Anna Welsendorff (Katerina Jacob) ist eine große Verfechterin der Liebe, besonders Nächstenliebe steht ganz weit oben auf ihrer Werteskala. Die Ehe aber sieht sie kritisch. Was Männer angeht, ist die geschiedene Endsechzigerin desillusioniert. Deshalb befürchtet sie, dass auch ihr Schwiegersohn in spe ein Halbgott in Weiß sein könnte, der ihre Tochter Karin (Katharina Schlothauer) nur ausnutzen will. Und so muss Annas Untermieter, Herr Kurtz (Ernst Stötzner), jenen Dr. Jens Schulte-Bräucker (Golo Euler) einem Eignungstest unterziehen. Den besteht der sympathische Kinderarzt auf Anhieb, dafür fällt der Schwiegervater krachend durch: Dieser Horst Schulte-Bräucker (Herbert Knaup) ist Chef einer großen Klinik, er ist kein Halbgott in Weiß, nein, viel schlimmer, er ist ein selbstherrlich protzender Sonnenkönig, ein narzisstischer Soziopath, der seine Frau Regine (Anke Sevenich) kleinmacht und auch Anna beim ersten „Familientreffen“ schwer beleidigt und einer demütigenden Inszenierung aussetzt. Die Angriffslust der emanzipierten Anna ist geweckt. Der Versuch, Regine, das stumme Heimchen am Herd, auf ihre Seite zu ziehen, misslingt jedoch. Auch den Besuch bei Jens in der Praxis findet selbst Herr Kurtz übergriffig. Der steht sonst erstaunlich oft auf Annas Seite, er lobt ihre soziale Kompetenz, ihren moralischen Kompass und ist ihr häufig ohne große Widerworte zu Diensten. Dass sie allerdings seinen Heiratsantrag mit einem herzhaften Lachen quittiert, kann er nur schwer verwinden.
„Irgendwas sagt mir: Da stimmt was nicht.“ Mit einem unguten Gefühl bei der weiblichen Titelfigur fängt mal wieder alles an. Auch in „Plötzlich Schwiegermutter“, der vierten Episode von „Anna und ihr Untermieter“, bleibt die resolute Frau, die sich gern einmischt, wenn sie Ungerechtigkeit oder toxische Männlichkeit wittert, ihrer Linie treu. Werner Kurtz macht das nun schon fünf Jahre mit. „Den Satz kenn’ ich“, wirft er denn auch ein. „Er bedeutet: Es ist wieder einmal so weit. Wir mischen uns ein, versuchen, alles besser zu machen und erreichen wieder einmal ein heilloses Chaos.“ Dass er das Ritual dieser Beziehungs-Dramedys mit Katerina Jacob und Ernst Stötzner eher anerkennend, liebevoll, mit einem leichten Meta-Touch kommentiert und nicht mehr in so einer störrischen Anti-Haltung verharrt, das macht sich doppelt gut. Wenn die Konflikte von außen kommen, braucht man nicht auch noch Spannungen mit dem engsten Vertrauten. Die zunehmende Nähe zwischen Anna und „ihrem Untermieter“ hat aber nur nebenbei eine dramaturgische Funktion. Wichtiger ist: Die beiden mögen sich ganz offensichtlich, und ihre Gemeinschaft ist mehr als eine schöne Gewohnheit. Sie scheinen sich wunderbar zu ergänzen: hier der überengagierte gute Mensch, da der verkopfte Pragmatiker, der merkt, dass etwas mehr Herznote selbst ihm guttun könnte und dass Helfen auch dem Helfenden hilft. Und so verwenden beide auffallend oft ein „Wir“ in ihren Sätzen.
Die Wortwechsel und selbst die Monologe des elitären Patriarchen gehen – wie immer bei Autor Martin Rauhaus – weit über eine Signalfunktion hinaus. Statt ein dickes Ausrufezeichen zu setzen, spiegeln sie das Wesen des Redenden, die Beziehung zum Gegenüber, ganz oft sind sie witzig & ironisch und manchmal sind sie so extrem übergriffig, dass sie zum Motor der Handlung werden – immer aber sind sie effektiv und höchst unterhaltsam. Da gibt der belesene Untermieter Nachhilfe in Ehe-Statistik: „Die Kontroverse um die Befüllung der Geschirrspülmaschine ist einer der häufigsten Scheidungsgründe.“ Anna hat es eher mit der weiblichen Psychologie: „Diese Frau ist wie eine Marionette. Wenn ihr Mann einen Faden hochzieht, dann hebt sie die Hand und winkt.“ Das gefällt dem klugen Kurtz: „Ach, das ist ein sehr schönes Bild.“ Und mehrfach heißt es zwischen Anna und ihrer Tochter: „Dein Herr Kurtz“ – und sofort kommt die Replik: „Er ist nicht mein Herr Kurtz.“ Und der macht ihr zwar zu Beginn gleich einen wenig romantischen Heiratsantrag, hat allerdings große Probleme damit, dass sie ihm ein Schmerzpflaster auf den Rücken klebt. Zu viel körperliche Nähe? „Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut, Herr Kurtz, daran werden Sie sich gewöhnen müssen.“ Der gibt schließlich klein bei: „Ich mache mir eine entsprechende Notiz“. Später schmeichelt sich Anna, die nicht mehr unbedingt immer das letzte Wort haben muss, bei ihm ein, weil sie ihn beim besagten ersten „Familientreffen“ dabeihaben möchte: „Ich schätze Ihre Beobachtungsgabe, Ihren gesunden Menschenverstand und Ihre Objektivität.“ Herr Kurtz hört das gern, kommt aber nicht umhin zu ergänzen: „Aber Sie haben meine hohe Intelligenz und meine Unbestechlichkeit vergessen.“ Das alles muss man sich vorstellen: gesprochen, professionell gefühlt und gespielt von Katerina Jacob, Katharina Schlothauer und Ernst Stötzner, der mit seinen trockenen Kommentaren und seiner saukomischen Präsenz die Gesamttonlage von „Plötzlich Schwiegermutter“ mehr in Richtung Komödie als in Richtung einer Alles-wird-gut-Dramedy lenkt.
Aber auch die Gast-Schauspieler sind nicht von schlechten Eltern: Herbert Knaup als ebenso selbstverliebtes wie herrisches Familienoberhaupt hat nicht viele Szenen, aber viel Text und Rhetorik. Welche Rolle Golo Euler übernehmen wird, ob sein Bräutigam in spe, der bisher immer alles bekam, was er wollte, über die Unverschämtheiten seines Vaters hinwegsehen kann, was er von den Einmischungen Annas hält („Ihr Vater behandelt Ihre Mutter doch wie eine Leibeigene“) und wie sehr er tatsächlich Regine liebt und zu ihr steht, das bleibt erst einmal offen. Sein Heiratsantrag steht eher in der Tradition seines Vaters („Ich will, dass du meine Frau wirst“), dafür sagt er zu Regine einen Satz, den zuvor Anna wortwörtlich zu Herrn Kurtz gesagt hat: „Eine Mutter wird sich immer Sorgen machen. Das ist die Definition einer Mutter.“ Eine Schlüsselrolle für den Ausgang könnte auch die Frau des Hauses spielen, die Anke Sevenich stimmig – sprich: still und zurückgenommen – verkörpert. Knaup indes darf dem Affen so richtig Zucker geben. Ob eine Spur kleiner, leiser und weniger selbstherrlich auch funktioniert hätte? Wahrscheinlich eher nicht, da ein (alltagsnaher) Läuterungs-Subplot bei dieser Geschichte nicht zu erwarten ist. Wenn dieser Horst Schulte-Bräucker nicht so wäre, wie er ist, käme die dramaturgische Statik durcheinander. In der zweiten Hälfte des Films ist es vor allem die Dynamik der verschiedenen Interaktionen, die den Film in Schwung hält. Das Besondere daran sind die ständigen Rollenwechsel, je nachdem, mit wem man gerade spricht. Vor allem Annas Tochter ist hin- und hergerissen: Im Gespräch mit Sven verteidigt sie ihre Mutter, kurz darauf gibt Regine jedoch ihr die Schuld am ganzen Schlamassel. Am Ende muss das Gute, die soziale Verantwortung, siegen. Komödiantisch, so wie in „Anna und ihr Untermieter“, macht Haltung großen Spaß.