Stefan Schaller ist mit „5 Jahre Leben“ ein bemerkenswertes Langfilmdebüt gelungen, das den Vergleich mit vielen besser budgetierten Gefängnisfilmen nicht scheuen muss. Schaller, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, hat das Drehbuch zu seinem Diplomfilm gemeinsam mit David Finck geschrieben. Es basiert auf Murat Kurnaz’ autobiografischem Guantánamo-Buch „5 Jahre meines Lebens“ und erzählt die bedrückenden Erlebnisse des Deutschtürken konsequent aus Sicht des Häftlings. Die Vorgeschichte wird in Rückblenden nachgereicht. Über weite Strecken ähnelt die Handlung jedoch einem Zwei-Personenstück: hier der Gefangene (Sascha Alexander Geršak), der bei einer Pilgerreise nach Pakistan festgenommen und an die Amerikaner verkauft worden ist, dort der Verhörspezialist Holford (Ben Miles), der Kurnaz mit Zuckerbrot und Peitsche zu dem Geständnis bewegen will, ein islamistischer Terrorist zu sein. Der CIA-Mann scheint alles über den Gefangenen zu wissen; bloß die Möglichkeit, dass es nichts zu gestehen gibt, ist in seinem Weltbild nicht vorgesehen.
„In seinem erschütternden Diplomfilm nimmt Schaller sich dem Leiden des als ‚deutschen Taliban‘ diffamierten Murat Kurnaz an. Er konzentriert sich auf etwa ein Jahr der Gefangenschaft und die Verhöre und zeigt ein kafkaeskes System mit all seinen zynischen Sadismen.“ (Blickpunkt: Film)
„’5 Jahre Leben‘ hätte ein spannender Politthriller werden können, verkümmert aber – eingesperrt hinter den Mauern Guantanamos – zu einem bloßen Häftlingsporträt, das aus nahezu jeder Diktatur der Geschichte stammen könnte. Erschreckend ist nur, dass man als Zuschauer nach zwölf Jahren Guantanamo bereit ist, jede einzelne der dargestellten Verhör- und Foltertechniken sofort als wahrheitsgemäß hinzunehmen. Autor und Regisseur Stefan Schaller hat letztlich der Mut gefehlt, die künstlerischen Freiheiten eines Spielfilms zu nutzen, um aus der realen Vorlage eine starke Erzählung zu basteln. Sein Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg bleibt ein anderthalbstündiges Folterdrama mit Rückblenden in die Radikalisierung in der Bremer Provinz.“ (Spiegel online)
Trotz der Konzentration auf die meist einseitig verlaufenden Gespräche wirkt die Kinokoproduktion „5 Jahre Leben“ nie wie ein Kammerspiel, sondern im Gegenteil sogar vergleichsweise aufwändig; die Ausstattung (Julian Wagner) sieht sehr authentisch aus. Interessanterweise haben Schaller und sein Kameramann Armin Franzen darauf verzichtet, den Film auch optisch düster zu gestalten; das Licht ist oft sogar gleißend hell, gerade die Einstellungen mit Gegenlicht sind sehr kunstvoll. Inhaltlich aber ist das Drama an Grausamkeit kaum zu überbieten; die Verbrechen gegen die Menschlichkeit reichen von ständigen Schlägen und Tritten bis zu Isolationsfolter in einem permanent hell erleuchteten Raum, in dem Kurnaz abwechselnd großer Hitze und bitterer Kälte ausgesetzt wird. Hinzu kommen Psychotricks wie eine scheinbare Freilassung, bei der der Häftling bereits im startbereiten Hubschrauber sitzt. Ähnlich wie der Vogel in dem Klassiker „Der Gefangene von Alcatraz“ ermöglicht eine Eidechse dem Gefangenen kleine Kopffluchten. Der Moment, als Holford ihn zwingt, das Tier zu töten, ist fast noch erschütternder als die vielfältigen Foltermethoden.
„Der Schauspieler Sascha Gersak kehrt jene innere Stärke der Hauptfigur nach außen, die dem Regisseur so wichtig war. Es ist eine außergewöhnliche Leistung: Als Murat Kurnaz erleidet Gersak die perfiden Zurichtungsstufen des Systems Guantanamo, ohne zum Übermenschen oder Märtyrer zu werden. Gersaks Kurnaz wirkt autonom noch in der Einzelhaft; dass dieser Eindruck nicht erklärt wird, macht eine der Stärken, Irritationen des Films aus. Er ist oft schwer auszuhalten, etwa wenn Kurnaz das ihm im Lager Liebste genommen wird: ein kleiner Leguan. (…) ‚5 Jahre Leben‘ ist die Diplomarbeit von Stefan Schaller an der Filmakademie Baden-Württemberg. Es braucht mehr Regisseure wie ihn, die unbequeme Themen meisterlich fürs deutsche Kino reklamieren.“ (FR)
Auch wenn eine Hollywood-Produktion wie Kathryn Bigelows „Zero Dark Thirty“ nicht der Maßstab sein kann, an dem Schallers Film gemessen werden sollte: Die Verhörszenen halten einem Vergleich durchaus stand, zumal allein das Ausmaß an Empörung, das der Film hervorruft, seine Qualität unterstreicht. Im Grunde hat „5 Jahre Leben“ nur ein Manko: Meist wird das Gebrüll der Aufseher untertitelt, aber zwischendurch sprechen sie deutsch, und auch der Vernehmer kann sich tadellos auf deutsch mit Kurnaz unterhalten; das irritiert etwas.
Die Kinoauswertung des Dramas war sehr überschaubar, der Film hatte nicht einmal 10.000 Zuschauer. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis wurde „5 Jahre Leben“ 2013 mit dem „Interfilm-Preis“ und „Preis der Jugendjury“ ausgezeichnet. (Text-Stand: 17.1.2015)