„10 Sekunden lang hat er nur geguckt. Und kann nichts machen. Dann waren die beiden Punkte weg und 83 Menschen tot.“ Ein Flugzeugabsturz lastet schwer auf den Seelen mehrerer Menschen. Da ist der Fluglotse, der vor dem Überwachungsmonitor saß und mit ansehen musste, wie sich die beiden Punkte, die zwei Flugzeuge symbolisierten, aufeinander zu bewegten und kollidierten. Da ist seine Frau, die ihm so gut es geht über seine Schuldgefühle hinweghelfen möchte und die selbst versucht, sich mit einer Affäre emotional aufzurichten. Von Bildern und Erinnerungen an die Katastrophe heimgesucht wird auch ein Polizist, der nach dem Absturz vor Ort war und dem Grauen ins Gesicht schauen musste. Und da ist schließlich noch der Mann, der bei dem Unglück seine Frau und seine Tochter verlor, der sich Vorwürfe macht, weil er zum Flug geraten hatte, und dem ein Jahr später keine bessere Antwort auf seine Trauer einfällt als Vergeltung.
„10 Sekunden“ von Nicolai Rohde ist inspiriert von den Begebenheiten des Flugzeugunglücks von Überlingen, das sich am 1. Juli 2002 ereignete. Es ist der zweite Spielfilm, der sich mit diesem Unglück auseinandersetzt, das auch in Wahrheit ein zweites Unglück, den Mord an dem Fluglotsen, nach sich zog. Ken Duken spielte eindrucksvoll die schuldbeladene Hauptrolle in „Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen“, ein Primetime-Fernsehfilm, der als hoch emotionales tragisches Doppel im Stile einer klassischen Tragödie erzählt wurde. Rohde geht mit seinem „Kleinen Fernsehspiel“, das kurzzeitig den Weg in die Kinos fand, einen anderen Weg. Der Film heftet sich nicht auf die Fersen des Schicksals, sucht nicht den tragischen Schlussakkord, sondern spürt Momente im Leben der vier Hauptfiguren nach dem ersten Unglück auf, Momente, die schicksalhaft und zukunftsweisend sind. Es geht um (Übertragung von) Schuld, um subjektive Vergangenheitsbewältigung und um Verzweiflung.
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„10 Sekunden“ sucht den magischen Moment – auch in den Bildern. Anfangs möchte man „Standbild“ rufen, doch dann gewöhnt man sich an die formvollendete Visualisierung, die pittoresk nach außen gekehrten Traumatisierungen. Weil das Leiden hier kaum Nuancen kennt, wirkt die Verzweiflung zunehmend ausgestellt. Auch die Dramaturgie der Vermaschung, das Vor- und Zurückspringen in der Chronologie der Erzählung, ist auf Dauer kontraproduktiv: Der Zuschauer weiß bald mehr als die hinterher schleichende Montage. Der Regisseur versprach sich von dieser Technik jenseits der Erzählkonventionen offenbar ein genaueres Hin-Sehen. Das hätte Rohde auch weniger ambitioniert haben können: auch und gerade innerhalb einer klassischen Erzählung wären dem Zuschauer die einzelnen Szenen ins Auge gesprungen. Denn der Film hat großartige Augen-Blicke. Marie Bäumer, Sebastian Blomberg und Hannah Herzsprung haben starke Momente, Momente, in denen sie mehr als nur ihre Befindlichkeit veräußerlichen. Aber es gibt eben auch die anderen, die anstrengenden Szenen, die „10 Sekunden“ zu 83 ziemlich anstrengenden Minuten machen.