Wir erinnern uns: Der Beziehung zwischen Annie (Bernadette Heerwagen) und Ralf (Thomas Loibl) fehlte der Sex. Den holte sie sich bei ihrem Fitness-Trainer Raimund (Eugene Boateng) – und weil sie als Krankenschwester in einer Kinderwunschklinik arbeitet, wollte es das Schicksal womöglich, dass sie auch noch schwanger wird. Drei Jahre später ist der Seitensprung so gut wie vergessen, der kleine Dominik (Leonardo Brauer) gedeiht prächtig mit der Liebe zweier Väter, die Patchworkfamilie funktioniert also – und selbst das Sexleben des Ehepaars ist befriedigend wie schon lange nicht mehr. Ganz anders die Stimmung bei den besten Freunden: Seit sieben Jahren versuchen Tine (Kathrin von Steinburg) und Nils (Manuel Rubey), ein Kind zu bekommen. Alle medizinischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Doch geht nicht gibt’s nicht für Annie: Wie wäre es, wenn ihr Göttergatte sich als Samenspender zu Verfügung stellen würde? Bei Tochter Cora (Antonia Fulss) war ja gleich der erste Schuss ein Treffer. Zum Witzeln ist Ralf eigentlich nicht zumute. Nun ja, aber er macht’s. Am Tag des Eisprungs heißt es „Partnertausch“. Langsam bekommt Annie Zweifel, ob ihre spontane Idee so gut war. Der „Vollzug“ macht seinem Namen alle Ehre. „Die schlimmste Gymnastik meines Lebens“, klagt Tine hinterher. Und dann bedarf es sogar noch weiterer „Schüsse“.
Was in der zweiten Episode der ZDF-Dramedy-Reihe „Annie“ nach einem Schwangerschafts-Wunsch-Sexmarathon, dem die Erkenntnis vorausgeht, dass Erregung die Chance einer Befruchtung erhöhe, beziehungstechnisch entsteht, das ließe sich als Gelegenheit macht Liebe auf den Punkt bringen. Anfangs machen die „Probanden“ sich und den Anderen noch etwas vor. Doch bald zeigt sich, dass diese Freundschaft und Liebe über Kreuz für immer neue Komplikationen sorgt, weil Gefühle ins Spiel kommen, mit denen keiner gerechnet hat. Und die sind – als es schließlich klappt mit der Schwangerschaft – noch lange nicht aus der Welt. Irgendeiner schert immer aus dem geplanten Arrangement aus. Und so heißt alsbald die Beziehungsgleichung von Tine und Nils: Ehepaar + Fremd-Sperma = alleinerziehende Mutter. Das kann Ralf nicht mitansehen. Er spürt mehr als nur Verantwortung für Tine und ihr Kind. Und so findet sich das Quartett regelmäßig zusammen in einer Art gruppentherapeutischer Beratungsgespräche, die immer mehr zu Krisensitzungen werden. Dabei ist immer nur eines klar: Wegen eines Kindes darf die Beziehung der Vier nicht auseinanderbrechen. Die befreundeten Paare scheinen es irgendwie hinzukriegen, doch in „Annie und das geteilte Glück“ warten neue Herausforderungen: Ralf wirkt unzufrieden mit seiner Rolle; offenbar kann er die Gefühle gegenüber Tine nicht abstellen. Und da hat Annie mal wieder eine Idee…
Soundtrack: (1) The Common Linnets („Calm After The Storm“), Jess Glynne („Take Me Home“), Arlo Parks („Eugene“)
(2) Khrvangbin & Leon Bridges („B-Side“), Red Hot Chili Peppers („I Could Die For You“), Bugge Wesseltoff & Sidsel Endresen („Try“)
Nach „Annie – Kopfüber ins Leben“ sind auch die beiden neuen Filme, „Annie und der verliehene Mann“ und „Annie und das geteilte Glück“, gelungene Versuche, neue Lebens- und Liebesmodelle gemeinsam mit einem sympathischen vierblättrigen Freundes-und-Freundinnen-Kleeblatt unterhaltsam und für ein jüngeres Publikum sicherlich auch anschlussfähig durchzuspielen. Das Quartett experimentiert aus einer realen Not heraus. Ganz pragmatisch. Der Grund, Polyamorie auszuprobieren, ist bei den Friedings und den Konradis weder ein idealistischer noch ein ideologischer. Von daher sind auch die beiden neuen Episoden weniger intellektuelle Versuchsanordnungen, wie sie beispielsweise Daniel Nocke und Stefan Krohmer in einigen ihrer Beziehungsfilmen („Familienkreise“, „Neu in unserer Familie“, „Eine fremde Tochter“) bevorzugen, als vielmehr launige und sehr lebendige Darstellungen modernen Familienalltags. Da motzt schon mal Tochter Cora, dass man ihr nicht dieselbe Experimentierlust, wie die Eltern sie für sich in Anspruch nehmen, zugestehen will, und die Schwiegereltern von Annie und Ralf, die emanzipationsbeseelte Mutter von ihr (Rita Russek) und die Spießer-Eltern von ihm (Brigitte Kren, Michael Lerchenberg) geben entsprechend auch ihren Senf dazu. Das ist gewöhnungsbedürftig, weil deren Stippvisiten kurz sind und die Figuren klischeehaft bleiben und weil sie – wie die kleinkarierten Nachbarn – vor allem dazu da sind, mögliche Gegenpositionen zu formulieren. Psychologisch mag das klug sein: weil sich so die ZDF-Zielgruppe im Film wiederfindet, was die Akzeptanz der Geschichte bei diesen Zuschauer:innen erhöhen könnte. In erster Linie aber sorgen diese Herrschaften um die 70 auch für das Komödiantische. Im zweiten Film funktioniert das besser. Oder hat sich der Kritiker nur an diese etwas biedere Form der Komik gewöhnt?
Umso mehr Spaß bereiten die Hochs und Tiefs, durch die sich die vier Hauptcharaktere bewegen müssen. War der auf eine Schwangerschaft abzielende Sex gerade noch „wahnsinnig unangenehm“ wird es beim nächsten Versuch leidenschaftlicher („Aber ein bisschen Spaß darf’s schon machen, wenn wir’s schon machen müssen“) und bald schon pfeift Ralf zufrieden, wenn er vom vermeintlichen „Vollzug“ nach Hause kommt. Aus einer an sich gut gemeinten Idee erwächst (zwischenzeitlich) Chaos; das heißt für die Zuschauer:innen: zurücklehnen und schmunzeln. Das klappt vor allem, weil einem die Charaktere ans Herz wachsen: die unermüdlich am Beziehungsglück aller bastelnde Titelfigur, ihr etwas stoffeliger Ehemann und deren seit vielen Jahren besten Freunde, Tine, schnell begeisterungsfähig, aber ebenso schnell zu Tode betrübt, und Nils, der Schöngeist auf Selbstfindungstrip. Und so funktioniert auch die etwas schwächere, unter dem Abnutzungsprinzip leidende zweite neue Episode dann doch wieder gut; zumal das Quartett durch die Schauspieler veredelt wird. Bernadette Heerwagen darf nach „München Mord“ auch als Annie ihr tragikomisches Talent zeigen; mit einer ebenso erfrischenden wie naiven Selbstverständlichkeit fordert sie dazu auf, mehr Beziehungsvielfalt zu wagen. Thomas Loibl wirkt (vor allem als Samenspender in seiner Beziehung zu Tine) wie ein Mann zum Anlehnen, umso komischer, wenn er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Kathrin von Steinburg ist die geborene Komödiantin und weckt darüber hinaus immer auch ein Stück weit den männlichen Beschützerinstinkt. Und Manuel Rubey spielt das, was man ihm gern abnimmt: den intellektuellen verkappten Möchtegern-Single, der sich das Beziehungstreiben am liebsten aus der nötigen Entfernung anschaut.
Auffallend bei dieser ZDF-Reihe, dass fast der komplette Stab und fast die gesamte Besetzung in den neuen Episoden wieder mit dabei sind. Für die etwas erfrischend andere Moral dieser Dramödien ist Autorin Dominique Lorenz verantwortlich, die in Sachen Beziehungsalltag & Dramedy seit Jahren in Filmen wie „Sturköpfe“, „Eine harte Tour“ oder „Eine Liebe später“ für öffentlich-rechtliche Verhältnisse auffallend Innovatives erzählt hat. Nicht weniger ein Experte fürs Zwischenmenschliche ist Regisseur Martin Enlen („Das Geheimnis von Siebenbürgen“, „Masserberg“); endlich kann er das nach vielen Krimis in „Annie“ mal wieder zeigen. Auch das Augenzwinkern entspricht dem Erzählton, den er zuletzt gern (seit 2014: 12x „Wilsberg“) gepflegt hat. Für das Auf und Ab im Leben der Hauptfiguren finden er und Kameramann Philipp Timme visuelle Entsprechungen. Dem taghellen Familienalltag, der meist ordentlich bewältigt wird, stehen nächtliche Szenen in den eigenen vier Wänden gegenüber, die mit auffallend wenig Licht auskommen: Das sind immer auch die Momente, in denen sich Figuren im wahrsten Sinne des Wortes dunkle Gedanken machen, in denen Eifersucht die „Heldin“ plagt oder sonst eine Hiobsbotschaft wartet. Auf der Zielgeraden von „Annie und das geteilte Glück“ verdunkelt sich prompt die Szenerie. Doch Annie hat die Erleuchtung. Das nächste Experiment steht ins Haus. So ist der Weg für Episode 4 geebnet.