Wenn man weiß, dass dieses herausragend Drama mit einem Suizidversuch beginnt, wirkt der Titel beinahe zynisch. Dem scharfzüngigen Sarkasmus der weiblichen Hauptfigur ist ohnehin kaum jemand gewachsen. Dennoch ist „Auf das Leben!“ eine Ode an die Lebensfreude; und das, obwohl die lebensmüde Heldin mehr Leid erfahren hat, als ein Mensch alleine aushalten kann. Der Kinofilm von 2014 erzählt von der jüdischen Sängerin Ruth Weintraub (Hannelore Elsner), die seit vierzig Jahren nicht mehr singt. Nach einer Zwangsräumung findet sich Ruth in einem anonymen Wohnghetto wieder. Nur durch Zufall verhindert der junge Jonas (Max Riemelt), dass sie ihrem Leben ein Ende setzt. Während Ruths Abwesenheit nistet er sich in ihrer Wohnung ein. Dort findet er einige Filmdosen und einen Projektor: Anfang der Siebziger hat ein Filmstudent einen Dokumentarfilm über Ruth gedreht. Zunächst zeigen die Aufnahmen ihre mitreißenden Darbietungen jiddischer Lieder, dann erzählt sie, wie sie als Kind in Polen vor jenem Konzentrationslager bewahrt wurde, in dem ihre Eltern starben; und wie sie kurz darauf in letzter Sekunde vor einem deutschen Erschießungskommando gerettet wurde.
„Uwe Jansons Film ist weit entfernt vom Stereotyp. Die Harold und Maude-Thematik, junger Mann und alte Frau, wird sanft und untertourig ausgespielt, viel mehr Wert legt der Film auf spitze Dialoge, scharfe Kritik an der Ignoranz der Mitmenschen und die Möglichkeit der Rettung… Doch fehlt dem Film bei aller strukturierten Verbindlichkeit eine erzählerische Tiefe. Jonas’ verlorene Liebe und seine Krankheit reichen im Gegensatz zum gesellschaftlichen Trauma Ruths nicht, dieses an Gewicht auszugleichen. Dadurch verliert der Film etwas an Balance und droht, in Allgemeinplätze abzurutschen. Es ist dem Ensemble zu verdanken, dass er am Schluss doch noch Bestand hat.“ (Ulrich Sonnenschein: epd film)
Geschickt verknüpfen die Drehbuchautoren Thorsten Wettcke, Volker Kellner und Ko-Autor und Regisseur Uwe Janson Gegenwart und Vergangenheit, zumal es dank Ruths Erzählungen auch noch Rückblenden in der Rückblende gibt. Dank des ausgefeilten dramaturgischen Konzepts ist die Geschichte jedoch nie verwirrend. Weil sich Filmstudent Victor damals in Ruth verguckt hat, wandelt sich „Auf das Leben!“ unmerklich zur Liebesgeschichte. Als Ruth den Filmemacher vor laufender Kamera auf die Bühne bittet, stellt auch der verblüffte Jonas fest, was man als Zuschauer längst weiß: Er ist Victor wie aus dem Gesicht geschnitten. Der junge Mann ist ohnehin weit mehr als bloß ein Vorwand, um die Handlung ins Rollen zu bringen: Ähnlich wie Ruth will auch Jonas vor seinem Schicksal davonlaufen.
„Die alte Dame ist störrisch und der junge Mann bockig. … Auf den ersten Blick mutet ‚Auf das Leben!‘ wie eine Standard-Geschichte an, in der sich Alt und Jung gegenseitig aus der Reserve locken, so wie das im deutschen Kino immer wieder gerne erzählt wird, etwa in ‚Frau Ella‘ oder ‚Dreiviertelmond‘. Doch das Szenario entwickelt einen besonderen Charme, was zunächst mit den Schauspielern zu tun hat, Hannelore Elsner und Max Riemelt, die diesen Figuren viel Tiefe und Wahrhaftigkeit geben, und eine gute Portion unterschwelligen Humor.“ (Anke Sterneborg: Die Welt)
Janson hat zuletzt durch die Sat-1-Satiren „Der Minister“ und „Die Schlikkerfrauen“ von sich reden gemacht. Mit „Auf das Leben!“ knüpft er an sein vor 25 Jahren entstandenes Nachkriegsdrama „Verfolgte Wege“ (sein Regiedebüt) an. Neben der kunstvollen Kombination der verschiedenen Zeitebenen beeindruckt sein jüngster Film nicht zuletzt durch die herausragende Kameraarbeit: Peter Joachim Krause sind Bilder von betörender Schönheit gelungen. Ruths grauenvolle Kriegserlebnisse sind dafür umso alptraumhafter. Nicht minder vorzüglich ist die Besetzung. Für Hannelore Elsner, die hier erstmals auch singt, ist die Ruth eine Traumrolle. Ebenso wie für die Darstellerin der jungen Ruth, Sharon Brauner: Sie ist die Cousine von Alice Brauner, der Tochter von Produzentenlegende Artur Brauner, der mit diesem Film die Geschäfte der CCC Filmkunst an seine Tochter übergeben hat. „Auf das Leben!“ erzählt in Teilen die Lebensgeschichte ihrer Mutter – ist also eine Herzenssache der Brauners. Das bei Colosseum erschienene Filmmusikalbum enthält auch ihre jiddischen Lieder. Die Schlüsselfigur der Geschichte wird von Mathieu Carrière verkörpert, dessen prägnanter Auftritt jedoch so kurz ist, dass man nicht mal von einer Gastrolle sprechen kann.