24 Wochen

Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Anne Zohra Berrached. Schonungslos wahrhaftig

Foto: ZDF / Friede Clausz
Foto Tilmann P. Gangloff

Normalerweise zeigt das ZDF die Produktionen des Kleinen Fernsehspiels nach Mitternacht. Umso respektabler ist die Ausstrahlung dieses ungemein berührenden Dramas als „Fernsehfilm der Woche“. Der Film erzählt die bewegende Geschichte eines Elternpaars, das im Verlauf der Schwangerschaft erfährt, dass das Kind nicht nur mit dem Down Syndrom, sondern auch mit einem schweren Herzfehler zur Welt kommen wird. Ganz herausragend ist die Leistung von Julia Jentsch, die nie das Gefühl vermittelt, sie spiele eine Rolle. Mutig war auch die Entscheidung von Regisseurin Anne Zohra Berrached, das medizinische Personal ausnahmslos mit echten Ärzten und Hebammen zu besetzen, was den Film im Zusammenspiel mit der Bildgestaltung überweite Strecken sehr dokumentarisch wirken lässt.

Das Medium Film kennt viele Möglichkeiten, Emotionen zu wecken. Anne Zohra Berrached hat einen ganz eigenen Weg gefunden, und nicht nur das macht „24 Wochen“ zu einem außergewöhnlichen Werk. Die Regisseurin erzählt die Geschichte von Astrid (Julia Jentsch), einer Mutter, die ihr zweites Kind erwartet. Bei einer Untersuchung stellt sich raus, dass das Baby den Gendefekt Trisomie 21 hat; es wird mit dem Down Syndrom auf die Welt kommen. Angesichts der Behinderung gäbe es die Möglichkeit einer Spätabtreibung, aber für Astrid und ihren Lebensgefährten Markus (Bjarne Mädel) ist klar, dass sie das Kind trotzdem bekommen wollen. Als sie im sechsten Schwangerschaftsmonat erfahren, dass ihr Sohn zudem einen schweren Herzfehler hat, der auch durch eine Operation unmittelbar nach der Geburt nicht restlos behoben werden kann, müssen sie eine Entscheidung über Leben oder Tod treffen.

Henriette Piper (Buch) und Franziska Meletzky (Regie) haben in ihrem ARD-Drama „Nur eine Handvoll Leben“ (2016) eine ganz ähnliche Geschichte erzählt (das Baby hatte Trisomie 18), aber Berrached wählt einen völlig anderen Ansatz. „24 Wochen“ ist kein Dokumentarfilm, enthält jedoch entsprechende Elemente; eine Methode, mit der die Regisseurin schon ihr Debüt „Zwei Mütter“ (2013) über ein lesbisches Paar auf der Suche nach einem Samenspender inszeniert hat. Das medizinische Personal ist ausnahmslos mit echten Ärzten und Hebammen besetzt, was den entsprechenden Szenen eine Authentizität verleiht, die Schauspieler nicht erreichen würden. Weil die Gespräche hörbar nicht aus vorgegebenen Dialogen bestehen, wirken sie dokumentarisch und entfalten gerade dadurch eine tiefe Emotionalität. Wenn das Drama ein ganz normaler Film sein will, lässt die Wirkung prompt ein wenig nach: Berrached, die zuletzt einen sehenswerten „Tatort“ aus Niedersachen gedreht hat („Der Fall Holdt“), und Koautor Carl Gerber hatten die Idee, aus ihrer Hauptfigur eine bekannte Komödiantin zu machen. Bei den Bühnenauftritten erschließt sich zwar nicht, warum Astrid derart beliebt ist, aber natürlich soll die Popularität die Fallhöhe vergrößern. Außerdem spielt die Karriereplanung eine nicht unerhebliche Rolle für die Familienplanung: Markus ist ihr Manager, die beiden sind aufgrund von Astrids Tourneen und TV-Auftritten entsprechend viel unterwegs. Ihre Tochter überlassen sie derweil Babysitterin Kati (Maria Dragus), aber das Mädchen lässt keinen Zweifel daran, dass es nicht auch noch auf einen Jungen mit Down Syndrom aufpassen wird. Als schließlich irgendjemand den Medien steckt, dass Astrid ein behindertes Kind erwartet, ist die Entscheidung, die das Elternpaar treffen muss, plötzlich keine Privatsache mehr.

24 WochenFoto: ZDF / Friede Clausz
Sehr innige Beziehung. Herausragend: Julia Jentsch. Auch Arne Mädel überzeugt in einer ernsten Rolle. Berracheds Film bekam den Deutschen Filmpreis 2017 in Silber.

Anne Zohra Berrached will in „24 Wochen“ nicht für oder wider Spätabtreibung argumentieren, sondern von dem Dilemma erzählen, vor dem betroffene Frauen stehen. Außerdem zeigt sie, wie Diagnose, Beratung, schließlich Abtreibung oder Behandlung des Neugeborenen ablaufen – das ist harter Stoff. Der Zuschauer erfährt einiges, was er so genau vielleicht lieber nicht wissen wollte, aber darum geht es ja gerade. (…) Es sind diese außergewöhnlichen Schauspieler, die „24 Wochen“ zu einem packenden, lebendigen Film machen. So viel Gewicht lastet darauf – durch die gesellschaftliche Bedeutung des Themas, die vielen Fakten, die die Regisseurin gesammelt hat – dass es ihm auch die Luft hätte nehmen können. Aber mit Julia Jentsch leidet und hofft der Zuschauer bis zum Schluss mit. (Martina Knoben – epd film, 26.8.2016)

Die stärkste Erinnerung an den Film: direkt nach der ersten Pressevorführung auf der Berlinale, als noch keine einzige Kritik erschienen war. Noch ganz allein mit dem Gefühl: Dieser Film ist zutiefst persönlich. Ich werde ihn gegen alle verteidigen. Soll sie nur kommen, die aufgebrachte Mannschaft moralisch selbstgewisser Angreifer! Es kam dann ganz anders. Die meisten Kritiker mochten „24 Wochen“, wütend war kaum jemand. Und die Augen vieler: verweint. (…) „24 Wochen“ ist schonungslos und schwer erträglich. „24 Wochen“ ist warm und beglückend. Beides trifft zu. Und wenn nun über einen solchen Film erstaunlicherweise doch Konsens herrscht, was wäre daran weiter schlimm? Konsens über eine Unentscheidbarkeit, ist das nicht Toleranz? „24 Wochen“ erzählt von Menschen, die sich gegen ein Leben entscheiden, und ist dabei menschenfreundlich und lebensfroh. Mehr scheinbarer Widerspruch geht kaum. Mehr filmische Kraft ebensowenig. (Julia Dettke – Tagesspiegel, 21.9.16)

24 Wochen
Auch die die kleine Nele (ein Naturtalent: Emilia Pieske) wird in die Familienproblematik einbezogen. Bjarne Mädel

„24 Wochen“, Berracheds Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg, ist 2016 mit überschaubarem Erfolg (70.000 Besucher) in den Kinos gelaufen. Das Drama ist in Koproduktion mit der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel entstanden, dessen Filme in der Regel erst nach Mitternacht ausgestrahlt werden. In diesem Fall macht das „Zweite“ eine respektable Ausnahme; gemessen an den Krimidramen, die der Sender montags als „Fernsehfilm der Woche“ zeigt, ist Berracheds Arbeit ganz schön schwere Kost. Aber es lohnt sich, sich darauf einzulassen, weil die Regisseurin ihre Geschichte gerade auch dank ihrer formidablen Hauptdarstellerin mit enormer Intensität erzählt. Julia Jentsch fügt sich perfekt in den quasidokumentarischen Charakter der Inszenierung, weil sie (mit Ausnahme der Bühnenszenen) nie das Gefühl vermittelt, sie spiele eine Rolle. Bjarne Mädel ist eher ihr Anspielpartner als eine zweite Hauptfigur, füllt diese Funktion aber ähnlich ausgezeichnet aus. Die Familienszenen zu Beginn sorgen dafür, dass Astrid, Markus und die neunjährige Nele (Emilia Pieske) als Einheit eingeführt werden. Ein schlichtes Bild verdeutlicht die Innigkeit, die zwischen dem Paar herrscht, als Markus seiner Gefährtin die Fußnägel schneidet, weil sie wegen des Babybauchs nicht dran kommt. Später wird diese Harmonie offenem Streit weichen, als sich Markus bei Astrids Entscheidung für oder gegen das Kind ausgeschlossen fühlt. Ähnlich diffizil sind die Momente, in denen das Paar die erschütternden Nachrichten verkraften muss. Auch dafür hat Berrached interessante Lösungen gefunden, indem sie die Informationen mit Verzögerung mitteilt. Selbstredend verfehlt es seine Wirkung nicht, wenn Astrid die Frage aller Fragen stellt – „Was machen wir denn jetzt?“ – und anschließend in die Kamera schaut; ein Regieeinfall, den Berrached später noch mal wiederholen wird. Dieser Blick steht natürlich in deutlichem Gegensatz zur dokumentarischen Bildgestaltung: Immer wieder muss Friede Clausz, der auch schon bei „Zwei Mütter“ dabei war, um Hindernisse herumfilmen, und bei Dialogen verdeckt ständig der Hinterkopf des Gesprächspartners einen Teil der Sicht; ganz so, als wäre die Kamera (und damit das Publikum) ein teilnehmender Beobachter, der nicht im Weg sein, aber trotzdem alles mitbekommen will. Reizvoll sind auch die anfangs rätselhaft anmutenden Bildcollagen, mit denen Berrached die Kapitel trennt; die Zwischenspiele zeigen mal den Fötus im Fruchtwasser und mal Astrid bei der Wassergymnastik. Der Glücksfall dieses Films aber ist Julia Jentsch, der es scheinbar mühelos gelingt, zu Tränen zu rühren; der geflüsterte Satz, mit dem dieses ungemein berührende Drama endet, hallt noch lange nach. Beim Deutschen Filmpreis 2017 ist „24 Wochen“ mit dem Filmpreis in Silber ausgezeichnet worden; nominiert war der Film zudem in den Kategorien beste Regie, bestes Drehbuch und beste weibliche Hauptdarstellerin.

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Kinofilm

ZDF

Mit Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, Maria Dragus, Mila Bruk, Sabine Wolf, Karina Plachetka

Kamera: Friede Clausz

Szenenbild: Janina Schimmelbauer, Fabian Reber

Kostüm: Bettina Werner

Schnitt: Denys Darahan

Musik: Jasmin Reuter.

Soundtrack: Dr. Alban („Sing Halleluja“)

Redaktion: Burkhard Althoff

Produktionsfirma: zero one film, Filmakademie Baden-Württemberg, Das kleine Fernsehspiel

Produktion: Melanie Berke, Tobias Büchner, Thomas Kufus, Thomas Schadt

Drehbuch: Carl Gerber, Anne Zohra Berrached

Regie: Anne Zohra Berrached

Quote: 3,51 Mio. Zuschauer (10,6% MA)

EA: 26.03.2018 20:15 Uhr | ZDF

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