Anne Grainauer (Katja Flint) und Gregor König (Richy Müller) haben eines gemeinsam: Sie waren erfolgreich. Die prominente Auslandskorrespondentin wurde ohne Vorwarnung nach 24 Jahren von ihrem Sender entlassen, und der jahrelang äußerst populäre Bürgermeister von Dresden wurde abgewählt. Auf einem Flughafen baggert der bald Ex-Politiker die wenige Minuten vorher geschasste Journalistin an. Der Flirt kommt ihr gerade recht. Die Nacht meint es gut mit den beiden, der Alkoholpegel steigt, das nächste Hotelzimmer ist nah; doch Anne schleicht sich am nächsten Morgen einfach davon. Sie muss ihr Leben jetzt erst einmal neu ordnen. Weil sie in Deutschland keinen festen Wohnsitz hat, peilt sie Dresden an. Dort lebt ihre hochschwangere Tochter Jess (Lavinia Wilson) im gutbürgerlichen Eigenheim mit Ehemann Christian (Stephan Grossmann). Die werdende Mutter ist Kopf einer Bürgerinitiative gegen den Ausbau des Dresdner Flughafens. Als Anne Jess ihre Unterstützung anbietet, ist fast vergessen, was für eine Rabenmutter sie über die Jahre war. Als ihr dann im Rathaus plötzlich Gregor über den Weg läuft, zeigt sie ihm zunächst die kühle Schulter, doch der lässt nicht locker – bis sich Anne zu einer zweiten Nacht hinreißen lässt. Wie für Gregor ist es auch für sie durchaus vorstellbar, dass aus der Affäre etwas Ernstes werden könnte, wäre da nicht ein entscheidender Hinderungsgrund: Der König von Dresden ist der Mann, der den Flughafenausbau vorantreibt – und damit der erklärte Erzfeind von Annes Tochter Jess.
Ein klarer Konflikt, wenig Handlung, keine tragenden Nebenfiguren, keine wesentlichen Subplots – eine solche Dramaturgie kann durchaus eine Chance sein, ganz besonders dann, wenn man auf das Können und die Erfahrung von Katja Flint, Richy Müller und Lavinia Wilson bauen kann. Und so beginnt „Anne und der König von Dresden“ für einen ZDF-„Herzkino“-Film erfrischend locker und angenehm ziellos: Zwei erwachsene Menschen finden Gefallen aneinander, leben den Augenblick und benehmen sich auch nach dem Wiedersehen in Dresden wie zwei Jugendliche, die Spaß daran finden, eine geheime Liebschaft zu haben. Vor allem die abgeklärte Heldin betrachtet dieses Beziehungsspiel wie ein Abenteuer und eine willkommene Abwechslung zum Ernst des Lebens. So weit so gut. Irgendwann wird der Plot dann aber doch sehr dünn und überschaubar – denn leider fehlt es den Charakteren an Substanz. Da ist Anne, die einst alleinerziehende, abwesende Mutter, die nichts hat außer ihrem Beruf, die jetzt ihrem Leben eine neue Wende geben könnte und deren Karriere die um Anerkennung buhlende Tochter noch immer einschüchtert. Mehr als das wollten die Autoren Lars Morgenroth und Freya Stewart ihrer Hauptfigur nicht zugestehen, nur so viel wie man für den Konflikt braucht. 90 Minuten lang eine solche Figur attraktiv zu gestalten ist nicht einmal Katja Flint gegeben. Aber auch die Interaktion des Liebespaares ist nur bedingt sexy. Aufgabe der Schauspieler scheint es zu sein, darüber hinwegzutäuschen, wie wenig originell oder gar witzig die Dialoge und wie belanglos und „spannungslos“ diese Zweier-Szenen in der Regel sind. Eine Liebeskomödie oder Beziehungsdramödie, bei der kein Bild, kein einziger Moment in Erinnerung bleibt, muss einiges falsch gemacht haben.
Die Crux dieses „Herzkino“-Films ohne Herz: Die Macher wollten sich offenbar nicht entscheiden zwischen Komödie und Drama – und zum goldenen Mittelweg der Dramödie, wie sie 2016 dem ARD-Freitagsfilm („Drei Väter sind besser als keiner“ / „Mein Sohn, der Klugscheißer“) und der ZDF-Herbstkomödie am Donnerstag („Zwei verlorene Schafe“) einige Male vorzüglich gelungen ist, dafür fehlt vor allem den Autoren die nötige Klasse. Der Film plätschert vor sich hin, weil die Geschichte keinen Kern und damit keine stimmige Tonlage findet: ein bisschen Dresden in Love mit ansehnlichen Schauwerten und einer ansprechenden sommerlichen Luftigkeit, ein bisschen Mutter-Tochter-Clinch und schließlich nach einer immer länger werdenden ersten Stunde die larmoyante Nachdenkphase, in der der selbstbewusste Politiker urplötzlich (die Lehrbuchdramaturgie will es nun mal so!) den Schwanz einzieht. Dafür haben Flint & Wilson im Schlussdrittel zwei Szenen, die sehr wahrhaftig gespielt sind und einen deshalb sehr berühren, was in diesem emotional seltsam indifferenten Film eine Rarität ist. Ein schönes, auch visuell gut umgesetztes Motiv ist das Schaukeln der Heldin im Garten des Ex-Bürgermeisters, eine Art Kindheits- und Heimatme-tapher. Und wie auf Bestellung, um den Konflikt Liebe / Arbeit, das goldene Dresden / die böse Medienwelt in Richtung Höhepunkt zu treiben, ist die ausrangierte Journalistin, die ausgerechnet jetzt den Grimme-Preis bekommt (was nicht oft genug im Film betont werden kann), plötzlich wieder in aller Munde und heiß begehrt als Kriegsberichterstatterin.
Gibt es denn etwas zum Schmunzeln in diesem Film?
Weder die Geschichte noch die Charaktere und deren Dialoge besitzen Ironie oder sind besonders witzig: „Was denkst du?“, fragt er sie im Bett vorm ersten Mal. „Ist das nicht die Mädchenfrage an sich“, schmunzelt sie zurück. Darauf er: „Gerade bin ich mir ganz sicher, dass ich kein Mädchen bin.“ Das ist schon das Höchstmaß an Dialogwitz in diesem Film. Dabei gehen die Sätze den Schauspielern nur schwer über die Lippen. Situativ ganz originell ist die Szene, in der Anne auf das Kompliment „Du bist wunderschön“ stolz ihre in vorderster Front geholten Narben vorzeigt. Königs Konter ist nicht unkomisch: „Ich hab’ auch eine Narbe, Campingplatz Balaton 1988, rutschige Kacheln im Waschraum.“ Im besten Dialog-Wechsel sagt er: „Das Rauchen hatte ich aber besser in Erinnerung.“ Darauf meint sie: „Immerhin verkürzt es das Leben“.
Das Drehbuch war für Karola Meeder alles andere als eine ideale Vorlage. Allerdings fällt es nicht schwer zu erkennen, dass diese Regisseurin, die ihre Verdienste hat, wenn es beschaulich („Ein Sommer in Masuren“) oder dramatisch/romantisch („Ein Sommer im Burgenland“) wird, deren Filme allerdings bisher mit Witz, Esprit und Ironie so gar nicht punkten konnten, nicht die beste Wahl ist, um diesem Film auch über die schwereren Momente hinweg Schwung und Leichtigkeit zu verleihen. „Anne und der König von Dresden“ hat Probleme mit dem Erzählrhythmus; dafür steht auch ein charakterloser Score, der den Zuschauer bzw. -hörer offenbar selig in den Schlaf wiegen möchte. Und Tempo ist für alle Beteiligten ein Fremdwort. Das ist zwar nicht zwingend Voraussetzung für einen guten Film, aber wer im Presseheft vollmundig über die Screwball Comedy (der Film hat rein gar nichts von diesem Genre!) referiert, muss an seinen Worten gemessen werden. Da sind wir dann aber wieder beim Drehbuch, das Szene an Szene reiht, wie es Morgenroth von „Rote Rosen“ und „In aller Freundschaft“ her kennt; daraus ergibt sich aber noch kein filmisches Erzählen.
Im Abspann zeigt der Letzte in der kreativen Kette, der Cutter Günter Heinzel, wie es hätte gehen können. Hier werden Szenen aus dem Film flott aneinandergeschnitten, es wird mit Splitscreen gearbeitet und mit Whitney Houstons peppigen „I’m Every Woman“ unterlegt. So etwas hält zwar nicht nur ein ZDF-Zuschauer keine 90 Minuten durch, aber ein paar lebendigere, kraftvollere Bilder und Töne zwischendurch können auch dem „Herzkino“ nicht schaden. Und so ist dieser vermeintliche Ausreißer aus der Sonntagsreihenroutine eher eine Enttäuschung. Der Film funktioniert auch deshalb nicht so richtig, weil man als Zuschauer sich nicht sicher ist, ob dieses goldene Dresden nicht vielleicht doch nur ein goldener Käfig für die Heldin wird und ob dieser Politiker, über dessen Machenschaften man „objektiv“ nichts erfährt (nur seine Feindin spart nicht mit Kritik), nicht vielleicht doch zumindest ein ziemlicher Langweiler ist. Richy Müller spielt ihn sensibel, in alle Richtungen offen. Die Darstellung der Liebesgeschichte ist aber keinesfalls so überzeugend, dass man den beiden gegen Ende das Happy End von Herzen wünschen würde. (Text-Stand: 3.2.2017)