Tatort – Schattenkinder

Zuercher, Schuler, Veith/Vukovic, Christine Repond. Es flirren Kunst & Künstlichkeit

Foto: Degeto / SRF / Sava Hlavacek
Foto Martina Kalweit

Der dritte Einsatz des weiblichen Ermittlerduos aus der Schweiz zeigt Zürich wenig beschaulich. Die Kommissarinnen dringen in eine versponnene Künstlerkommune vor. Dabei tragen die beiden ihren Zickenkrieg nicht mehr in gewohnter Härte aus. „Tatort – Schattenkinder“ (Contrast Film) erscheint eher als letzte Bewährungsprobe auf dem Weg zum schlagkräftigen Team. „Tatort“-Debütantin Christine Repond verleiht dem Fall in der filmischen Umsetzung einen eigenen, aufregenden Look. In einer kalten Welt fliegen Motten zum Licht und verbrennen. Das SRF-Team bleibt besonnen und auf einem guten Weg.

Verletzung und Läuterung. Kunst und Konsequenz. Achtzig Sekunden reichen Regisseurin Christine Repond, um das Thema ihres „Tatort“-Debüts in drei Gesichtern zu spiegeln. Drei junge Menschen, halbnah vor schwarzem Hintergrund, unterwerfen sich einem Initiations-Ritual. Sie lassen sich die Haare scheren und das ist nur der erste Schritt. Noch kann ihre Mimik erzählen. Sie werden nicht gezwungen, gehen offenen Auges diesen Weg. Trotzdem: um den Mund ein Zucken, ein trockenes Schlucken, jeder der Drei schlägt die Augen nieder. Gehen sie in den Tod? Für Sekunden muss man auch das in Betracht ziehen. Bevor ihr neues Gesicht erscheint. Ein bleicher, mit Tattoos verzierter Kopf dreht sich im schwarz-blauen Farbspiel. Ausdruckslos schwarze, durch Hornhaut-Tattoos optisch vergrößerte Pupillen sehen uns an. Es sind die Augen von Kunstobjekten. Sie nennen sich jetzt Cosmo, Shin und Indira. Die ersten achtzig Sekunden von „Tatort – Schattenkinder“ frieren ihre Verwandlung ein, dokumentieren die Auslöschung ihres früheren Ichs. Ein cooler Einstieg. Wenig experimentierfreudige Zuschauer mögen jetzt vielleicht umschalten. Das wäre schade.

Tatort – SchattenkinderFoto: Degeto / SRF / Sava Hlavacek
Befremdlich und zugleich auch faszinierend: ein mit Tattoos verzierter Kopf im Spiel der Farben. Indira (Zoë Valks)

Wer bleibt, erfährt bald, wer hier als erster stirbt. Auch der Tod ist kunstvoll inszeniert. Wie ein Schmetterlingskokon hängt der tote Cosmo in Nylon gewickelt in einer verlassenen Fabrikhalle. Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Granjean (Anna Pieri Zuercher) führt die Leiche zu einem traurigen Vater (Imanuel Humm) und zu der Ersatzmutter seines toten Sohnes. Die charismatische Kyomi (Sara Hostettler) umgibt sich mit einer Schar von Anhängern, die sich von der Wiederauferstehung als Kunstobjekt unter Kyomis Schutz Heilung versprechen. Heilung von den seelischen Schmerzen, die das Leben bisher für sie bereithielt. Cosmo, im wahren Leben Max (Vincent Furrer), trieb die ungute Melange aus abwesendem Vater und übergriffigem Schwimmlehrer zu Kyomis sektenartiger Kommune. Beider Schicksale werden sich zum Ende des Falls verschränken. Bis dahin nehmen die Ermittlerinnen mehrere Verdächtige ins Visier und beäugen dabei auch einander.

Der dritte Zürich-Fall mit dem neuen „Tatort“-Doppel fährt den Zickenkrieg zwischen den Ermittlerinnen deutlich zurück. Trotzdem spielt das Verhältnis der beiden zueinander eine große Rolle. Otts kriminalistische Zukunft hängt von einer Beurteilung durch ihre Kollegin ab. Der Vorgang hängt wie eine Glocke über dem Fall. Der macht erneut klar, wie unterschiedlich die beiden ihre Ermittlungsarbeit verstehen. Während Granjean aus großer Distanz agiert, geht Ott gefährlich nah ran. Die Szenen zwischen ihr und der verdächtigen Kyomi spielen das gekonnt aus. Wenn die beiden offen miteinander flirten, weiß der Zuschauer nie genau, wer blufft und wer schwächelt, wer wen um den Finger wickelt. Die Spannung gipfelt in eine Sequenz, in der sich Tessa Ott von Kyomi filmen und befragen lässt. Der Zuschauer kennt das Setting. Es ist Stufe eins im Objektwerdungsprozess von Kyomis „Kindern“. Ott sieht sich in dieser intimen Szene gleich mit zwei Beobachterinnen konfrontiert. Die eine hat sie vor Augen, die andere heißt Granjean, sitzt draußen im Wagen und hört alles mit. Während das Mit- und Gegeneinander unter den Frauen gelungen beobachtet und dramatisiert ist, behandeln die beiden Ermittlerinnen ihren Bürokollegen Noah (Aaron Arens) eher wie Dreck. Der Mann bekommt keinen Snack mitgebracht, hört kein Bitte und kein Danke.

Tatort – SchattenkinderFoto: Degeto / SRF / Sava Hlavacek
Cool: Die charismatische Kyomi (Sara Hostettler) umgibt sich mit einer Anhänger-Schar, die sich von der Wiederauferstehung als Kunstobjekt Heilung versprechen.

Neben dem Blick auf das Team konzentriert sich „Tatort – Schattenkinder“ auf verlorene Seelen, die auf geschäftstüchtige Akteure der Kunstszene treffen. Sie fallen auf die Versprechungen einer Subkultur herein, die künstlich erschaffen, den Ausstieg aus einer brutalen Wirklichkeit verspricht. Diese Wirklichkeit ist eine, in kaltes Grau-weiß getauchte Stadt. Oft regnet es, die Wolken hängen tief, alles wirkt fahl und ungesund. Die in Zwischenschnitten eingestreuten Aufsichten und Schwenks über Zürich sind von den konventionellen Bildern eines „Zürich-Krimi“ weit entfernt. Sie ähneln eher dem bedrohlichen Ort „Edda“ am norwegischen Fjord der Fantasy-Serie „Ragnarök“. Wo ein Haus am Rand der Stadt entfernt an traditionelle Alpen-Architektur erinnert, durchschneidet im nächsten Moment ein durchfahrender Zug im Hintergrund die Ruhe. Es ist offensichtlich: In „Schattenkinder“ wird jedes Idyll gebrochen. Stattdessen flirrt überall Kunst und Künstlichkeit. Auch im Kommissariat. Dort sitzt der auf Innendienst festgenagelte Noah im Dunkeln vor seinen Monitoren, hinter den Monitoren eine seltsam, an „Dalli Dalli“-Kulissen erinnernde Wabenwand. Statt den üblichen Stadtplänen hängen in den Büroräumen drumherum Gemälde und Kunstdrucke. Die Kamera zeigt sie nie lange und deutlich genug, um sie mit einer Handlung oder einer Person in Beziehung zu setzen. Die irritierende Verwandlung ins Leblose, die Maskenbildner Marc Hollenstein den Gesichtern der „Schattenkinder“ verleiht, setzt sich so in der Ausstattung (Urs Beuter) und den Bildern von Kameramann Simon Guy Fässler fort. Viele Verweise, keine Eindeutigkeit. Ton und Musik halten sich dagegen zurück. Gott bewahre vor zu viel Pathos. Das ist die Message und ein Running-Gag im Dialog der Kommissarinnen. Es ist wohl auch die Basis ihrer zukünftigen Zusammenarbeit. Passend dazu kommt bei aller Tragik des Finales am Ende sogar die Sonne durch. (Text-Stand: 24.2.2022)

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Reihe

ARD Degeto, SRF

Mit Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler, Aaron Arens, Sarah Hostettler, Zoë Valks, Vincent Furrer, Imanuel Humm, Marcus Mislin, Annette Wunsch

Kamera: Simon Guy Fässler

Szenenbild: Urs Beuter

Maske: Marc Hollenstein

Schnitt: Ulrike Tortora

Musik: Marcel Vaid

Redaktion: Urs Fitze, Gabrielle de Gara, Fabienne Andreoli (SRF), Birgit Titze (Degeto)

Produktionsfirma: Contrast Film

Produktion: Ivan Madeo, Stefan Eichenberger

Drehbuch: Stefanie Veith, Nina Vukovic

Regie: Christine Repond

Quote: 6,84 Mio. Zuschauer (22,3% MA)

EA: 13.03.2022 20:15 Uhr | ARD

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