Ist das wirklich seine Mutter, da vor Wendel Overmann – im Sarg? Ein Leben lang hatte er Zweifel. In einer Bombennacht, die seine Geburtsklinik in Schutt und Asche legte, kam er in München zur Welt. Da ist einiges denkbar. Er nutzt die letzte Gelegenheit. Und wenige Tage später hat er es schriftlich: keine Übereinstimmung. Jetzt tät er schon gerne seine Wurzeln kennen. Zeit hat er ja. Seit wenigen Tagen ist er pensioniert. Außerdem hat er gerade erst herausgefunden, dass seine Ex-Ehefrau, als Beziehungspartner ein absoluter Irrtum, als Freundin aber noch immer unersetzlich, trotz zweiter Ehe ein Verhältnis mit seinem besten Freund hat. Bei seinen Geburtsrecherchen stößt Wendel auf das Adelsgeschlecht der von Felsen-Hepp. Das wäre was, wenn ausgerechnet er, der Altachtundsechziger blaublütiger Herkunft wäre. Bei der Wahl seiner besseren Hälfte jedenfalls hatte der Herr Graf ein glücklicheres Händchen als der Journalist für die trockenen Behördenthemen. Auch jene Gräfin Walli wahrt zwar Contenance, aber auch sie scheint ein wenig in Wallung.
Bei Geburt vertauscht – in einer anderen als der gängigen dramatischen Doppelte-Eltern-Variante mit Anleihen beim „Kaukasischen Kreidekreis“. Sinnsuche im Alter ist kein seltenes Thema bei ARD und ZDF: Identitätssuche mit 65 Jahren ist jedoch schon ein Novum. „Adel dich“ ist eine höchst entspannte Komödie, die ihre kleine, leicht skurrile Geschichte erzählen will und die nicht um Lacher oder größtmögliche Originalität heischt. Sie besitzt kein großes Thema. Die Relativität der Herkunft eines Menschen schwingt ein bisschen zwischen den Bildern mit, die Zufälligkeit von Geschlecht und Geburt führt der Film einmal mehr vor Augen und indirekt wird die falsche Herrlichkeit des Adels als hohl entlarvt. Dass sich der Graf, den Friedrich von Thun als egomanischen Eisenhans in drei kurzen Szenen gibt, ausgerechnet bei einem lächerlichen Ritterspiel-Ritual das Genick bricht, ist kein Zufall wie vieles andere auch in dieser lebensklugen Selbstfindungsromanze mit leisem ironischen Unterton.
„Adel dich“ ist ein Schauspieler-Stück. Und die Besetzung ist vom Feinsten. Elmar Wepper definiert die Komödie von der Tragik her, ohne dass er die Lebensdramen seiner Figur zentnerschwer durch die Szenerie trägt. Hans-Jochen Wagner schwätzt breites Schwäbisch, Rita Russek kokettiert mit ihrer Weiblichkeit, Wolfgang Böck überzeugt einmal mehr als der perfekte Supporting Actor, Kathrin von Steinburg, quicklebendig, sorgt für die Frische im etwas muffigen Adelsambiente, Elke Winkens gibt die depressive Hausfrau und Bibiana Zeller glänzt mit ihrer ganz persönlichen Note als eigenwillige Haushälterin. Und Gisela Schneeberger? Es soll Leute geben, die meinen, sie würde ein Leben lang dieselbe Rolle spielen oder alle Rollen gleich anlegen. Man kann es auch ganz anders sehen. Der Reiz liegt bei ihr in der Variation des Bekannten. Im Bereich der „anspruchsvollen Unterhaltung“, ist das, was sie spielt, einzigartig. Wenn die Dialoge stimmen, gibt es im klassischen Komödienfach, im Spiel mit dem Doppelbödigen, hierzulande keine Bessere. Zwei Deutsche Fernsehpreise, 2006 und 2009, kamen nicht von ungefähr. In „Adel dich“ ist sie noch besser als in „Leo“ oder „Mit einem Schlag“, denn hier sammelt sie keine Lacher und ihre Walli gewährt dem Zuschauer ungewöhnlich tiefe seelische Einblicke für eine Schneeberger-Figur, ohne dabei auf den aus der Desillusionierung geborenen schnippischen Unterton völlig zu verzichten.
Die Schauspieler können so gut sein, weil das Drehbuch so gut ist. Die Erzählhaltung, die Gerlinde Wolf dieser weitgehend als Kammerspiel angelegten Komödie zuschreibt, entspricht in etwa auch der Haltung, die die beiden Hauptfiguren an den Tag legen. Es sind zwei warmherzige, kluge Köpfe, die eine ironische Spitze nicht scheuen, die aber auch wissen: das Leben ist zu kurz für schlechte Gefühle und negative Gedanken. Regisseur Tim Trageser bringt es auf den Punkt: „Das Drehbuch von Gerlinde Wolf ist ein bisschen melancholisch, ein bisschen weise, sehr komisch, manchmal auch etwas traurig, aber so lebensbejahend und reich, reich an lebendigen Figuren, die einem ans Herz wachsen und von denen ich mich nach dem Zuklappen des Buchs nicht verabschieden wollte.“ Übertragen auf den Zuschauer heißt das: dieser Film entlässt einen in einer schönen Stimmung, ohne einem etwas vorzumachen.