Ein verschollenes Gemälde, ein Geldmensch und zwei wahre Kunstliebhaber
Dieser Auftrag übertrifft alles bisher Dagewesene: Philipp Keyser (Friedrich Mücke), der für gewöhnlich Kunstobjekte begutachten muss und allenfalls mal einem Versicherungsbetrüger auf die Schliche kommt, soll ein unbekanntes Gemälde des (fiktiven) Expressionisten Ludwig Glaeden aufspüren. „Das Bild muss gekauft werden. Es muss. Es klebt Leid daran und es soll wieder dorthin zurück, wo es hingehört“, betont die Wortführerin (Hildegard Schmahl) der acht greisen Frankfurter Auftraggeber und deutet damit an, dass es sich bei diesem frühexpressionistischen Werk mit dem Titel „Die Berufung der Salomé“ um sogenannte „Raubkunst“ handelt. Geld spielt keine Rolle. Keysers Honorar ist fürstlich. Weitere Informationen gibt es nicht, einzig noch den Hinweis, dass sich das Bild im Besitz des Münchner Sammlers Magnus Dutt (Ernst Jacobi) befinden soll. An den über 80-Jährigen heranzukommen, erweist sich allerdings als äußerst schwierig. Der attraktive junge Mann versucht es über Dutts Großnichte, die Künstlerin Alma Kufferer (Victoria Sordo). Aber auch sie ist zunächst nicht interessiert an dem Sunnyboy, der sich bei ihr als kunstinteressierter Journalist ausgibt. Erst als er ihr anbietet, den verkommenen Garten ihres Onkels zum Erblühen zu bringen, öffnet sie ihm die Tür auch zu dessen Haus – und ein Stück weit auch zu ihrem Herzen. Wird Keyser mehr in ihr sehen als nur das schöne Mittel zum Zweck?
Kunst, Leidenschaft, Liebe und ein „Schnüffler“, der was ins Rollen bringt
„Am Abend aller Tage“ erzählt von Geldmenschen und Kunstbewahrern, von einem unmoralischen Verführer und einer unschuldigen Geliebten, von Kunst, Leidenschaft und Liebe. Da sind die offenbar politisch korrekten Besitzstandwahrer der Kunst, die nicht zufällig in der Stadt des Kapitals den Antagonisten als Mittelsmann und als Vertreter ihrer undurchschaubaren Interessen gewinnen. Der macht sich alsbald an den großen Auftrag im Stile der Privatdetektive Hammetts oder Chandlers – etwas großspuriger und selbstgewisser vielleicht, aber anfangs ebenso erfolglos. Und dann scheint es fast, als ob dieser zielstrebige Bildersucher vor lauter Liebelei mit der schönen, unter Sehschwäche leidenden Künstlerin seinen Auftrag aus den Augen verlieren würde. Es bleibt auch lange Zeit im Unklaren, ob dieses Bild überhaupt existiert, ob Keyser vielleicht – ähnlich wie bei den amerikanischen Privat-Eye-Vorbildern – nur benutzt wird, um etwas ins Rollen zu bringen. Vielleicht soll der Plan, das Bild zu kaufen, ja scheitern. Denn weshalb konnten die grauen Eminenzen für diesen offenbar so wichtigen Auftrag keinen Besseren finden, als diesen leichtsinnigen Spielertypen, der am Tag seiner großen Chance mit den Worten „Vermassel es diesmal aber nicht“ begrüßt wird? Wie dem auch sei, Philipp Keyser scheint gegen Ende nicht länger der vom Geld korrumpierte Glücksritter sein zu wollen. Er gibt die Rolle des Jägers nach dem verborgenen Schatz auf zugunsten des Liebenden, der diese Frau begehrt, die so anders ist.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Zwei, die die Kunst „erkennen“ und dem Materialismus eine Abfuhr erteilen
Liebe, Kunst, Geld und Leidenschaft – darum dreht sich dieses Spiel, das im Wesentlichen von nur zwei Charakteren bestimmt wird, aber in dem andere undurchsichtige Kräfte walten. Der Dritte im Bunde, der stille Antagonist, ist der hoch betagte Sammler mit seinem „juristisch gesehen ungewöhnlichen Standpunkt“, wie es der Protagonist formuliert. Der Alte sieht sich als Bewahrer und Anwalt der Kunst, die von den Menschen nicht „erkannt“ und dem Kunstmarkt missbraucht werde. In eine ähnliche Richtung zielt das Kunstverständnis seiner Großnichte. Sie arbeitet als Künstlerin expressiv mit ihrem Material, sie schmiert, sie wühlt, sie suhlt in Farben, bringt aber auch Gegenständlicheres auf die Leinwand oder experimentiert mit organischen Skulpturen und modelliert sich in einer zentralen Szene des Films sogar selbst zum Kunstwerk. Doch so wie sie nach dieser Performance die Farbe von ihrem Körper abwäscht, so lassen sich auch ihre Kunstgegenstände nicht konservieren und damit nicht vermarkten. Alma und ihr Großonkel werden damit zu Verfechtern einer „reinen“ Kunst, die sich nicht an den Markt und die Masse verkauft. Dominik Graf sieht in diesem von Ernst Jacobi gewohnt eindrucksvoll verkörperten Kunstsammler „keinen wunderlichen Kauz“, sondern einen klugen Mann, „der Werke nicht den Erben der Maler, nicht den Käufern und auch nicht deren Erben, nicht den Millionären und eben auch nicht den Museen überlassen will, sondern nur denen, die sie gemalt haben und denen, die – so wie er – sie vor ihrer täglichen Herabwürdigung beschützen werden“. Dieser Bewahrer der immanenten Aura eines Kunstwerks sammelt nicht, um irgendwann seine Bilder zu veräußern oder sie zu vererben, nein, er will sie lieber verstecken, im Verborgenen halten, bis ein Zeitalter angebrochen sei, in dem die Menschen diese Bilder schätzen würden. Auch seiner Großnichte fehlt der Sinn fürs Geschäftliche: Da lagern unschätzbare Werte im Keller des Alten, der keine anderen Verwandten hat als sie, und sie geht lieber tagtäglich arbeiten in einer Wäscherei, anstatt auch nur auf die Idee zu kommen, ein einziges Bild zu verkaufen. Das ist wahre Leidenschaft.
„Bilder gehören niemandem. Sie gehören nur sich selbst. Und es ist auch ein Irrtum, dass sie allen gehören … Bilder können sich ja nicht beschützen. Bilder wollen ergründet werden, erkannt werden: Erkennen, gemeint im Sinne der Liebe. Können Sie damit was anfangen? Denn wenn sie achtlos betrachtet werden, dann verlieren sie an Wert. Das hat nichts mit ihrem finanziellen Wert zu tun. Sie verlieren ihre Sprache. Ich spreche mit ihnen.“ (Magnus Dutt im Film)
Dieser alte Mann wurde dem Münchner Sammler und Kunst-Liebhaber Cornelius Gurlitt (1932-2014) nachempfunden, der mit seinen Bilder (zusammen)lebte.
Und auch die Liebe unterliegt den Gesetzen von Ökonomie und Tauschhandel
Dominik Graf, an dessen Filmen sich zwar häufig die Geister scheiden, der aber mit seinen wegweisenden TV-Krimis zwischen Drama („Polizeiruf 110 – Er sollte tot“), Gesellschaftsspiel („Polizeiruf 110 – Smoke on the Water“) oder kritischem Polizeithriller („Das unsichtbare Mädchen“) immerhin ein Millionenpublikum erreicht, hat mit diesem feinsinnigen Fernsehfilm inne gehalten, um dem nachzuspüren, was den Filmemacher seit Jahrzehnten ebenso fasziniert wie Genre und Verbrechen: Es sind die „Beziehungsstoffe“, die bei ihm aber nicht als ironische Liebespiele oder gar profane Romanzen daherkommen, sondern immer als Filme über die Leidenschaft und das Begehren, über die Spielarten der Liebe (beispielsweise zu Gott in „Das Gelübde“) und die dabei stets das Gesellschaftliche (wie in der Melodram-Trilogie zwischen 1998 und 2004) und die historischen Umstände (wie in „Die geliebten Schwestern“) im Blick behalten. In „Am Abend aller Tage“ geht es nun gleich doppelt um Leidenschaft: die des Kunstliebhabers und die des zwischenmenschlich Liebenden. Als Gegner wird da wie dort der schnöde Mammon ausgemacht. Denn wo die Gesetze des Tauschhandels walten, kann die idealistische Haltung zur Kunst nur in einem sinnlosen Rechtsstreit oder einer behördlichen Anordnung enden und eine Liebesgeschichte kann sich wohl nur zu einem Melodram auswachsen. Doch für die amouröse Seite der Geschichte macht zumindest die mögliche Wandlung des Helden Hoffnung auf ein besseres Ende.
Der Augen-Blick sagt bei Dominik Graf viel mehr als jede Finalspannung
Man muss dem Augen-Blick genauso viel Aufmerksamkeit entgegenbringen wie dem in der Erzählung ausgegebenen Ziel. Das ist immer so in Filmen von Dominik Graf. In diesem aber ist das ganz besonders augenfällig. Da sind beispielsweise die Metamorphosen der eigenwilligen weiblichen Hauptfigur: Von der Verschlossenen, die sich vom öffentlichen Leben fernhält, über die verführerische Kameradin zur Liebhaberin, die sich aber vollständig erst am Ende dem Geliebten offenbart. Die Figur ist faszinierend genug, doch Victoria Sardo („Tatort – Aus der Tiefe der Zeit“) gibt ihr darüber hinaus eine Vielzahl an Gesichtern. Und auch Friedrich Mückes Keyser hat seine Momente, weil man nie genau weiß: ist das bei ihm nur Berechnung, ist das Spiel oder sind da doch schon erste Anzeichen für echte Zuneigung erkennbar. Und dann gibt es noch diesen ersten kurzen Moment der Nähe, in dem er der Schönheit ihres Nackens gewahr wird. Das ist kein wirklich erotischer Augenblick, vielmehr scheint es, als begegne der Verführer der Reinheit. Auch die Räume und deren Ansichten sind wesentlicher Bestandteil der Geschichte: zu Beginn die kalte Funktionsarchitektur, die die Stadt der Geldmenschen symbolisiert; später dann die Stadtvilla des Sammlers, wo die Natur, der Garten, verkommt, während die Kulturgegenstände im Keller lagern, anstatt an den Wänden zu repräsentieren und dem Kunstkenner zu schmeicheln. Dass der Film auch optisch einiges zu bieten hat, lässt sich bei dem Sujet erwarten – gelten doch einige Stilmittel der Kunst auch für das Medium Film: Das Spiel mit Hell & Dunkel, Licht & Schatten, Tag & Nacht wird häufig eindrucksvoll eingesetzt. Insgesamt wirkt der Film ästhetisch aber nicht so überambitioniert wie Grafs Polizeifilme, in denen seine Inszenierung das Geschehen – so hat man oft den Eindruck – bewusst „verkomplizieren“ und die Wahrnehmung erschweren soll.
Die große Gleichmacherei gibt es in der Kunst, aber auch in der TV-Fiktion
Dominik Graf und Drehbuchautor Markus Busch („Komm mir nicht nach“) liefern die Erklärung indirekt gleich mit, weshalb „Am Abend aller Tage“ dem Auge und der Seele der „Masse“ wohl verschlossen bleiben wird. Sie wird diesen Film nicht „erkennen“ im Sinne der Liebe. Denn Zeit in Form einer standardisierten Finalspannung ist in diesem Erzählkosmos nicht die Dominante, Zeit wird verhandelt (wenn beispielsweise der Auftraggeber drängt), aber sie ist physisch und filmisch nur wenig spürbar. Der Film, dem die Novelle „Die Aspern-Schriften“ von Henry James zugrunde liegt und der sich von der wahren Geschichte des „Kunst-Liebhabers“ Cornelius Gurlitt inspirieren ließ, besitzt mit seiner beobachtend-distanzierten Erzählhaltung eine stärker poetische als dramatische Note. Man muss sich von den Sehgewohnheiten frei machen, den Erzählkonventionen, von der dramaturgischen Logik, bei der immer B auf A folgt und C nicht lange auf sich warten lässt. Wer wenig Lust verspürt, sich auf den Film einzulassen, wer es wie bei der Betrachtung von Kunst möglicherweise gar nicht kann, der wird vielleicht von „Langeweile“ reden. „Die große Gleichmacherei hat den Blick der Massen auf Kunst zum allein geltenden Maßstab gemacht“, schreibt Graf im Pressedossier. „Was die Massen langweilt, was sie nicht schön finden, was sie nicht verstehen, woran sie vorbeigehen, das verliert in den Augen der Öffentlichkeit an Wert.“ Die Sätze beziehen sich auf die Kunst. Manche mögen das elitär nennen. Aber es ist viel Wahres dran – und ein Leichtes, diese Sätze auf die aktuelle Fernsehfiktion zu übertragen. Etwa so: Krimi-Monokultur und dramaturgisch-ästhetische Gleichmacherei haben den Geschmack des breiten Publikums zum allein geltenden Maßstab gemacht. Nur die breite Masse bestimmt, wie und was Fernsehen zu sein hat. Schön, dass es immer mal wieder Ausnahmen gibt.