Wolfsland – Der steinerne Gast / Irrlichter

Catterfeld, Schubert, Neuwöhner/Poser, Zähle & Franzen. Nur ein Zwischen-Hoch?

Foto: MDR / Steffen Junghans
Foto Tilmann P. Gangloff

Die erste Episode war durchwachsen, die zweite deutlich besser, aber mit dem dritten Film, „Der steinerne Gast“, scheint sich „Wolfsland“ (ARD Degeto / Molina Film) eineinhalb Jahre später endgültig als ernstzunehmende Ergänzung zu den Auslandskrimireihen im Ersten etabliert zu haben. Die horizontal erzählte Geschichte der Kommissarin, die von ihren irrem Ex-Mann verfolgt wird, ist geschickt mit einem vermeintlich gelösten Raubmord verknüpft, der nach einem Leichenfund wieder aufgerollt werden muss. Leider kann die zweite der beiden neuen Produktionen dieses Niveau nicht annähernd halten: „Irrlichter“ ist in jeder Hinsicht frei von Überraschungen; für Spannung sorgt hier allein die gute Musik.

Die gleichen Autoren, die gleichen Hauptdarsteller, aber zwei sehr unterschiedliche Filme: Während sich „Wolfsland“ mit der dritten Episode „Der steinerne Gast“ endgültig als ernstzunehmende Ergänzung zu den Auslandskrimi-reihen der ARD-Tochter Degeto zu etablieren scheint, ist die vierte „Irrlichter“ ein deutlicher Rückschritt. Handwerklich bewegt sich „Der steinerne Gast“, die erste der beiden neuen Produktionen, ohnehin auf einem guten Niveau, aber die Spannung ist deutlich höher als in den meisten anderen Donnerstagsreihen. Der Film ist deutlich besser als die zweite Episode („Tief im Wald“), die wiederum bereits einen enormen Fortschritt zum Auftakt („Ewig Dein“) dargestellt hat. Diesmal passt alles zusammen: die Bildsprache zur Geschichte, die beiden gegensätzlichen Hauptfiguren zueinander, die horizontale Handlung zum konkreten Fall. Schon die Auftaktsequenz verdeutlicht, dass „Wolfsland“ anders funktioniert als die Krimis aus Lissabon, Barcelona, Bozen oder gar der Klassiker aus Venedig: Die fließenden Bewegungen einer subjektiven Kamera sorgen für einen unmittelbaren Sog. Die nächtliche Fahrt endet am Bett einer schlafenden Frau, die von einem Mann mit einem Messer bedroht wird; und dann erwacht Hauptkommissarin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) endlich aus ihrem Albtraum. Das gelblich-organgefarbene Licht der ersten Szene wird sie durch den Film verfolgen, und selbstredend wird der Albtraum am Ende Wirklichkeit.

Die Sterne im Einzelnen. „Der steinerne Gast“: 4 Sterne / „Irrlichter“: 3 Sterne

Wolfsland – Der steinerne Gast / IrrlichterFoto: MDR / Steffen Junghans
Ein altertümlicher Leichenfund. Die Kommissare untersuchen den „Götzi“. Yvonne Catterfeld, Götz Schubert und Jan Dose

Die zweite Ebene der clever konstruierten Geschichte von Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser, die bislang alle Drehbücher der Reihe geschrieben haben, beginnt mit einem Leichenfund. Mord verjährt zwar nicht, aber in diesem Fall wird der Täter nicht mehr zu fassen sein: Die Leiche unter den Dielen eines uralten Görlitzer Hauses ist mindestens 500 Jahre alt. Gleich daneben findet sich jedoch ein zweiter Körper, der noch nicht lange tot ist, und nun muss sich Delbrücks Kollege Butsch Schulz (Götz Schubert) eingestehen, dass er vor fünf Jahren einen großen Fehler gemacht hat. Damals ist beim Überfall auf einen Juwelierladen der Besitzer erschossen und seine Frau schwer verletzt worden. Schulz war überzeugt, die Täter stammten aus Russland, und als kurz darauf drei russische Gangster im benachbarten Polen bei einem Unfall starben, war der Fall für ihn erledigt; aber nun deutet viel darauf hin, dass die Raubmörder aus Görlitz waren und nach wie vor hier leben.

Neuwöhner und Poser offenbaren die Identität der beiden Verbrecher zwar recht früh, aber das nimmt dem Film nichts von seiner Spannung, im Gegenteil: Nun können die Autoren aus Sicht von Timo Klein (Jan Krauter), dem Kopf der Bande, schildern, wie es sich anfühlt, immer mehr in die Enge getrieben zu werden. Außerdem überrascht das Drehbuch mit einem kleinen Knüller, als sich herausstellt, welche Beziehung der Mann zum Juweliergeschäft hat. Die Krimiebene ist zudem geschickt mit der Vorgeschichte verknüpft, die dafür sorgt, dass Viola keine ruhige Minute hat: Ihr Mann Björn lässt nach wie vor nichts unversucht, um sich die Frau, die er für sein Eigentum hält, zurückzuholen. Johannes Zirner verkörpert den offenkundig gestörten Ex-Gatten zwar gelegentlich als typischen Film-Irren, dosiert das aber so sparsam, dass die Figur eine verstörende Faszination entwickelt. Spätestens zum Finale, als Björn seine Ex-Frau entführt und zu den Klängen von „Blue Velvet“ aus David Lynchs gleichnamigen Film inmitten eines Kerzenmeers eine tödliche Hochzeit arrangiert, wird deutlich, welche Atmosphäre den Machern vorschwebte. Regisseur Max Zähle hat bereits mit dem Kinodebüt „Schrotten!“ sowie der „Nord bei Norwest“-Episode „Sandy“ sein Talent bewiesen. Sein „Wolfsland“-Beitrag aber ist dank der Zusammenarbeit mit Frank Küpper, dem langjährigen Kameramann des verstorbenen Carlo Rola, auch optisch ein Erlebnis.

Soundtrack:
„Der steinerne Gast“: Isabella Rosselini („Blue Velvet“, aus dem gleichnamigen Film von David Lynch), „Irrlichter“: Klaus Renft Combo („Wer die Rose ehrt“)

Wolfsland – Der steinerne Gast / IrrlichterFoto: MDR / Steffen Junghans
Lichtblick in „Irrlichter: der neue Dienststellenleiter (Stephan Grossmann). Böhme teilt mit ihm seine Leidenschaft für Ameisen.

Ohnehin ist „Der steinerne Gast“ – der Titel bezieht sich nicht auf die gleichnamige Oper, sondern auf eine Kneipe – im Unterschied zum zweiten „Wolfsland“-Film, der noch ein paar kleinere Unwuchten hatte, rundum gelungen. In „Tief im Wald“ wirkte beispielsweise die bemüht drollige Figur von Kriminaltechniker Böhme (Jan Dose) noch wie ein Fremdkörper. Diesmal ist der Mann besser integriert. Dass er seine Kollegen mit der fixen Idee, den Mord an „Götzi“ (Görlitzer Ötzi) in einen Zusammenhang mit einer ebenso alten Tuchmacher-Verschwörung im 16. Jahrhundert zu setzen, stets zu ungünstigen Zeitpunkten behelligt, sorgt ebenso für subtil komische Kontrapunkte wie die gelegentlich coolen Auftritte von Schulz. Ein weiteres Merkmal ist die verzögerte Preisgabe von Informationen, die immer wieder kleine Verblüffungen zur Folge hat. Das gilt nicht nur für inhaltliche Details, sondern auch für Zähles Inszenierung. Dieser lakonische Stil prägt unter anderem eine Szene, die verdeutlicht, wie gut Catterfeld und Schubert als Team funktionieren: Schulz, der die Kollegin vor dem Stalker beschützen will, ist in Björns Hotelzimmer eingedrungen und wird dort unentdeckt Zeuge, wie sie ihrem Ex handgreiflich klarmacht, dass er sie in Ruhe lassen soll. Anschließend trifft er Viola vor dem Aufzug. Es folgt ein Dialog, der kaum knapper ausfallen könnte, aber in Kombination mit den entsprechenden Blicken alles sagt: „Im Schrank?“ „Unterm Bett.“ Beim ausführlichen Finale zieht Zähle dank Bildgestaltung, Musik (Andreas Weidinger) und entsprechenden Soundeffekten alle Thriller-Register, als in langer Parallelmontage während einer Gewitternacht drei Morde in die Wege geleitet werden: Klein, der sich schon seines Komplizen entledigt hat, muss eine letzte Zeugin beseitigen und hat keine Ahnung, dass ihm das gleiche Schicksal droht; und auch Björn will sein Werk vollenden. Geschickt schüren Neuwöhner und Poser die Vorfreude auf den nächsten Film mit einem cleveren Cliffhanger.

Umso größer ist die Enttäuschung, dass die vierte Episode diese Vorlage gar nicht aufnimmt. Die Handlung setzt zwei Monate später ein, Björn liegt im Koma. „Irrlichter“ muss also komplett ohne die zweite Spannungsebene auskommen; daran ändern auch gelegentliche Flashbacks nichts. Das ist bedauerlich, weil die in sich abgeschlossene Geschichte viel uninteressanter ist als in „Der steinerne Gast“: Als ein stadtbekannter Gastwirt (Michael Kind) erschlagen in einem Teich gefunden wird, ist zumindest aus Zuschauersicht ziemlich rasch klar, dass Neuwöhner und Poser ein Familiendrama rund um zwei zerstrittene Brüder (Sascha Göpel & Sergej Moya) erzählen, auch wenn sich das Drehbuch redlich um ein Ablenkungsmanöver mit einer Heiratschwindlerin bemüht. Dass Franziska Petri (gebürtige Leipzigerin) ein dilettantisches Schwyzerdütsch von sich gibt, ist zwar Teil der Rolle, klingt aber trotzdem lächerlich. Till Franzen bedient sich zudem der üblichen Klischees, um Zwischenräume zu füllen (Drohnenflüge über Stadt und Land, Abendrot, wallender Nebel), und hindert seine Nebendarsteller nicht daran, übers Ziel hinauszuschießen. Dabei hat der Regisseur schon einige sehenswerte Filme gedreht, darunter neben der „Nord bei Nordwest“-Episode „Der Transport“ (2017) die Freitagskomödien „Drei Väter sind besser als keiner“ (2016) und „Hausbau mit Hindernissen“ (2017); von der Grimme-preisgekrönten TNT-Serie „Weinberg“ ganz zu schweigen. Wenn in „Irrlichter“ Spannung aufkommt, ist dies jedoch allein der erneut guten Musik zu verdanken, die stets vermittelt, das hinter den Bildern ein Abgrund lauern könnte; ansonsten aber ist der Krimi inhaltlich wie auch bildgestalterisch frei von Überraschungen. Die einzig wirklich gelungene Idee ist die Einführung des neuen Dienststellenleiters (Stephan Grossmann), der sich als Philosoph entpuppt, zur Entspannung die emsigen Ameisen in seinem Formicarium beobachtet und seine Mitarbeiter nach der Devise „lange Leine, gute Laune“ führt.

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Reihe

ARD Degeto, MDR

Mit Yvonne Catterfeld, Götz Schubert, Johannes Zirner, Jan Dose.

Episodenrollen: (1) Jan Krauter, Cornelia Ivancan, Renate Krössner, Daniel Wagner, Wolfgang Winkler; (2) Sascha Göpel, Johanna Gastdorf, Sergej Moya, Franziska Petri, Stephan Grossmann

Kamera: Frank Küpper (1), Timo Moritz (2)

Szenenbild: Monika Nix

Kostüm: Susan Bollig, Sarah Raible

Schnitt: Ingo Ehrlich (1), Tatjana Schöps (2)

Musik: Andreas Weidinger

Redaktion: Jana Brandt, Adrian Paul (beide MDR), Katja Kirchen (Degeto)

Produktionsfirma: Molina Film

Produktion: Jutta Müller

Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser

Regie: Max Zähle, Till Franzen

Quote: (1): 5,04 Mio. Zuschauer (17,9% MA); (2): 5,11 Mio. (19,2% MA); Wh. (2) (2020): 4,59 Mio. (18,2% MA)

EA: 24.05.2018 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 31.05.2018 20:15 Uhr | ARD

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