Weil die Gemahlin dem König auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen hat, sich erst dann wieder zu vermählen, wenn die Schönheit seiner neuen Frau ihrer Schönheit gleicht, wendet sich der unglückselige König Tobalt seiner Tochter zu. Dasselbe güldene Haar, dasselbe Antlitz, dieselbe Anmut wie die Verstorbene. Um der geplanten Hochzeit zu entgehen, stellt Prinzessin Lotte ihm drei – wie sie glaubt – unerfüllbare Aufgaben. So fordert sie beispielsweise einen Mantel von tausenderlei Pelz- und Rauhwerk. Sie bekommt ihn. Aus Furcht vor der Ehe mit ihrem Vater flüchtet sie – das Gesicht rußgeschwärzt und gehüllt in ihren schützenden Pelz. Fortan versteckt sie sich vor der Welt. Der junge König Jakob liest sie auf im Wald und nimmt sie mit in sein Schloss, wo sie als Küchenhilfe von Koch Mathis, der ihr bald ein väterlicher Freund ist, verblüffend gute Suppen kocht. Die als „Rauhtierchen“ vom Hofstaat Verspottete verliebt sich heimlich in den König. Bei einem Hofball schleicht sie sich – verwandelt in eine strahlend schöne Frau von Welt – in den Saal. Nach nur einem Tanz ist der König hingerissen von ihr – und Lotte plötzlich verschwunden. Der König ist verliebt. Doch wer ist diese Frau? Um sie wiederzusehen, lädt der König zu einem zweiten Fest.
„Allerleirauh“ gehört zu den weniger bekannten Märchen der Gebrüder Grimm. Es streift das Emanzipationsthema und versinnbildlicht die Dialektik zwischen Verstecken und (Nicht-) Erkennen. Die junge Heldin will nicht gesehen werden – die Erfahrung mit ihrem Vater, der in ihr das Ebenbild seiner verstorbenen Frau sah, hat sie vorsichtig werden lassen. Wie ein Missbrauchsopfer zieht sie sich in sich selbst zurück. „Zeig dich der Welt, man muss dich sehen“, sagt Mathis zu ihr. Doch Lotte ist noch nicht so weit. Anstatt als Frau will sie lieber als „Tierchen“, gesehen werden. Das Märchen ist nach der Episode des verhinderten Inzests bei Hofe des jungen Königs klar strukturiert. Drei Hofbälle, drei Tänze, drei Suppen, Ring, Spindel und Haspel, drei Symbole für das Wachsen der Liebe – und so langsam geht dem Regenten Jakob ein Licht auf: „Ich hab dich gesehen und ich hab’ dich nicht erkannt.“
Der Film von Christian Theede übernimmt die „lehrreiche“ Dramaturgie der Vorlage nach dem Motto „aller guten Dinge sind drei“. Die Zugabe ist vor allem der sinnliche Zauber, der in den Szenen mit Henriette Confurius zu spüren ist. Das Versteckspiel ihrer Figur, der ängstliche Blick eines Fluchtwesens, das langsam wachsende Vertrauen, das die verletzte Seele schöpft, das erste Lächeln – es schwingt viel mit in dieser für ein Märchen ungemein psychologisch dichten Figur. Auch wenn die Erblondung der brünetten Blick-Schauspielerin Confurius eine Überraschung ist, so ist „Allerleirauh“ ihr Film. Obwohl der Zuschauer das Geheimnis ihrer Figur kennt, gelingt es ihr dennoch eine Spannung in den Szenen und Interaktionen aufzubauen. Und entsprechend gibt es am Ende einige Magic Moments – ohne Kitsch!