Ein Haltegriff, eine bandagierte Hand, ein intravenöser Zugang… Die Augen wollen noch nicht so recht, das Hirn reagiert träge. Nur langsam erwacht Felix Wagner (Ken Duken) aus der Narkose. Die Kamera wechselt aus der subjektiven Perspektive in die Draufsicht. Wagner trägt einen Kopfverband und hängt am Tropf. „Willkommen auf der Drei“, begrüßt ihn Schwester Susanne (Gisa Flake). „Hier gefällt‘s mir schon besser als auf der Intensivstation“, stöhnt Wagner. Die Schwester warnt: „Freuen Sie sich nicht zu früh.“ Das Krankenzimmer auf Station 3 wird für geraume Zeit Wagners Zuhause werden. Er hatte einen schweren Autounfall – Schädelhirntrauma, multiple Knochenbrüche. Da staunt sogar der selbstverliebte Dr. Metzler (Martin Brambach): „Soviel Schrauben und Nägel habe ich zuletzt gebraucht, als ich mein Ferienhaus renoviert habe.“ Und lacht wie meist als einziger über seinen Scherz.
Auch Wagners Zimmernachbar, der Biker Norbert (Sierk Radzei), verfügt über ein robustes Gemüt. Das hat er auch nötig, denn er blickt, wie sich zeigt, auf eine lange, komplizierte Krankengeschichte zurück. Arzt, Krankenschwester, Mitpatient, ein Kripobeamter sind vorerst die einzigen Personen, mit denen Felix Wagner direkten Kontakt hat. Mit allen anderen, Freunden, Familie, auch neuen Bekanntschaften, tritt er über seinen Laptop in Verbindung, den ihm sein langjähriger Freund, der Vermögensberater Tom Schrader (Friedrich Mücke), ins Krankenzimmer liefern ließ. Über das Computerauge hält Wagner seine auf Mallorca lebenden Eltern auf dem Laufenden und wird Zeuge ihrer Ehekrisen, er wird in Schraders windige Geschäfte hineingezogen, über eine soziale Plattform erhält er eine Einladung zu einem Klassentreffen und findet auf diesem Wege eine frühere Freundin (Friederike Kempter) wieder, mit der er via Computer zu flirten beginnt. Auch neue Bekanntschaften sind möglich. Wagner ist erfolgreicher Fotograf, und die junge Vanessa Jo (Emilia Schüle) bittet ihn per Bildtelefonie um Rat bezüglich ihrer Bewerbung bei einer Fotoakademie. Sie hält weiterhin Kontakt, gibt sich als Fan, sucht Wagners Freundschaft. Der, irritiert, auch geschmeichelt, entdeckt erst mit der Zeit, dass die junge Frau nicht in allen Dingen die Wahrheit sagt.
Aus der Begründung der Jury des Grimme Preises:
„Add a Friend“ erzählt mehr im lakonischen Ton als mit strengem Gestus von den Strategien, vom Alltag und von den kleinen Schicksalen der Digital Natives. Und berichtet, wie die Vernetzten im und mit dem Netz leben, lieben und leiden, leben, lieben und leiden lassen. Totus mundus agit, stand über der Bühne des größten Menschenkenners William Shakespeare. Die ganze Welt spielt, damals offline, heute online.
„Add a Friend“, 2012 auf TNT Serie erstausgestrahlt, ist eine Art „Fenster zum Hof“ des digitalen Zeitalters. Der versehrte Held schaut nicht mehr mit dem Teleobjektiv in die Wohnungen seiner Nachbarn, sondern schaltet sich per Videokonferenz ins Leben anderer, so wie er selbst, manchmal wider Willen, in deren Leben hineingezogen wird. So bezeugt er zufällig, wie Tom Schrader in seinem Büro mit der Freundin seines Chefs (Herforth) poussiert und dabei von dem Betrogenen ertappt wird. Zwar verlässt Wagner das Krankenbett, wenn er zu einer Untersuchung muss oder nochmals operiert wird, aber das blenden die Autoren aus und erzählen es nur mittelbar, über den Dialog zwischen Arzt und Patient oder dessen Wiedergabe des Geschehens im Austausch mit anderen. Die Zahl der Schauplätze ist entsprechend reduziert. Die meisten Szenen spielen sich im Krankenzimmer ab, manchmal springt die Handlung in Tom Schraders Büro oder Vanessa Jos Mädchenzimmer.
Die Zopfdramaturgie und auch die Inhalte folgen dem Muster einer typischen Daytime-Soap. Da gibt es den unvermittelten Bruch mit dem Gewohnten, im vorliegenden Beispiel der Unfall mit Fahrerflucht und der Krankenhausaufenthalt. Wagners Freund Tom ist spielsüchtig und verschuldet und hat zu Lasten seines Arbeitgebers einen Betrug inszeniert, der ständig von Entdeckung bedroht ist: ein wiederkehrendes Spannungsmoment, ebenso wie die ungeklärten Umstände von Wagners Unfall und die etwas aufdringliche Art der jungen Vanessa Jo, die, da ist der Zuschauer dem angeschlagenen Felix Wagner voraus, offenbar ungute Absichten hegt. Für den „Comic Relief“, heitere Momente der Entspannung, sorgen die Auftritte des eitlen Chirurgen mit dem sprechenden Namen Metzler und des gemütlichen Rockers Norbert.
Zur Ausnahmestellung verhilft dem seriellen Melodram mit komödiantischem Einschlag, dass die Handlungsstränge über die sogenannten sozialen Medien zusammengeführt werden. Deren Mechanismen wie Freundschaftsanfragen, schriftliche Mitteilungen, öffentlich gemachte Videos sind wesentliche Bestandteile der Erzählung. Trotz dieser – nebenbei kostensparenden – Reduktion auf Computerbildschirme und wenige Schauplätze nimmt die Inszenierung gefangen. Die Großaufnahme, wiederum Soap-typisch, bestimmt die Inszenierung, den Schauspielern wird präzises Mienenspiel abverlangt, seltener die ausholende Geste. Hauptdarsteller Ken Duken zeigt sich dem mehr als gewachsen, andere, darunter Shooting Star Emilia Schüle, tendieren zur Übertreibung. Und Martin Brambach als Arzt poltert immer wieder als wüste, aber sehr unterhaltsame Karikatur in die Szenerie, während der Part der geduldigen Krankenschwester Susanne seltsam unterbelichtet bleibt, als hätten die Autoren mit diesem Berufsstand nichts anfangen können. Das trübt den positiven Gesamteindruck, so wie auch die penetrante Zurschaustellung einer bestimmten Computermarke sowie die eines namhaften Web-Dienstleisters. Dergleichen lässt sich durchaus dezenter arrangieren.