„Ich alleine entscheide, wann euer Leben endet!“ Ein Ehemann und Vater, der Frau und Tochter wie Leibeigene behandelt, sie schlägt, brutal bedroht und die Tochter sexuell missbraucht, ist der Motor einer Geschichte, die Fred Breinersdorfer und Bernd Schadewald auf der Grundlage des sogenannten „Arnsberger Prozesses“ entwickelt haben. Zwei Menschen wissen sich keinen anderen Ausweg: Sie müssen einen Mord begehen, um weiterleben zu können, um nicht aufgefressen zu werden von der Angst. Angst ist die zweite Triebkraft, und „Angst“ ist auch der Titel des Films, der die Vorgeschichte der Bluttat erzählt.
„Aufwühlender Film, überragend gespielt“ (TV-Spielfilm)
Im Spannungsfeld zwischen der Unberechenbarkeit des Herwig Seitz, der Unberechenbarkeit seiner in Angst lebenden Familie und der Vorwegnahme des Ausgangs entsteht eine Dramaturgie, in der von Szene zu Szene zwar vieles an Widerwärtigem möglich ist, die der Struktur der Erzählung aber eine klare Richtung weist. Beim Zuschauen mischt sich so Ohnmacht mit dem beruhigenden Wissen um den erlösenden Ausgang des Familiendramas. Und Schadewald kocht die Geschichte nicht unnötig emotional hoch. Er bevorzugt eine kühl registrierende Kamera, setzt distanzierende Schwarzblenden; Spannungsmittel ist ihm allenfalls die Montage, mit dem entsprechend ungemütlichen Soundtrack. Zu Beginn und am Ende setzt er die Parallelmontage ein, ein Mittel, das nicht nur vordergründig fesselt, sondern die beiden Triebkräfte der Geschichte, die Angst und das „Monster“, in ihrer gegenseitigen Bezogenheit darstellt und die Unaufhaltsamkeit betont, mit der der Moment der Konfrontation näherrückt.
Foto: ZDF
Karg und treffend sind die Dialoge in „Angst“, ausdrucksstark die Gesichter: Christian Redl, der an seine Leistung in „Hammermörder“ anschließt, der ersten, Grimme-Preis-prämierten Zusammenarbeit von Breinersdorfer und Schadewald; erschreckend echt gibt er das Bild eines Sadisten ab, der alles nur mit sich selbst ausmacht und als Ausdrucksmittel allein die Gewalt kennt. Renate Krößner und Antje Westermann als zwei Frauen, die jahrelang an der Seite dieses Menschen gelebt haben, die Gegenwehr sowie Sprache nicht beherrschen, zwei verängstigte Wesen, in deren Blicken sich ihre Geschichte spiegelt. Es dauert Jahre, bis sie sich nicht mehr gegenseitig bekriegen, sondern sich verbünden gegen ihren Peiniger. Die Angst treibt sie zusammen. Die Tochter hatte ihren Vater, von dem sie ein Kind hat, angezeigt. Der wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Kurz vor der Entlassung entschließen sich Mutter, Tochter und deren Ehemann, ihn zu erschießen.
„In verdichteter Form zeichnet der Film nach, wie Gewalt in der Familie wiederum Gewalt erzeugt und Opfer zu Tätern werden.“ (Filmdienst)
Das größte Verdienst von Breinersdorfer/Schadewald ist, dass sie das Betroffenheits-Thema sexueller Missbrauch weder reißerisch noch pädagogisierend aufbereitet haben. Analytisch werden die Ereignisse hart aneinandergeschnitten, kultiviert wird eine Art behavioristischer Blick. So entsteht eine Art Meta-Thriller, der die Angst weniger vordergründig wie ein Genrefilm nutzt, sondern auch etwas über deren Funktionsweisen aussagt. Vor allem auch weil die Geschichte nicht kurzgeschlossen wird mit den niederen Instinkten der Zuschauer, lässt sich die Spannung in jeder Hinsicht aushalten. Kein Zuschauer wird genötigt wie weiland Kinoheld Charles Bronson rot zu sehen; Rache ist kein Motiv des Films. Obwohl Seitz von Frau und Tochter mehr und mehr als eine Art Monster empfunden wird, wird er im Auge des Zuschauers nicht zur „Bestie Mensch“ überhöht. Ebenso wenig wird er sozial-psychologisch seziert. Der Mensch Seitz bleibt ein komplizierter Mechanismus. Interessant ist die Wirkung auf seine Umwelt: die Angst und wie sie sich im Handeln Bahn bricht. (Text-Stand: 1994)