Wer füttert den Hasen?

Teresa Rizos, Axel Stein, Maya Gallon, Nocke, Trageser. Wunder gibt es immer wieder

Foto: ZDF / Luis Zeno Kuhn
Foto Tilmann P. Gangloff

Wie das ZDF darauf gekommen ist, dieses Bündel an Schicksalsschlägen zunächst als Komödie zu deklarieren, ist ein Rätsel, selbst wenn die Verpackung mitunter wie ein Sonntagsfilm aussehen mag. „Wer füttert den Hasen?“ (Network Movie), mittlerweile als Dramedy etikettiert, ist ein sehenswertes Trennungs-Drama, das allenfalls in gelegentlichen Ansätzen komisch oder auch schon mal köstlich absurd ist: Als die Münchenerin Jule (Teresa Rizos) kurz davor ist, mit der Familie an die Nordsee umzuziehen, um dort ihren Traum von einer eigenen Lebensmittelfirma zu verwirklichen, zerplatzen ihre Pläne wie eine Seifenblase. Gatte Marco (Axel Stein) hat eine andere, die Produktionsstätte ist eine Schimmelbude, und dann stirbt auch noch Horst, der keineswegs ein Hase, sondern ein Kaninchen ist. Doch irgendwann obsiegen Kinderlogik und erwachsene Einsicht, Wunderglaube und eine seltsame „Auferstehung“ über das Beziehungschaos.

Zunächst gilt es, zwei Missverständnisse zu klären: Beim Titeltier handelt es sich keineswegs um einen Hasen, sondern um ein Kaninchen. Außerdem hat das ZDF diesen Film zuerst als Komödie angekündigt, doch davon kann keine Rede sein, selbst wenn der Auftakt Heiterkeit signalisiert. Mittlerweile trägt „Wer füttert den Hasen?“ das Etikett „Dramedy“, aber Grimme-Preisträger Daniel Nocke (Buch) und Tim Trageser (Regie) erzählen eine klassische Trennungsgeschichte: Das Münchener Ehepaar Jule und Marco Meisner (Teresa Rizos, Axel Stein) hatte einst vereinbart, dass Jules Träume an der Reihe sind, wenn Tochter Fine in die Schule kommt. Nun ist es soweit: Die Lebensmitteltechnikerin will sich mit Birthe (Shadi Hedayati), einer Freundin aus gemeinsamen Studienzeiten, an der Nordsee selbstständig machen. Birthe hat endlich die richtigen Räume für die gemeinsame Lebensmittelfirma gefunden. Jule radelt umgehend freudestrahlend in die Stadt, um Marco die gute Nachricht persönlich mitzuteilen.

Wer füttert den Hasen?Foto: ZDF / Luis Zeno Kuhn
„Du bist nicht schuld. Niemand ist schuld.“ Das ist auf mehreren narrativen Ebenen die Botschaft des Films. Bis sie bei der verlassenen Ehefrau (Teresa Rizos) ankommt, dauert es eine Weile. Marco (Axel Stein) gibt den Besonnenen.

Mit dieser Fahrradfahrt an Gründonnerstag endet der fröhliche Teil des Films, denn ab jetzt folgt ein Tiefschlag nach dem anderen: Der Gatte ist keineswegs gewillt, München zu verlassen, weil er bereits seit einem halben Jahr mit Kollegin Natalie (Caroline Maria Frier) liiert ist. An Karfreitag platzt im Norden auch der große Traum: Die für die Fertigung von Biotiefkühlkost vorgesehene Produktionshalle ist eine „Schimmelbude“; Lebensmittel lassen sich hier auf keinen Fall lagern und verarbeiten. Birthe hat den Mietvertrag allerdings schon unterschrieben und bereits eine erhebliche Summe investiert; beim Streit ums Geld zerbricht die Freundschaft. Den nächsten Schock muss Fine verkraften: Über Nacht hat das vom verstorbenen Großvater übernommene Kaninchen Horst ebenfalls das Zeitliche gesegnet.

Soundtrack: Maisie Peters („Glowing Review”, „The Party”, „Favourite Ex”), Hattie Whitehead („All My Tomorrows”, „Come To Me”), Keira Knightley („Tell Me If You Wanna go Home”)

Wie das ZDF darauf gekommen ist, dieses Bündel an Schicksalsschlägen für eine Komödie zu halten, ist ein Rätsel, selbst wenn die Verpackung mitunter wie ein Sonntagsfilm aussehen mag. Tatsächlich könnte „Wer füttert den Hasen?“ auch im Rahmen des „Herzkinos“ laufen, zumal Daniel Nocke seine Geschichte um ein Osterereignis ergänzt. Fine verbringt den Feiertag bei Marco und Natalie, und siehe da: Horst scheint wiederauferstanden. Natalie bestärkt das Mädchen in dem Glauben: „Wenn man ganz fest an Wunder glaubt, dann sind sie auch möglich.“ Jule hält das für Hokuspokus und will der Tochter beweisen, dass das im Garten bestattete Kaninchen nach wie vor tot ist.

Wer füttert den Hasen?Foto: ZDF / Luis Zeno Kuhn
Intensiv und oft berührend, aber nie gefühlsduselig: die Szenen, wenn die Tochter Fine (Maya Gallon) mit im Spiel ist. Auffallend ist dabei: Die Kinder-Logik mit den entsprechenden Fragen wird immer ernst genommen und nie von oben herab erwachsen belächelt. Herausragend sind einige Mutter-Tochter-Szenen. Teresa Rizos

Sollten sich Horrorfans in diesen Film verirrt haben, werden sie angesichts der ergebnislosen Exhumierung womöglich an Stephen Kings mehrfach verfilmten Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ denken, zumal die Tiere in Nockes Drehbuch ohnehin eine mindestens zwiespältige Rolle spielen: In der Nachbarschaft des Hauses, das Birthe für Familie Meisner ausgesucht hat, lebt ein Hund, der Fine derart aggressiv ankläfft, dass sie umgehend zurück nach München will; später fällt sie vom Pferd und bricht sich den Arm. Zum Glück gibt es auch schöne Szenen mit Tieren. Erst ist Horst 2 der Höhepunkt einer Schnitzeljagd am Ostersonntag, dann versöhnt sich Fine gegen Ende mit dem Pferd: „Du bist nicht schuld. Niemand ist schuld.“ Dies ist die Botschaft des Films, denn Nocke und Trageser haben sorgsam darauf geachtet, dass Marco nicht zum Schurken der Geschichte avanciert, obwohl sie aus Jules Perspektive erzählt wird: Ihre verständliche Gefühlsmischung aus Trauer und Wut verleitet sie zu diversen unbeherrschten Reaktionen, die sie ungerecht und aggressiv wirken lassen; er dagegen bleibt stets ruhig und besonnen. Natürlich hat er auch nichts zu verlieren, während sie quasi über Nacht mit leeren Händen da steht: ohne berufliche Zukunft, ohne Mann und womöglich auch noch ohne Tochter, weil es Fine zu Marco und Natalie zieht.

Trageser hat zuletzt ein beachtliches „Bio-Pic“ über Franz Beckenbauer gedreht („Der Kaiser“, 2022). Der vielfach ausgezeichnete Regisseur ist im Reihenkrimi ebenso daheim wie im Kinderfilm („Die Wolf-Gäng“, 2020). Abgesehen vom erschütternden Schulmobbingfilm „Neufeld, mitkommen“ (2014) zeigt sich gerade in seinen Dramen die besondere Fähigkeit, anspruchsvolle Themen – von Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet („Harte Brötchen“, 2002) bis zu einem Leben mit Behinderung („Einer bleibt sitzen“, 2008) – unterhaltsam zu erzählen. Das gilt auch für „Wer füttert den Hasen?“. Die Umsetzung orientiert sich zumindest bei den Landschaftsaufnahmen inklusive diverser Popsongs, die zum Teil immerhin eigens für den Film entstanden sind, in der Tat weitgehend am „Herzkino“-Stil. Die sensiblen Interaktions-Szenen indes besitzen – auch optisch – häufig mehr Tiefgang. Teresa Rizos, schon beim „Kaiser“ dabei und das blonde Triomitglied der heiteren Junggesellinnenabschiedskomödie „JGA“ (2020), hätte in der ersten Filmhälfte etwas weniger gespielter Furor gut zu Gesicht gestanden. In der Streitszene mit Birthe schießen zwar beide Schauspielerinnen mit aufgerissenen Augen und zu viel Lautstärke weit übers Ziel hinaus, Jules stille Verzweiflung hingegen und die Momente der Einsicht verkörpert die Hauptdarstellerin sehr nachvollziehbar. Ganz ausgezeichnet geführt ist auch die junge Maya Gallon; besonders die Mutter/Tochter-Momente wirken sehr glaubwürdig und – besonders durch die Kinderlogik – anrührend.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Teresa Rizos, Axel Stein, Maya Gallon, Michaela May, Caroline Maria Frier, Shadi Hedayati, Michael Roll, Petra Kleinert

Kamera: Eckhard Jansen

Szenenbild: Gabi Pohl

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Marco Pav D’Auria

Musik: Andreas Weidinger. Gesang: Vera Klima

Redaktion: Dirk Rademacher, Petra Erschfeld

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Susanne Flor, Wolfgang Cimera

Drehbuch: Daniel Nocke

Regie: Tim Trageser

Quote: 3,61 Mio. Zuschauer (14,6% MA)

EA: 31.03.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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