Geiselnahme in einem Berliner Lokalsender. Ein Mann mit Sprengstoffgürtel (Kai Schumann), offensichtlich zu allem bereit, hat sich als Ziel bewusst das Radio 101.5 ausgesucht. Die Kommerzwelle ist bekannt durch ihren CashCall, bei dem Anrufer viel Geld gewinnen können. Der Geiselnehmer, der Jan genannt werden möchte, will nun an diesem schönen Sommertag das Spiel für seine perfiden Zwecke missbrauchen: Wer die vorher ausgegebene Parole fehlerfrei aufsagen kann, rettet den Geiseln für eine Stunde das Leben, bis zum nächsten CashCall. Kennt der Angerufene die Parole nicht, wird eine Geisel getötet. Die mit ihm Verhandelnde auf Seiten der Polizei ist die Psychologin Ira Samin (Franziska Weisz), die Jan ausdrücklich als Ansprechpartnerin gefordert hat. Sie versucht zunächst, die Lage zu entspannen, während ihr Vorgesetzter (Uwe Preuss) und ein befreundeter Kollege vom SEK (Nicki von Tempelhoff) nach schnelleren Lösungen suchen. Eine Scharfschützenaktion misslingt – und bald fällt ein erster Schuss. Samin gibt zwar weiterhin nach außen die Toughe, doch es verunsichert sie, dass Jan so tut, als würde er sie kennen. „Ich weiß, was Sie quält, ich weiß alles.“ Offenbar hat dieser Mann auch Einblick in das Trauma ihres Lebens. Die ältere ihrer beiden Töchter hat sich vor nicht allzu langer Zeit das Leben genommen. Es ist eine nicht verheilte Wunde, in der das intelligente Gegenüber nun zu bohren beginnt. Was beide noch nicht wissen: Iras andere Tochter Kitty (Emilie Neumeister) macht ein Praktikum im Sender und befindet sich in unmittelbarer Nähe des Geiselnehmers.
„Amokspiel“ ist entstanden nach dem gleichnamigen Roman des deutschen Krimiautors Sebastian Fitzek, einem 450seitigen Schmöker, unterteilt in zahllose Kurzkapitel und damit prädestiniert für eine mögliche TV-Adaption. Auch der Film ist kein allzu feinsinniger Thriller und wer gar nach Subtexten sucht, der wird hier nicht fündig. Die erste Hälfte entwickelt sich zu einem allerdings durchaus spannenden Psychoduell, das viele Fragen aufwirft. Ist dieser Mann eine lebende Zeitbombe? Ist er in einer persönlichen Mission unterwegs? Wozu braucht er die Öffentlichkeit? Und warum sucht er sich diese traumatisierte Polizeipsychologin aus? Was verbindet die beiden? Und weshalb lässt der Geiselnehmer diese Frau nach einer Toten suchen? Zwar beantworten Autor Christoph Busche und Regisseur Oliver Schmitz diese Fragen nicht direkt, aber wer sich diese Ausnahmesituation vergegenwärtigt, wer ein wenig mitdenkt, der kann bald eigene Schlüsse ziehen. Dass dieser verkleidete Antagonist, der nach seiner Enttarnung Bart und Kopfbedeckung abnimmt, weder ein Terrorist noch ein Psychopath ist, sondern eher ein paranoid gewordenes Opfer politischer Umstände, lässt sich ohne großen kriminalistischen Aufwand erahnen: Kai Schumann ist keiner, der in seinen Rollen ins Extreme fällt, und Sat 1, von Harald Schmidt einst als „Kuschelsender“ tituliert, ist nicht der Privatkanal, der in seinen TV-Movies ans Eingemachte geht.
Statements von Franziska Weisz zum Sat-1-Thriller „Amokspiel“
„Der Reiz und zugleich die Schwierigkeit meiner Rolle lag darin, die geforderte Empathie zu zeigen, ohne dass Ira in ihr eigenes Trauma zurückgeworfen wird. Sich Jan gegenüber verletzlich zu zeigen, gleichzeitig aber auf ihre Vorgesetzten voll belastbar und kontrolliert zu wirken – das war die Gratwanderung beim Spielen … Weite Strecken der Dialoge zwischen Jan May und Ira Samin haben Kai Schumann und ich über Headsets bestritten. Über ganze Drehtage hinweg waren wir nur über diese Kopfhörer miteinander verbunden und haben so eine psychologische Nähe zwischen unseren Figuren aufbauen können.“
Zu Beginn der zweiten Hälfte entwickelt sich „Amokspiel“ tatsächlich zu einem Politthriller. „Ich denke, dass die Sache hier gehörig stinkt“, bestärkt der Chefredakteur des Senders (Marc Ben Puch) die Polizeipsychologin in ihrer Skepsis gegenüber einem Oberstaatsanwalt und Vertuschungskünstler namens Faust (Johann von Bülow). Und weil sie dann schon mal beim Aufdecken der Wahrheit ist, legt sie sich auch noch mit dem korrupten Innenminister (Christian Tramitz) an. Doch die Gefahr eines „Feuersturms“, verursacht durch den zunehmend verzweifelten Geiselnehmer, besteht weiterhin. Und auch das SEK steht noch immer in den Startlöchern. Für Fitzek-Leser – sprich: Fans vorhersehbaren Nervenkitzels und jeder Menge falscher Fährten – ist dieser Sat-1-Thriller ein Geschenk. Wer indes auch bei diesem Genre auf Handlungslogik und Psycho-Logik nicht verzichten möchte, der dürfte einigermaßen enttäuscht sein. Denn besonders subtil ist die narrative Konstruktion nicht. Es gibt zwar zahllose Twists, aber keine – beispielsweise kritischen – Botschaften zwischen den Zeilen. Die politische Öffentlichkeit stärker mit in die Geschichte einzubeziehen wird verschenkt. Mögliche gesellschaftliche Einwürfe in Richtung Gaffer-Kritik bleiben ungenutzt. Nebenplots erfüllen allenfalls eine Funktion für das gedoppelte Trauma des A-Plots und die Nebenfiguren verkommen zu Stichwortgebern und Kanonenfutter. Schon lange vor dem finalen Showdown hat sich der Politthriller in Wohlgefallen aufgelöst und sich das private Drama – jetzt das der Heldin – wieder in den Mittelpunkt des Geschehens geschoben.
Als reines Spannungsspektakel funktioniert dieser weitgehend als Kammerspiel inszenierte Film recht gut. Das liegt weniger an dem künstlich um Dramatisierung bemühten Score und mehr an der „psychologischen“ Einheit von Hauptfigur & Hauptdarstellerin: Die Protagonistin hat die Zuschauer schnell für sich gewonnen, und Franziska Weisz spielt ihre Rolle mit mehr Charisma & feineren Nuancen, als es das Buch hergibt; man glaubt ihr die Polizeipsychologin, die von Minute zu Minute deutlicher zwischen den Fronten steht, nicht zuletzt, weil sie eine Schauspielerin ist, die auch physisch zu überzeugen weiß (was sie zuletzt im „Tatort“ beweisen durfte). Und spätestens wenn der Geiselnehmer seine Verkleidung ablegt, weiß auch Kai Schumann, die todesmutige Verzweiflung im Blick und Schweißperlen auf der Stirn, wenigstens ein Stück weit für sich einzunehmen. So stimmt zumindest der emotionale Fluss dieses Thrillers. Den Kopf gibt man als Zuschauer besser am Eingang zum Radio 110.5 ab.