Ben feiert seinen Matura-Abschluss, es herrscht fröhliche Aufbruchstimmung. Bei der Party spielt er am Keyboard mit seiner Band brave Rockmusik, die Mädels schauen ihm nach, doch wild wird hier gar nichts. Der attraktive Ben (eine Entdeckung: Thomas Schubert) ist ein ruhiger Typ mit einer engen Beziehung zu seiner alleinstehenden Mutter Sylvia (Julia Koschitz), die ihn sanft für das „Streberzeugnis“ tadelt und ihm eine Kopfschmerztablette bereitlegt. Darunter steht auf einem Zettel „Ich bin so stolz auf dich“. Und als die Party vorbei ist und Ben seinen Ferienjob beginnt, funkt es gleich zwischen ihm und der hübschen, lebhaften Hanna (Alina Fritsch). Auch in deren Familie ist er sofort beliebt und willkommen.
Nikolaus Leytner inszeniert dieses Mittelschichts-Kleinfamilien-Glück, den sympathischen jungen Mann und seine aufgeschlossene Mutter, sowie die ersten Schritte ins „richtige Leben“, von dem Ben und seine Freunde träumen, so ungebrochen herzensgut und unbeschwert, dass man auch ohne die allererste Szene misstrauisch wäre. Die deutsch-österreichische Produktion „Am Ende des Sommers“ beginnt mit einer Vergewaltigung, man kann allerdings weder den Täter noch das Opfer erkennen. Lag die Vergewaltigung in der Vergangenheit? Liegt sie in der Zukunft? Des Rätsels Lösung deutet sich wenig später an: Als Ben mit seiner „Mama“ im Spaß rangelt, reagiert Sylvia auf die Umklammerung panisch. Eine Narbe auf ihrer Hand verweist auf eine länger zurückliegende Verletzung.
Die kluge Dramaturgie baut anfangs eine etwas zwiespältige Spannung auf, bei der man als Zuschauer geradezu auf die ersten Anzeichen wartet, die auf die gezeigte Tat hindeuten und das sonnige Familienglück zerstören. Relativ schnell – nicht für Ben, aber fürs Publikum – wird dann das Geheimnis gelüftet. Und damit beginnt ein tiefgründiges Coming-of-Age- und Familiendrama. Als Ben die von Sylvia eilig entsorgte Todesanzeige ihres Vaters im Müll findet, stellt er sie zur Rede. Der Film nimmt noch einige Umwege, ehe Ben die ganze Wahrheit herausfindet: die Vergewaltigung, die Verurteilung des Vaters, Sylvias Entscheidung, das Kind zu behalten, und ihre Flucht aus dem Heimatort nach Wien. Wie heftig Ben reagiert, mag nachvollziehbar sein, da er sich um die wahre Geschichte seiner Herkunft betrogen und auch in seinem Rollenverständnis als Mann verunsichert fühlt. Bisher war er recht zufrieden mit der Version, dass sein Vater, angeblich eine spontane Interrail-Affäre, ein cooler Typ gewesen sei. Dass dieser bis dahin so rücksichts- und liebevolle Mustersohn nicht eine Spur Mitgefühl für seine Mutter aufbringt, erscheint dennoch nicht ganz einleuchtend.
Glaubwürdiger dagegen: Parallel zur Suche Bens nach seinem wahren Vater wird die behutsame Annäherung Sylvias an ihren neuen Verehrer Wolfgang (Johannes Zeiler) erzählt. Sylvia steht wegen des absehbaren Auszugs von Ben selbst vor einer neuen Lebenssituation. „Die Geschichte neu schreiben“: Das sei das Einzige gewesen, was sie nach der Vergewaltigung habe tun können, sagt sie einmal zu Ben. Julia Koschitz spielt Bens Mutter als selbstbewusste und warmherzige Frau, bei der zwar keine traumatischen Verletzungen offen zu tage liegen, die sich aber nur langsam voran tasten kann in der Beziehung zu einem Mann.
„Am Ende des Sommers“ ist weniger ein tragisches „Vergewaltigungs-Drama“ als eine leise und nicht ohne Optimismus erzählte Geschichte darüber, wie ein schreckliches Ereignis das weitere Leben bestimmt. Nicht zuletzt geht es um das Verhältnis der Generationen, um die Emanzipation des Sohnes und die Abnabelung der Mutter – oder umgekehrt. Auch um jugendlichen Aufbruch und die zuweilen bittere Erfahrung der Erwachsenen mit dem „richtigen Leben“. Sieht man davon ab, dass Ben schließlich seinem ebenfalls musikalischen Vater gegenüber stehen wird, fehlt das ganz große, mit Trommelwirbel inszenierte Drama. Aber das ist nur wohltuend. Denn auch wenn diese erneute Zusammenarbeit von Grimme-Preisträger Leytner mit der Autorin Agnes Pluch nicht die Qualität des Alzheimer- und Liebesdramas „Die Auslöschung“ erreichen mag, erscheint der unspektakuläre Film wohl durchdacht und gut ausbalanciert mit seiner Mischung aus leichten Momenten, ernsthaften Dialogen, klug eingesetzter Musik und emotionalen Szenen. (Text-Stand: 13.2.2015)