Axel Ranisch gilt als eine der größten deutschen Regiehoffnungen; dabei kennen ihn die meisten Zuschauer, wenn überhaupt, vor allem als gutmütigen dicken Kollegen des TV-Ermittlers Zorn aus der gleichnamigen ARD-Krimireihe. Ranisch verdankt seinen Ruf nicht zuletzt seinem Improvisationstalent; diese Art der Inszenierung gilt als letzter Schrei, seit Sebastian Schipper für „Victoria“ mit Preisen überschüttet wurde. Zuletzt durfte er mit seiner Methode für den SWR sogar einen „Tatort“ aus Ludwigshafen drehen. Sein Ruhm basiert auf den Filmen „Ich fühl mich Disco“ (2013) und vor allem „Alki Alki“, der 2015 eine bescheidene Kinoauswertung erlebte, das Prädikat „Besonders wertvoll“ erhielt und nun im ZDF zu sehen ist, weil das Kleine Fernsehspiel maßgeblich an der Produktion beteiligt war.
„Alki Alki“ ist dem harmlos klingenden Titel zum Trotz eine ernstzunehmende Tragikomödie, die überhaupt nicht improvisiert wirkt. Der Film ist dennoch zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, weil Ranisch, der das Drehbuch gemeinsam mit seinen beiden Hauptdarstellern Heiko Pinkowski und Peter Trabner geschrieben hat, gerade den ersten Akt mit seinen schlaglichtartigen Impressionen aus dem Alltag von Tobias (Heiko Pinkowski) sehr episodisch erzählt. Der Architekt und Bauingenieur tritt stets in Begleitung eines namenlosen und auch sonst nicht weiter eingeführten Mannes (Peter Trabner) auf, der ihm dank Vollbart und Statur flüchtig ähnelt. Gemeinsam mit Tobias’ Frau Anika (Christina Große) scheinen die drei eine Art menage à trois zu bilden, so dass der Film zunächst wie eine Hommage an den Truffaut-Klassiker „Jules und Jim“ wirkt. Seltsamerweise nimmt die Umgebung aber keinerlei Notiz von dem Gefährten, der sich mehr und mehr als sinistrer Einflüsterer entpuppt: Der unsichtbare Freund ist ein Geist, der stets verneint und Tobias regelmäßig dazu verführt, vor kleineren und größeren Problemen in den Alkohol zu flüchten.
„Was leicht ins Verklärende oder aber heillos Alberne hätte umkippen können, gerät in Kombination mit dem so eigenen, anarchischen Ranisch-Sound zu einer gänzlich unverkrampften Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht. Das Autorentrio meistert einen schwierigen Balanceakt: eine Tragikomödie, die großen Spaß macht und nie ihre Figuren verrät.“ (Spiegel online)
„Axel Ranischs Filme leben von absurder Komik, surrealen Einschüben und einer unverkrampften sinnlichen Improvisationslust … (Er) meidet die Problemfilmklischees gängiger Säuferdramen. Einer wie er, der auf sein positives Gemüt stolz ist und seine Wurzeln in theaterpädagogischen Projekten nicht verleugnet, sucht nach Ausdrucksmitteln, um selbst ein Suchtdrama nicht böse enden zu lassen.“ (epd film)
Wie immer in solchen Geschichten muss der Held erst ganz unten ankommen, um wieder zu sich selbst zu finden: Erst riskiert er bei einem Autounfall das Leben seiner Kinder, dann warnt ihn ein Arzt vor dem sicheren Ende, und schließlich wird ihm ins Gesicht gepisst, als er wieder mal volltrunken ist. Im ersten Moment ist es erschütternd, dass Ranisch im Anschluss das Meer zeigt, doch dann stellt sich heraus, dass sich Tobias endlich zur Suchttherapie durchgerungen hat. Während er selbst wieder ganz proper wirkt, ist nun sein Begleiter von den Spuren der nächtlichen Exzesse gezeichnet.
In der Umsetzung ist „Alki Alki“ auch aufgrund der offenkundig knapp bemessenen Mittel nicht weiter bemerkenswert, selbst wenn die Bildgestaltung (Dennis Pauls) dafür sorgt, dass man als Zuschauer quasi zum Dritten im Bunde wird, weil die mitunter irrlichternde Kamera immer mitten im Geschehen ist. Gespielt ist das allerdings famos; gerade Ranischs Stammspieler Pinkowski lässt nie einen Zweifel daran, dass der Film eine ehrliche Geschichte erzählt. In den euphorischen Momenten ist Pinkowski genauso glaubwürdig wie als völlig am Boden zerstörtes Wrack. In einigen Szenen wird es etwas zu laut, aber andererseits verdeutlicht Ranisch mit dem Streit zwischen Tobias und seinem Kompagnon Thomas (Thorsten Merten), dass es zwischen den beiden Partnern schon lange gärt: Erst brüskiert Tobias eine potenzielle Auftraggeberin, dann fällt er auf die Luftschlosspläne einer russischen Investorin (Iris Berben) rein; nun ist für Thomas eine rote Linie überschritten.
Als Kontrast zu dem Gebrüll zwischen den Partnern und erst recht zu den stampfenden Clubszenen inszeniert Ranisch die umso berührenderen Momente zwischen dem Ehepaar ganz leise und behutsam; Christina Große sieht neben dem Bud-Spencer-Format Pinkowskis ohnehin sehr fragil aus. Interessant ist auch die Idee, jeden Akt durch einen Liedermacher (Robert Gwisdek) einleiten zu lassen, dessen Sprechgesang gewissermaßen die Rahmenbedingungen beschreibt. Er ist es auch, der schließlich die Beziehung zwischen Tobias und seinem sinnigerweise „Flasche“ genannten Begleiter erörtert, den selbst ein Gewaltakt nicht vernichten kann. Trotzdem gelingt es Ranisch, die Geschichte zu einem zumindest zuversichtlich stimmenden Ende zu bringen. (Text-Stand: 13.7.2016)