„Wagen Sie die Aufrichtigkeit – es lohnt sich.“ Dem Talkshow-Auftritt der Paartherapeutin Elli Berger-Voigt folgt ihre eigene, bittere Wahrheit: Heiligabend mit den Liebsten – sprich: mit Ex-Ehemann Robert und den drei erwachsenen gemeinsamen Kindern, Tobias, Leonie und der Ältesten, Susanna, die mit eigener Family ins Haus der Eltern anreist. Schön, wenn trotz Scheidung die Familienbande noch so eng sind. Doch von wegen. Das Fest der Feste, nichts als Show! Elli und Robert sind längst geschieden; er hat mit seiner Sprechstundenhilfe angebändelt, worauf sie sich mit einem 22 Jahre jüngeren Fahrlehrer einließ. Beide schämen sich vor den Kindern – und so feiert man Weihnachten in trauter Verlogenheit. Denn auch die Anderen sind nicht so ganz ehrlich. Der angebliche Top-Musiker komponiert Werbejingles, die Bilderbuchtochter steht mit ihrem Gatten vor dem finanziellen Ruin und das Nesthäkchen ist schwanger – nur von wem? Dass dieses Jahr nicht nur Geschenke, sondern auch die Lügen der Familie auf den Tisch kommen – dafür sorgen nicht zuletzt Vatis Sprechstundenhilfe und Muttis „junger Hengst“, die sich überraschend auch unterm Weihnachtsbaum einfinden.
„Alle unter eine Tanne“ – acht Erwachsene, zwei Kinder, es wird eng bei den Berger-Voigts. Vor allem auch, weil jeder einen Sack voller Lebenslügen mit sich herumträgt. Das freilich gehört seit Weihnachtsfilmen wie „Single Bells“, „Meine schöne Bescherung“ oder „Beste Bescherung“ zum Genre wie die Tanne zum Fest. Allein durch das „Wie“ unterscheiden sich die Filme. Die Autoren Lo Malinke und Philipp Müller (einst machten sie mit Malediva Kabarett; heute schreibt & produziert das Duo Filme) nehmen die Figuren beim Wort und holen sie bei deren Problemen ab. Zum Beispiel den schwulen Musikersohn, dessen Homosexualität zwar akzeptiert wird, der dafür aber beruflich mächtig unter dem Druck der Eltern steht. Oder die 68er-Mutter, die zwar öffentlich für die selbstbestimmte Sexualität reifer Frauen streitet, sich vor der Familie aber für ihren jungen Lover schämt. So entwickelt sich „Alle unter eine Tanne“ mehr und mehr zu einer Komödie, die Inhalte an Inhalte reiht, Botschaft an Botschaft. Das spielerische Moment, die Komödie kommt dabei deutlich zu kurz: überzogene Charaktere sind per se nicht komisch, wenn die Komödien-Struktur nicht stimmt. Dasselbe gilt für den Dialogwitz („Ihr seid ein Witz als Familie… billige Flittchen und miese Tunten“). Auch da winkt zu häufig die Message, zum Schmunzeln ist das nur selten.
Soundtrack: Dean Martin („It’s Beginning to look a lot like Christmas“), Sammy Davis jr. („Christmas Time all over the World“), PSY („Gangnam Style“), Beatles („Get Back“)
Im Gegensatz zu den (oben angeführten) Highlights des Genres wirken in dieser ARD-Degeto-Produktion alle Charaktere nur furchtbar ausgedacht. Und so bleibt den Schauspielern wenig Raum, das zwar mit Zeitgeist-Themen aufgepeppte, aber überaus konventionelle szenische Lügenspiel zu durchbrechen. Selbst Rampensau Michael Gwisdek muss sich am Riemen reißen; Gaby Dohm spielt ihre Psychotante beflissen und mit „moralischem“ Nachdruck, wie es das Buch verlangt und wie sie seit jeher zu spielen pflegt. Die anderen Darsteller und ihre Rollen sind kaum der Rede wert. Allein Johanna Gastdorf überrascht mit deftig komischer Schräglage. „Alle unter eine Tanne“ verabschiedet sich zwar vom weihnachtlichen Besinnungskitsch, holt dafür aber naives Wunschdenken mit frommen Aufrichtigkeits- und Ehrlichkeitsfloskeln aus dem Sack. (Text-Stand: 15.11.2014)