Der Patchworkfamilien-Alltag ist schon nicht immer leicht. Aber Weihnachten treibt das Beziehungschaos auf die Spitze. Die Erwachsenen können sich mal wieder nicht einigen – und die Kinder, sechs an der Zahl, müssen darunter leiden, allen voran die kleine Nina (Lotta Herzog) und ihr Halbbruder Jeremy (Liam Noori). Die haben zwar mit Bauunternehmer Jerry (Juergen Maurer) und Lehrerin Bea (Sarah Bauerett) scheinbar das verlässlichste Umfeld, doch die junge Ehe steckt in einer handfesten Krise. Materiell gut aufgestellt sind auch Bestsellerautorin Andrea (Maria Furtwängler), die nach der Ehe mit Jerry zum eigenen Geschlecht konvertiert ist; sie und Nicole (Dennenesch Zoudé) haben ein Kind zusammen, für das Feuerwehrmann (Voll-) Horst (Leo Reisinger) den Samen spendete. In einem finanziellen Engpass befindet sich die dritte Partei: Shirin (Pegah Ferydoni), Jerrys zweite Ex-Frau, ist Krankenschwester und ihr etwas verstrahlter On-Off-Partner Till (Manuel Rubey) hat viele schräge Geschäftsideen, aber kein Einkommen. Diese Drei-Haushalte-Konstellation macht ein friedliches Weihnachtsfest schwierig, aber nicht unmöglich. Im letzten Jahr ging es ja auch. Allerdings lebte da noch die Oma (Inge Maux) – und die wusste, wie man diese sieben Egoisten unter dem Weihnachtsbaum glücklich vereint. Dieses Jahr müssen die Kinder Nachhilfe in Gemeinschaftskunde geben.
Foto: Degeto / Heinz Laab
„Familie kann nie groß genug sein“, der Untertitel des ARD/ORF-Fernsehfilms „Abenteuer Weihnachten“ und zugleich der Leitgedanke der verstorbenen Großmutter, wirkt zunächst wie der blanke Hohn. Hier denkt jeder nur an sich. Dass diese XXL-Familie mal zusammen mit ihren Kindern ein friedvolles Weihnachten gefeiert hat und möglicherweise dieses Jahr noch einmal feiern könnte, dieser Gedanke ist spätestens in weite Ferne gerückt, als Großkotz Jerry – ohne Bea oder Ex-Frau Andrea zu fragen – einen Malediven-Urlaub über die Feiertage gebucht hat. Die Kinder aber wollen sich ihr gemeinsames Weihnachtsfest nicht nehmen lassen. Dann eben ohne die Eltern! Angeführt von den Teenagern Jeremy und Frieda (Salome Manyak) rufen sie die „Operation Weihnachten“ aus: Mit Jerrys Kreditkarte im Gepäck machen sich die Sechs auf den Weg in die Tiroler Berge, in das leerstehende Haus der geliebten Oma, wo sie letztes Jahr ihr allerschönstes Weihnachten gefeiert haben. Den aufgebrachten Eltern hinterlassen sie einen Brief, den zumindest die weniger egozentrischen Erwachsenen als das annehmen, was er ist: ein Denkzettel im wahrsten Sinne. Durch die Kreditkartenabbuchungen weiß die „Familie“, wohin die Reise der Kinder ging. Also hinterher, ab in den Schnee!
Dramaturgisch ist dieses „Familie kann nie groß genug sein“ eine enorme Herausforderung. Dreizehn Charaktere, das kann schnell unübersichtlich werden. Es braucht auch tatsächlich eine Weile, bis man als Zuschauer die Beziehungen untereinander verinnerlicht hat und die emotionalen Zwischentöne goutieren kann. Anders als in weniger figurenreichen Geschichten setzt Autor Martin Rauhaus, Experte für lebenskluge und gewitzte Beziehungskonstellationen, deshalb auf überspitzere Charaktere mit entsprechend pointierteren Sätzen, als man es von ihm aus vergleichbaren Filmen wie „Nichts für Feiglinge“ (2014), Familienfest“ (2015) oder der „Hotel-Heidelberg“-Reihe (2016-19) kennt. „Ich zahle genug Steuern, um eine Armee zu kaufen, mit der man Österreich einnehmen könnte, und die Polizei tut nichts“, wettert beispielsweise Jerry. Oder Autorin Andrea verfällt in ihre Lebensratgeber-Coaching-Rhetorik: „Das ist unsere Chance zu zeigen – wir sind eine Familie, ein Team. Gebt mir die Hände. Wir machen einen Stärkekreis.“ Mit laufender „Spielzeit“ sind solche „Ansagen“ nicht mehr notwendig. Nach Südtirol reist jeder im eigenen Wagen. Die Interaktionen werden nun intimer, die Konflikt- und Tonlagen differenzierter. Mal wird es richtig komisch, mal gibt’s eher was zum Schmunzeln und mal geht’s ans Eingemachte einer Beziehung. Wenn Bea Jerry bei Schnee und Kälte wütend aus dem Wagen wirft, nachdem dessen Zynismus lautstark in einen Frust-Stakkato umgeschlagen ist, kann einem als Betrachter angst und bange werden, so authentisch gelingt Juergen Maurer und Sarah Bauerett dieser Ehestreit. Und damit nicht genug. Ausgerechnet diesem „Goldesel“ gehen der Sprit und dann die Taler aus. Derweil haben sich Andrea & Co in ihrem Hightech-Mietwagen selbst eingeschlossen. Und Till, der sich mit Sommerreifen ins verschneite Tirol aufgemacht hat, muss sich einmal mehr von seiner Liebsten aus dem Schlamassel ziehen lassen.
Foto: Degeto / Heinz Laab
Soundtrack: Bing Crosby („I Wish You a Merry Christmas“), John Lennon („Happy Xmas“), Wham („Last Christmas“), Dean Martin („Let It Snow“), Frank Sinatra („Jingle Bells“)
Bereits nach einem Drittel des Films ist die Herausforderung, die das umfangreiche Personal an die Narration stellt, gemeistert. Jetzt gewinnt die Geschichte gerade durch ihre Vielstimmigkeit. Für Abwechslung vom Streit der Erwachsenen sorgen schon zu Beginn die Situationen mit den Kindern. Wirken diese Szenen, was das Sprechen der Dialoge angeht, noch etwas hölzern, so spielen die Jungdarsteller in ihrer Villa Eiseskalt und der Schnee-Landschaft sich über ihre Aktionen frei – und Lotta „Nina“ Herzog sich in die Herzen der Zuschauer:innen. Zusammen mit den drei erwachsenen Roadmovie-Konflikt-Plots ergibt sich durch das ständige Hin & Her ein immer dynamischerer Erzählfluss, an dessen Ende die Eltern-Kinder-Zusammenführung stehen muss. Dass dieser Film trotz seiner multiplen Konflikte, den unterschiedlichen Ansprüchen und hohen Erwartungen an das Fest der Feste, nur mit einem Happy End unterm Weihnachtsbaum enden kann, gehört zur Vereinbarung mit dem Zuschauer. Aber wie es dazu kommt, welche Läuterungsfallen und Lebensgefahren überstanden werden müssen, welche Lügen und Geheimnisse der Erwachsenen durch die „Operation Weihnachten“ ihrer Kinder ans Tageslicht kommen, all das weiß man natürlich nicht. Und dieses Tohuwabohu macht von Filmminute zu Filmminute mehr Spaß.
Die Fahrt zu den Kindern wird so ein Stück weit für die Erwachsenen zu einer Reise zu sich selbst. „Abenteuer Weihnachten“ setzt also mehr auf Selbstbesinnung als auf Besinnlichkeit. Und trotzdem: Am Ende kann es einem schon warm ums Herz werden. Denn diesem Film von Mirjam Unger („Tage, die es nicht gab“) gelingt ein kleines Weihnachtswunder, indem er Dramedy-Tonlage und auf der Zielgeraden ein hohes Maß an Gefühl harmonisch miteinander vereint. Selbst wenn Maria Furtwänglers Autorin mit der Lizenz zum Family-Coaching kurz vor Schluss ihr „Was ist los mit uns!“-Plädoyer in die Runde schreit, ist das in diesem Weihnachtsfilm für die ganze Familie weitaus weniger peinlich, als es das in anderen Filmen ohne diesen Fest-der-Liebe-Mythos wäre (und außerdem passt diese „Botschaft“ zur Figur). Aber es ist nicht nur die Handlung, sondern es sind auch die Ingredienzien des Films, die – zumindest beim Kritiker – Wunder (be)wirken: eine tief verschneite Landschaft, ein Pferdeschlitten, ein gemütliches Holzhaus in den österreichischen Bergen – der Film rührt an tief sitzende Gefühle, an alte, möglicherweise verklärte Weihnachtserinnerungen. Sensible Seelen sollten für wohltuende Notfälle also auch eine Packung Taschentücher zur Hand haben.
Foto: Degeto / Heinz Laab
1 Antwort
Wirklich schlecht, Handlung, Dialoge ect.
Viele bekannte gute Schauspieler machen noch keinen guten Film.