Ein seltsamer Abend in einem Insel-Hotel – und plötzlich ist nichts mehr wie es war
Katrin (Anna Schudt) solle sich mal locker machen, empfiehlt Mark (Felix Klare), ihr Mann. Die beiden führen eine Ehe, die man gemeinhin als glücklich bezeichnen würde, und sie haben zwei Kinder im Teenageralter, Elisa (Luise Helmer) und Bastian (Tom Gronau). Allenfalls bei besagter Lockerheit unterscheidet sich das Paar. Sie liebt es klar und strukturiert; er gleicht ihre Strenge mit Humor und einer gewissen Leichtigkeit aus. Als Katrin Mark beim Wort nimmt und sich spontan nach einem Kongress zu einem Ausflug auf eine Insel entscheidet, ergibt sich daraus eine Situation, die ihren Gefühlshaushalt völlig durcheinanderbringen wird. Das Wetter verhindert die Rückfahrt ans Festland. Und so muss sie den Abend und die Nacht in einem leeren Hotel verbringen. Der einzige Gast, der das gleiche Schicksal mit ihr teilt, ist ein charmanter Fremder (Mark Waschke). Das vorgestrige Ambiente des Hotels lässt die beiden in einen ironischen Dialog verfallen, und sie phantasieren sich dabei zurück in die Zeit des Kalten Kriegs. Während sich der nicht unattraktive Mann als KGB-Agent ausgibt, spricht er Katrin, die sich von der Wirtin ein luftiges Sixties-Kleidchen ausgeliehen hat, als 007-Sekretärin Miss Moneypenny an. Ein amüsantes Rollenspiel nimmt seinen Lauf und mündet in einem Tanz: Elvis schmachtet „I’m falling in Love“. Dann verschwindet Katrin auf ihr Zimmer – allein. Man muss es ja nicht übertreiben mit der Lockerheit. Am nächsten Morgen ist die Sturmflut vorbei. Es geht wieder nach Hause zur Familie und zu ihren Freundinnen, zu Single Iris (Julia Malik) und Sanne (Kathrin Angerer), die nach 17 Jahren ihrem Partner das Ja-Wort geben will. Doch diesen seltsamen Abend kann Katrin einfach nicht vergessen.
Foto: Degeto / Marion von der Mehden
Die amourösen Möglichkeiten werden in einem präsexuellen Stadium durchgespielt
Der Titel „Zwischen zwei Herzen“ legt nahe, dass das nicht alles gewesen sein kann zwischen der weiblichen Hauptfigur und jenem Fremden, der wenig später in ihrem Umfeld unerwartet wiederauftauchen wird. Sein Name, Peter Hartmann, klingt wenig abenteuerlich, mehr nach „ganz normal“, entsprechend dem Umstand, dass auch er in einer festen Beziehung lebt. Beide sind aber nach wie vor voneinander fasziniert. Der Film von Markus Herling („Seitensprung mit Freunden“) nach dem Drehbuch von Alexandra Maxeiner („Das Pubertier“) hebt nun aber keineswegs an, eine klassische Dreiecks- oder Vierecks-Geschichte zu erzählen, die zeigt, wie unergründlich die Wege der Liebe sein können, sondern er bleibt sehr viel offener für einen Beziehungsdiskurs, indem er mehr einer Liebe in Gedanken Ausdruck verleiht. Unabhängig davon, wer letztlich mit wem im Bett landet, machen alle drei Hauptfiguren neue Erfahrungen. „Mein Leben ist schön, so wie es ist“, sagt Katrin nach 70 Filmminuten. „Mein Leben ist so schön, dass ich bisher überhaupt nichts dran vermisst habe“, findet auch Peter, und doch fühlt es sich für ihn auf einmal so an, als ob etwas fehlen würde in seinem Leben. Auch für Mark ist es eine neue Situation: Wie damit umgehen, dass auf einmal seine Verlässlichkeit und seine Entspanntheit bei Katrin nicht mehr so hoch im Kurs stehen? Die Geschichte spielt die amourösen Möglichkeiten in einem präsexuellen Stadium durch. Das hat nichts mit Prüderie oder öffentlich-rechtlicher Primetime-Moral zu tun, allenfalls eher mit dem Wunsch, auch einen Teil der Zuschauer bei ihren Sehnsüchten abzuholen. Wie gesagt: Diese Narration befördert die Reflexion über das Thema mehr als eine herkömmliche Dreiecksgeschichte dazu in der Lage ist, an die man als Zuschauer emotionaler und voreingenommener herangehen dürfte und bei der man das Thema wohl nicht so nah an sich herankommen lassen würde.
Foto: Degeto / Marion von der Mehden
Für die Ehefrau ist der Punkt erreicht, an dem das „Wir“ mal eine Pause braucht
Was das Leben nicht alles für einen bereit halten kann, wenn man sich (ihm) öffnet, das Beste aus einer Situation macht und damit eine Seite an sich kennenlernt, die man noch nicht kannte – das könnte einem dieser Film sagen. So schieben die beiden auf dem Eiland Gestrandeten ob der widrigen Umstände nicht Frust, sondern sie ziehen aus der absurden Situation, in die sie geraten sind, eine spielerische Lust. Dabei gibt der Mann anfangs den Ton an; aber Katrin, die Frau, die sich sonst so gern an Regeln hält, kann durchaus in Sachen Ironie und Schlagfertigkeit mithalten. Diese Augen-Blicke, losgelöst vom Alltag, setzen eine ungeahnte Energie auch bei ihr frei. Und wieder zuhause lässt ihr dieser Mann keine Ruhe. Das zeigt nicht zuletzt der Hotel-Kugelschreiber, den er ihr am nächsten Morgen scherzhaft als Erinnerungssymbol zukommen lässt: Als sich die Tochter das hässliche Werbegeschenk unter den Nagel reißt, reagiert Katrin ungewohnt barsch. Alles nimmt diese Familie für sich in Beschlag! Die Mutter und Ehefrau will offenbar auch mal was für sich haben. Bei ihr ist der Punkt gekommen, wo das „Wir“ mal eine Verschnaufpause braucht. Dass Maxeiner und Herling die kleinen psychologisch Botschaften nicht penetrant ausposaunen, sondern sie dem Zuschauer quasi im Vorbeigehen ans Herz legen, macht den besonderen Reiz des Films aus.
Foto: Degeto / Marion von der Mehden
Elegante Dramaturgie, wunderbarer Erzählfluss, fein pointierte Alltagstonalität
Die Inselerfahrung der Hauptfigur schleicht sich nicht nur in deren Leben, sondern sie findet auch eine ästhetische Entsprechung, die sich in einem wunderbaren Erzählfluss spiegelt. Viel zu dieser flüssigen Narration trägt bei, wie die Figuren miteinander umgehen und wie sie miteinander reden: einerseits ist das nah dran an der Beziehungs- und Freundschaftsrealität der fortysomethings, andererseits ist immer auch eine gewisse Überspitzung erkennbar. Elegant wird dabei der Hauptkonflikt immer wieder mit den Sub-Plots kurzgeschlossen. Besonders wenn die drei nicht auf den Kopf gefallenen Freundinnen sich über Liebe und Ehe, über Ängste, Leidenschaften und Macken des Partners auslassen, werden alle Handlungsebenen gleichzeitig bedient. So sucht beispielsweise die zwischen Heirat und Hochzeitsabsage hin- und hergerissene Freundin nach gut 60 Filmminuten bei der vermeintlichen „Auf-immer-und-ewig“-Spezialistin Katrin Rat. Die jedoch steht völlig neben sich, philosophiert über den Wert einer guten Ehe, um ihn im nächsten Moment unter Tränen in Zweifel zu ziehen. Das hört sich dann so an: „… Alles ist fest und sicher … und schön asphaltiert … und auch lustig. Und dann taucht da plötzlich dieser Pfad auf, und du wusstest gar nicht, dass er existiert.“ Das emotionale Problem ist real, geradezu zum Greifen nah, aber 1:1 ausgesprochen klänge es banal. Die Sprachbilder ein Stück weit zu verschlüsseln (das Schmatzen des Bräutigams und Katrins Autobahn-Metapher) ist also eine gute Entscheidung. Bezüge, die auf den ersten Blick unerkannt bleiben dürften, gibt es auch zwischen Katrins „Problem“ und der Episode um den entlaufenen Hund der Familie. Das „Anleinen“ war immer schon Thema, ein Zeichen für Katrins Kontrollliebe. Nun ermöglicht das Weglaufen des Welpen einen Satz wie „Nicht immer ist im Leben alles kontrollierbar“. Es ist ein essentieller Satz für Mark, der diese Erkenntnis später auch auf seine Ehe anwendet und abwartet, statt aktiv zu werden.
Foto: Degeto / Marion von der Mehden
Im öffentlich-rechtlichen Nicht-Krimi-TV ist ein solches elaboriertes Erzählen selten
In „Zwischen zwei Herzen“ wird das Alltägliche in eine poetische Form gegossen. Dabei spielt die Montage eine besondere Rolle. Die Szenenübergänge sind sehr viel mehr als nur Mittel zum Zweck. Aus der oben beschriebenen Sequenz der drei Freundinnen beispielsweise verabschiedet sich „der Erzähler“ ohne eindeutiges Ergebnis. In einem geschriebenen Text würde man „…“ setzen. Die Figuren bleiben einigermaßen irritiert und ratlos zurück, der Zuschauer kann die Momente nachwirken lassen, oder – falls er mag – der Szene selbst einen Sinn geben. Eine ebenso stimmig-stimmungsvolle Überleitung gibt es wenig später zwischen dem Tanz, der das Ehepaar in Erinnerungen schwelgen lässt, und der Hochzeit, zu der sich Freundin Sanne nun doch entschlossen hat, begleitet vom Nouvelle-Vague-Song „A Manner of Speaking“. Im Kino gehören solche Momente zum guten Ton; im Fernsehen findet man sie in Nicht-Krimis kaum noch, nachdem Degeto-Filme wie „Eine Sommerliebe zu dritt“, „Und dennoch lieben“, „Gestern waren wir Fremde“ oder Stefan Krohmers „Neu in unserer Familie“ immer seltener werden und explizite, oft redundante Erzählweisen wieder die Oberhand gewinnen. Auch die Ton-Ebene wird narrativ klug eingesetzt. Immer wieder werden die Gespräche und Geräusche „der Anderen“ zurückgefahren, um ins Innere der Hauptfigur einzutauchen, ihre Wahrnehmung und Position einzunehmen oder einfach nur um Alltag zu suggerieren wie in der kurzen Sequenz, in der man Katrin in ihrer Praxis sieht – zurück in der Realität (erst jetzt, nach 23 Minuten, erfährt man im Übrigen, dass sie HNO-Ärztin ist)!
Foto: Degeto / Marion von der Mehden
„Es geht um eine Neuformulierung des Lebens. Zu zweit und nur für sich. Offensichtlich haben alle drei Sehnsüchte und brachliegende Energien, die ausgelebt und geweckt werden wollen. Was eine große Chance sein kann, bedeutet aber auch Verlustangst, Angst, dem Unbekannten in sich selber gegenüber zu stehen. In der Mitte des Lebens, wenn die Aufbauphase vorbei ist, kommt das wie das Amen in der Kirche, ich bin überzeugt, dass man das als etwas Positives verbuchen kann, wenn man sich dem stellt. (Anna Schudt)
„Es ist schon erstaunlich und immer wieder bemerkens-wert, dass das Wesentliche einer Begegnung in den ersten Sekunden passiert. Man spürt, ob man mit jemand kann oder nicht. Das ist beim Casting so wie beim Rendez-vous: Wenn man sich nicht riechen kann, sollte man es lassen. Und wenn man spürt, man will sich, dann sollte man die Steine, die da rumliegen, aus dem Weg räumen.“ (Mark Waschke)
Drei großartige Schauspieler – jenseits von (Ehe-)Moral und Genrekonventionen
Filmsprachlich gehört „Zwischen zwei Herzen“ – dem Titel zum Trotz – mit zum Besten, was in den öffentlich-rechtlichen No-Crime-Genres im ersten Halbjahr 2019 zu sehen war. Doch was wäre das wert ohne die großartige Besetzung! Für diese Degeto-Premium-Produktion für den Samstag konnte Regisseur Markus Herling aus dem Vollen schöpfen: drei Schauspieler, die das breite Publikum als „Tatort“-Kommissare kennt. Da ist Mark Waschke, der immer schon den verführerischen Fremden („Wiedersehen mit einem Fremden“) und damit das Objekt weiblichen Begehrens („Solange du schliefst“) gab. Da ist Felix Klare („Bis nichts mehr bleibt“ / „Momentversagen“), der nette, mit 40 Jahren immer noch jungenhafte Ehemann von nebenan. Und da ist Anna Schudt, die nicht umsonst in den letzten zwei Jahren hochkarätige Preise (für „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ und „Aufbruch in die Freiheit“) eingeheimst hat. Nach diesem klugen Film über die Macht der Gefühle ist sie – und das nicht nur gefühlt – die aktuell vielseitigste Fernsehschauspielerin ihrer Generation. Mit den Augen ihrer Figur sieht der Zuschauer den Film. Wie sich diese – sprich: für wen – am Ende entscheidet, ist unwichtig. Viel wichtiger ist, wie sie zu ihrem Entschluss kommt. Der Weg ist einmal mehr das Ziel. So werden dem Zuschauer weder ein männlicher Favorit noch eine (Familien-)Moral oder eine Genrekonvention aufgezwungen. (Text-Stand: 3.6.2019)