit großem Geschick hat Erkau zudem verschiedene Wendungen von langer Hand vorbereitet: Schon früh ist zu ahnen, dass nicht nur die Minigolfanlage, auf der sich Jakob und Torsten regelmäßig tummeln, sondern auch eine mehrfach eingespielte Parfüm-Werbung noch eine spezielle Rolle spielen werden. Hoch anzurechnen ist Erkau zudem ein Verzicht: Die Komödie spielt in der Vorweihnachtszeit. Normalerweise besteht die musikalische Untermalung solcher Filme größtenteils aus Christmas-Pop; das ist hier zum Glück nicht der Fall. (Text-Stand: 7.11.2019)