„Alles außer Mord“ – von wegen! „Alles fängt so harmlos an und am Schluss liegt doch irgendwo ’ne Leiche rum.“ Es ist nicht immer die Schuld von Uli Fichte. In der zweiten Episode der Pro-Sieben-Reihe macht sich der etwas schusselige Privatdetektiv aber schon Vorwürfe. Eine geheimnisvolle Frau, die tagsüber fürs Psychologiestudium büffelt und die nach einer Vergewaltigung Michelle-Pfeiffer-like eine coole Baker-Boys-Nummer in einem Nachtclub abzieht, wird die 95 Filmminuten nicht überstehen. Auch wenn Fichte sie nicht retten kann, so hat er doch kriminalistisch den richtigen Riecher in diesem Fall um einen „Vollmondvergewaltiger“. Sein Freund Frieder setzt ihn auf den Fall an; der Psychoanalytiker will wissen, ob sein ehemaliger Patient der gesuchte Triebtäter ist. Jedenfalls prangt eindeutig das Phantombild von Konrad Kahnweiler auf der Titelseite eines Hamburger Boulevardblattes. Vorsichtshalber schließen die eigenen Eltern den „labilen“ Sohn erst einmal weg.
Mit „Alles außer Mord“ begab sich Pro Sieben 1994 erfolgreich aufs Feld der fiktionalen Eigenproduktionen. 14 Episoden entstanden in der Folgezeit bis 1996. Waren auch die Drehbücher nicht immer das Gelbe vom Ei – der coole Look, der mindestens ebenso coole, angejazzte Score von Klaus Doldinger, die Straßen von Hamburg, die vielen neuen Schauspieler-Gesichter (Sophie von Kessel, Martina Gedeck, Ann-Kathrin Kramer, Christiane Paul, Esther Schweins) und vor allem das ungemein sympathische „Ermittlerduo“ aus Private Eye und Psychoanalytiker, gelegentlich ergänzt durch einen Klatschreporter, wurden bald eine unverkennbare Marke. Dieter Landuris und Stefan Reck gaben ihren Rollen eine Frische und ein Augenzwinkern mit, die man im „Derrick“-Deutschland damals sonst kaum finden konnte. Serien-Routinier Michael Baier wuchs über sich hinaus und legte vor allem Uli Fichte Pointen und Nonsens-Dialoge in den Mund, die der Reihe unter jüngeren Zuschauern eine große Fan-Gemeinde bescherte. Auch öffentlich-rechtliche Regie-Handwerker wie Sigi Rothemund wagten sich hier erstmals an eine modernere Bildsprache. „Alles außer Mord“ ist der bedeutendste Beitrag, den Pro Sieben in den 90er Jahren für das serielle TV leistete.
„Der Mann im Mond“ von Roland Suso Richter („Die Bubi Scholz Story“) gehört zu den stärksten Episoden dieser auch heute noch gut funktionierenden Krimi-Reihe. Ein bitteres Familiendrama („Willst du mich ficken, Mutter?“) nimmt seinen bizarren Lauf – und ein wirtschaftspolitischer Komplott wird geschmiedet. Uli Fichte und Frieder Tamm werden von Rotlichtmilieu-Gorillas vermöbelt und beide lecken anschließend ihre Wunden. Der Privatdetektiv verliebt sich in ein Luxus-Callgirl, das sich zu Pink-Floyd-Sound räkelt (und Fichte nennt es „schwülstige Musik“). Auf allen Ebenen also ist mächtig was los in diesem stimmungsvollen, flockig episodisch strukturierten Genre-Mix aus Krimi und Komik, aus Coolness und Authentizität, aus Künstlichkeit und Alltags-Touch. Und obwohl das Ganze verspielt postmodern, mit sehr beweglicher Kamera, daherkommt – ist dieser 95-Minüter durchaus in der Lage, echte Gefühle beim Zuschauer zu evozieren. (Text-Stand: 2013)