Olaf Gabriel (Jörg Schüttauf) ist auf dem Absprung. Es ist der Tag, an dem der einzige Mitarbeiter der Polizeistelle in Hedly sein Amt an seinen Nachfolger übergeben will. Doch der kommt nicht wie erwartet mit dem 12-Uhr-Zug. Dafür ist Simon Held (Thomas Arnold), begleitet von zwei üblen Burschen (Milton Welsh & Arnel Taci), auf dem Weg in den kleinen Ort. Der Mann, gegen den Gabriel vor sechs Jahren in einem Bankraubprozess ausgesagt hat, ist seit heute wieder auf freiem Fuß. Will er sich an dem Polizisten rächen? Hat er in Hedly vielleicht die erbeuteten 800.000 € versteckt? Oder will er nur seinen Bruder (Gerdy Zint) „besuchen“? Der nämlich liegt hier auf dem Friedhof. Gabriel hatte ihn während des Überfalls festgenommen; allerdings verstarb dieser wenig später auf der Polizeidienststelle. Antworten für die offenen Fragen von damals sucht vor allem die LKA-Beamtin Gracia Keller (Rosalie Thomass), die offensichtlich nicht nur zum Schutz von Gabriel nach Hedly gekommen ist. Auch die Möglichkeit, der Polizist habe durch eine Falschaussage Held hinter Gitter gebracht, steht im Raum. Das würde für einen Besuch aus Rachegründen sprechen. Gabriel jedenfalls wird immer nervöser, denn Arne Herbst (Rainer Piwek), der dritte Mann, der am Bankraub mutmaßlich beteiligt war, ist bereits im Ort. Und Held wird mit dem 13-Uhr-Zug erwartet.
Schon der Ortsname klingt mehr nach dem Amerika der Pionierzeit als nach einem norddeutschen Dorf. Die Konfliktsituation kennt man aus unzähligen Western; auf den bekanntesten spielt denn auch der Filmtitel an. „13 Uhr mittags“ ist ein Krimithriller unter deutlicher Zuhilfenahme der Komödie und eben ganz besonders jenes uramerikanischen Genres. Der Bahnhof, die coolen Blicke der Killer, ein Pferdewagen für den Transport von Särgen, Schrotflinten und reichlich Blei in der Luft – ikonografisch sind die Verweise deutlich. Und auch mit der Musik – anfangs minimalistisch im leicht parodistischen Hill/Spencer-Modus mit Gitarre und Akkordeon, später in Richtung Showdown flächiger und größer – konnotiert man als Zuschauer bzw. Zuhörer Cowboys, Pferde und Pistolen. Erzählt wird – „High Noon“-like – die Geschichte eines Helden mit dem Rücken zur Wand, der durch das Bedrohungsszenario in vermeintlicher Anlehnung an Gary Coopers Rolle im Referenz-Klassiker von 1952 eher zum Anti-Helden wird. Dieser Polizeibeamte hat ein sichtlich schlechtes Gewissen, er weiß auch, dass er diesem Gangster nicht gewachsen ist – und so packt ihn mehr und mehr die Angst. Wie Will Kane sucht sich der scheidende Polizist Verbündete: einen nationalistisch gesinnten, ausländerfeindlichen Gastwirt, der „für den nationalen Widerstand“ ein riesiges Waffendepot gebunkert hat, sich dann allerdings als wenig geeigneter „Waffenbruder“ erweist. Und so stehen Gabriel „nur“ zwei Frauen zur Seite: anfangs jene LKA-Ermittlerin, die sich als wesentlich tougher als er erweist, und am Ende die Frau des Sargmachers, immerhin die Schützenkönigin von Hedly, ein echtes Flintenweib, dem auch das Kostümbild ein veritables Western-Outfit verpasst hat. Auch Jörg Schüttaufs Schnäuzer und Gabriels anfängliche Duckmäuserhaltung unterstützen wunderbar das Bild vom kleinen Mann, der bis kurz vor der Zielgeraden immer kleiner wird. Als er dann aber zum Kämpfer mutiert (ohne allerdings seiner Rolle als „Sheriff“ wirklich Ehre zu machen) und die Augenpaare der Kontrahenten „Spiel mir das Lied vom Tod“ zitieren, strahlt der Himmel plötzlich mehr denn je in dem verwaschenen Vintage-Blau früher Hollywood-Farbwestern.
Das Drehbuch zu „13 Uhr mittags“ stammt von Holger Karsten Schmidt, zuletzt „Sanft schläft der Tod“ und Gladbeck“, der bei diesem Fernsehfilm seinen Namen allerdings hinter dem Pseudonym Klaus Burck (es ist der Name einer seiner Romanhelden) versteckt hat. Weshalb der mit über 70 Drehbüchern in 23 Jahren und drei Grimme-Preisen produktivste deutsche Qualitätsautor und Experte für kluges Genre-TV das gemacht hat, lässt sich schwer erahnen. Jedenfalls verraten die Inszenierung von Martina Plura und die Kameraarbeit ihrer Zwillingsschwester Monika Plura bei ihrem immerhin erst zweiten Langfilm nach dem launigen „Vorstadtrocker“ auf den ersten Blick keine deutlich erkennbaren Mängel. Auch die Besetzung erscheint passend. Mal eben Jörg Schüttauf und nicht der sonst vom Team Autor Schmidt und Produzentin Claudia Schröder häufig präferierte Hinnerk Schönemann, der in dieser Rolle nur schwer vorstellbar wäre. Auch Rosalie Thomass, die in „Tod einer Polizistin“ schon einmal sehr eindrucksvoll den weiblichen Bullen geben durfte, überzeugt in ihrer Rolle. Und Thomas Arnold, früher gern als „Bad Guy“ besetzt, darf im Rahmen des nicht ganz ernsthaften Genres seinen „Rächer“ menschlich anlegen, was durchaus ein Gewinn ist.
Dagegen überrascht es, dass in „13 Uhr mittags“ das Erzählte vordergründiger erscheint als in anderen Drehbüchern von Holger Karsten Schmidt. Wie bereits beschrieben werden bekannte Western-Codes unmissverständlich in Bild und Ton umgesetzt, nach einem Subtext in den Beziehungen sucht man indes vergeblich: Da werden keine Abgründe bei den Charakteren ernsthaft ausgelotet, und da ist auch nichts Unterschwelliges oder gar zwischenmenschlich Doppeldeutiges im Spiel. Der fremdenfeindliche Nationalist ist ein – wenn auch feiger – fremdenfeindlicher Nationalist, das Flintenweib, das offensichtlich aus Zuneigung ihr Leben riskiert, bleibt ein ebensolches, und die Frau vom BKA ist bei aller Coolness eine eher eindimensionale Figur. Die Schmidt-typische Mischung aus zielgerichteter Geschichte und Amüsement des Augenblicks wirkt hier etwas gröber als in den ZDF-Landkrimis mit Hinnerk Schönemann, und die Western-Anleihen sind expliziter als in seinen ARD-Reihen „Nord bei Nordwest“ und „Harter Brocken“. Was man also noch am ehesten an diesem Film kritisieren könnte, sind Dinge, die man eher dem Drehbuch zuschreiben müsste. Auffallend ist außerdem, dass die wesentlichen Antworten in den zahlreichen Rückblenden relativ früh dem Zuschauer gegeben werden. Dadurch verringert sich die Spannung auf den Ausgang und das Wie tritt – wie so oft in guten Krimis oder Thrillern – mehr in den Vordergrund. Denkbar ist allerdings, dass Schmidt den einen oder anderen Flashback später eingeplant und so den Zuschauer etwas länger im Ungewissen gelassen hätte. Wie dem auch sei, „13 Uhr mittags“ ist eine willkommene frühsommerliche Abwechslung auf dem ARD-Mittwochstermin. Ein Film, der nicht nur in Erinnerung bleiben wird wegen eines „Psycho“-liken Bruchs mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Bemerkenswert ist auch die Filmdauer von 80 Minuten. Die Sendelänge entspricht zum einen dem geradlinigen Plot (erzählte Zeit: etwa zweieinhalb Stunden), zum anderen erinnert sie an die B-Western der goldenen Hollywood-Ära. Aber selbst das Edelwestern-Vorbild „12 Uhr mittags“ hatte mit Abspann gerade mal 85 Minuten. Apropos Abspann: Auch der gefällt mit seinem angemessen nostalgischen Look.