1974, Willy Brandt ist zurückgetreten und die Fußball-WM naht. Es ist weniger politische Überzeugung als vielmehr trotziges Aufbegehren gegen den Vater, das Alexander Carow den Wehrdienst bei den „Grenztruppen der DDR“ antreten lässt. Er will seinen Weg selber gehen, will keine Privilegien für sich in Anspruch nehmen. Dem Gesuch auf Zurückstellung durch den einflussreichen Vater begegnet er in der ostdeutschen „Gewissensprüfung“ mit einem „Ja“ zum Schießbefehl. Nach der Grundausbildung kommt allerdings für den 19-Jährigen das große Erwachen. Als „Bonzensöhnchen“ steht Alex ganz unten in der ritualisierten Hackordnung innerhalb der Kaserne. Außerdem hat er unterschätzt, was es heißt, „unter Einsatz Ihres Lebens Grenzverletzer aufzuspüren, festzunehmen oder zu vernichten“. Alex ist ein sensibler Junge. In ihm schlummert der Künstler, er will Fotograf werden und nicht in vorderster Linie im „Kampf gegen den Klassenfeind“ stehen.
Soundtrack: Rolling Stones („Sympathy for the devil“), Elton John („Saturday night’s alright“), Klaus Renft Combo („Der Apfeltraum“), David Bowie („Heroes“)
1393 Kilometer war der deutsch-deutsche Grenzzaun lang. Ein ausgeklügeltes System aus Sperranlagen, ein unüberwindbares Ungetüm aus Stacheldraht und Elektrozäunen, aus Minenfeldern und Selbstschussanlagen. Für die Menschen in der Bundesrepublik war es Symbol für ein inhumanes System, das seine Bevölkerung einsperrt. Vor allem die unheilvoll in der Landschaft postierten Wachtürme und die NVA-Grenzsoldaten mit ihren versteinerten Mienen und der Kalashnikov im Anschlag brannten sich als (Klischee-)Bild in das kollektive Gedächtnis. „An die Grenze“ versucht, neben diesem Bild, das nur ein Teil der Wirklichkeit ist, noch ein anderes Bild zu vermitteln. Autor Stefan Kolditz („Dresden“), der selbst seinen Wehrdienst an der innerdeutschen Grenze ableistete, wagte sich in die Innenperspektive, in das gelebte Leben der DDR. Drill und Scharfmacherschulungen gehören zum Alltag in der Kaserne. Doch „draußen“ herrscht nicht nur ideologischer Gleichklang. Zweifel an dieser Art des Sozialismus’ keimt gelegentlich bei den Jungmännern in Uniform auf, aber auch die Bevölkerung steht, was der Film beispielhaft zeigt, nicht geschlossen hinter dem Schießbefehl.
Kolditz verzichtet auf eine melodramatische Dreiecksgeschichte, die seit „Die Luftbrücke“ zum Inventar historischer Stoffe gehört, verzichtet nicht aber auf eine Liebesgeschichte. Das ist kein Manko. Denn zum einen hat man als Zuschauer nicht das Gefühl, dass Kalkül hinter dieser Coming-of-Age-Geschichte steckt. Sie ist einfach nur wunderschön mit einer warmen Melancholie erzählt. „Kleinstmögliche Dramatisierung, größtmögliche Authentizität“, auf diese Devise einigten sich Produzent Christian Granderath, der Autor und Regisseur Urs Egger. Ergeben hat das einen Film, der traumwandlerisch sicher ideologische Hürden umschifft und ästhetisch ein ganz großer Wurf geworden ist. Die Stimmigkeit des Ganzen liegt in der radikal subjektiven Perspektive, die Kolditz wählt. Alex, ideal besetzt mit Jacob Matschenz, steht vor dem Sprung ins Leben. Losgelöst vom dominanten Vater, will er sich von allem ein Bild machen: vom Alltag in der Kaserne, vom sozialistischen Staat, von der Liebe (Bernadette Heerwagen einmal mehr preiswürdig). Von diesen Dingen erzählt „An die Grenze“ (Trailer). Und damit geht der Film an die Grenze dessen, was sich an harter Politik in dem weichen Medium Fernsehfilm erzählen lässt. (Text-Stand: 7.9.2007)