Eine WG wie in alten Zeiten. Nicht nur Philip, der Motor des Wohnprojekts, hat sich das irgendwie anders vorgestellt. Dabei war es doch eigentlich eine gute Idee: Fünf Freunde oder Bekannte + eine geräumige Altbauwohnung = eine Alten-WG. Dass die fünf, jener Philip (Walter Sittler), der 30 Jahre Arzt in Afrika war, der überzeugte Single Harry (Paul Faßnacht), Ricarda (Charlotte Schwab), eine Psychologin Marke Kümmerin, die Wurstverkäuferin Uschi (Marie Gruber) und der fremdelnde Eckart (Hans-Uwe Bauer), unterschiedlicher kaum sein können und jeder plötzlich mit den Marotten der anderen konfrontiert wird, darüber ließ sich mit einer Portion gutem Willen und Toleranz noch hinwegsehen. Als dann aber ausgerechnet Uschi, die gute Seele der WG, einen Schlaganfall erleidet, steht die Gemeinschaft vor einer ersten Zerreißprobe. Auch Philips Hauptmotiv für das Zusammenwohnen könnte sich zu einem Problem entwickeln: sein Traum war es nämlich immer, mit Ricarda alt zu werden.
„Ich hab’s mir einfach auch vorgestellt: Wenn wir alt sind, ziehen wir zusammen, rauchen Zigarren, trinken Whisky… wir haben nie davon gesprochen, dass wir uns gegenseitig den Arsch abwischen.“ Ein bisschen naiv sind sie schon, Philip, Ricarda & die anderen in dem ARD-Fernsehfilm „Alleine war gestern“ bei ihrem Neu-Start in den Lebensabend, wie die letzten Lebensjahrzehnte gern beschönigend genannt werden. Dabei ist doch das Alter bekanntlich nichts für Feiglinge. Erst das Schicksal öffnet dem Quartett die Augen über die Situation in der WG und das eigene Lebensalter. Der Film von Dagmar Seume („Danni Lowinski“) nach dem Drehbuch von Beatrice Meier, die auch die Romanvorlage schrieb, belebt weder den blauäugigen Mythos vom glücklichen Altern, noch bläst er dramatisch Trübsal. Realistisch-pragmatisch mit einem Hauch Utopie entlässt diese Degeto-Dramödie die ARD-Zuschauer, von denen zumindest 50 Prozent (die Generation 60plus) direkt vom Thema „betroffen“ sind. Das Modell Alters-WG wird unterhaltsam beleuchtet – und alle möglichen Motive werden durchleuchtet. Da ist der Wunsch, im Alter nicht allein zu sein. Vielleicht auch der Wunsch, eine Idee, in der sich ein Stück weit die eigene (soziale) Identität spiegelt, wiederzubeleben und damit die Illusion der eigenen Jugend am Leben zu erhalten (dieses Motiv reflektiert die ARD-Dramödie weniger als Ralf Westhoffs Kinohit „Wir sind die Neuen“). Auch der Wunsch, etwas nachholen zu wollen, spielt beim ehemaligen Fast-Pärchen eine Rolle, genauso wie die erschwingliche Miete bei Uschi und bei Taxifahrer Harry.
Charlotte Schwab über das Älterwerden:
„Alle wollen lange leben, aber nicht alt werden. Der Druck, besonders für uns Frauen ist enorm. Jung bleiben, jünger aussehen als man ist, dünn, fit, attraktiv, gesund usw. Körperliche Verschleißerscheinungen, üblich beim Älterwerden, kleinere Krankheiten, Müdigkeit, schwere Tage, Traurigkeit, Falten, zu viel Gewicht usw., werden als Schwächen und Disziplinlosigkeit gesehen. Ich versuche, mit einiger Würde zu altern, es anzunehmen, wie es ist und dazu zu stehen, dass ich 62 Jahre alt bin.“
Foto: Degeto / Martin Menke
Dramaturgisch pendelt „Alleine war gestern“ wie viele Ensemblefilme, die Alltag erzählen, zwischen „aus dem Leben gegriffen“ und dem kontrollierten Einsatz gesellschaftlicher Stellvertreter. Gerade weil der Film für sich Alltag reklamiert, schaut man als Zuschauer besonders genau hin und hinterfragt Rollen und Interaktionen. Und da stolpert man dann schon über Details wie die Freundschaft zwischen der prinzipientreuen Psychologin und der wurschtigen Verkäuferin. Andere psychologische Motive wie der ewige Kampf zwischen Egoismus und Altruismus gehören dagegen zwingend zur Ursuppe jeder real existierenden WG oder aber sie sind als Versatzstücke für die Handlung dringend erwünscht wie die alte Liebe, die erst jetzt, mit über 60, so richtig ausbricht. Auch die Eigenarten & kleinen Schrullen der Fünf nehmen das richtige Maß in der Geschichte ein: was dem einen der Grabstein der vor 20 Jahren verstorbenen Ehefrau ist, das sind dem anderen seine geliebten Wurstpokale. Insgesamt herrscht eine hohe Situationsdichte bei angenehm heruntergespielter Dramatik; Alltag strukturiert den Plot. Zwar gibt es erwartbare Ereignisse wie diverse Haushaltsunfälle; aber die Handlung hält sich nie allzu lange mit ihnen auf, selbst ein Suizidversuch wird nicht nur auf der Handlungsebene heruntergespielt. Und auch der Friedensjoint kreist nur kurz. Will sagen: der Erzählrhythmus ist dem realistischen Sujet angepasst, das Tempo ist angenehm flott (nicht nur für die Zielgruppe). Beispielhaft dafür mag die Einzugssequenz stehen. In 100 Sekunden sind die fünf „Kommunarden“ eingeführt & sozial verortet. Die Montage bedeutet dem Zuschauer: da ist Leben drin, hier herrscht Aufbruchsstimmung. Dann ist Umzugstag – und die Charakterisierung wird fortgesetzt. Das WG-Leben beginnt. Wissenswertes der Backstory wird später nachgereicht. Die Handlung kommt gleich zur Sache. So muss es sein!
Startet das Quartett auch allzu blauäugig in das Experiment Senioren-WG – so bekommen die Fünf von Autorin Beatrice Meier eine zweite Chance. Dieses Wohlfühlende haben sich nicht nur die mit ihren Macken und Marotten überaus sympathischen Figuren (und auch der Zuschauer) verdient, sondern dieses Filmende wird auch dem Thema gerecht. Geht bei Philip, Ricarda, Harry, Uschi und Eckart auch einiges schief – die Idee Alten-WG ist nicht verkehrt. Und dem Alter mit Lebenslust begegnen ist ohnehin die beste Strategie. Allein an dem Konzept („Auf jeden Fall holen wir Hilfe“) muss noch gebastelt werden. Im Film wie im Leben.