Happy End, gleich folgt der Abspann, das Paar küsst sich, im Hintergrund geht über dem Meer die Sonne unter: ein typischer „Herzkino“-Schluss. In „Weihnachtspäckchen … haben alle zu tragen“ ist jedoch Einiges anders, und das nicht nur, weil der Film im winterlichen Oberbayern spielt, der Hintergrund durch Weihnachtsbeleuchtung illuminiert wird und das Liebespaar schwarzweiß ist. Wer immer auch die Idee für die letzte Szene hatte: Sie ist brillant. Aus dem Off erklingt das Weihnachtslied „Happy Xmas (War is Over)“, in einem scheinbaren und raffiniert geschnittenen Kameraschwenk nimmt der Film Abschied von den verschiedenen Beteiligten der Geschichte, und just zum Kuss von Paketbote Adika (Yann Mbiene) aus Nigeria und Altenpflegerin Tessa (Zoë Valks) aus Schwerin singt John Lennon „And so happy Christmas for black and for white“. Was für eine Liebe zum Detail! Und wie schade, dass Regisseur Stefan Bühling, der zuletzt unter anderem das außergewöhnlich gute historische Drama „Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben“ (2022) mit Thekla Carola Wied gedreht hat, und sein Kameramann Alexander Palm die knapp neunzig Minuten zuvor vergleichsweise konventionell gestaltet haben.
„Weihnachtspäckchen … haben alle zu tragen“ ist ein typischer Episodenfilm. Das Drehbuch (Claudia Matschulla, Arnd Mayer) handelt von mehreren Begebenheiten, die sich am Tag vor Heiligabend zutragen. Die verschiedenen Vorzeichen sorgen dafür, dass die Geschichten eine bunte Mischung aus Romanze, Komödie und Drama darstellt. Die Figuren stehen für den Anspruch, auch auf einem tendenziell konservativen Sendeplatz divers zu erzählen: Ein schwules Bäckerpaar (Jacob Matschenz, Florian Bartholomäi) bekommt pünktlich zu Weihnachten sein ganz persönliches Christkind, aber der gerade mal drei Wochen alte Jonathan stürzt die beiden Männer prompt von einer Verlegenheit in die nächste; ein übergewichtiger Teenager (Dilara Aylin Ziem) hat keine Lust mehr auf die ständigen Ermahnungen der Mutter (Henny Reents) und will zum entspannten Vater (Manuel Rubey) ziehen; ein nach einem unverzeihlichen Ereignis zutiefst erschütterter Architekt (Pasquale Aleardi) sucht Vergebung; hinter der gegenseitigen Brummelei zweier verwitweter alter Herrschaften (Sylvia Eisenberger, Hans Stadlbauer) verbirgt sich die Sehnsucht, nicht nur den Heiligen, sondern auch den Lebensabend gemeinsam zu verbringen; und dann sind da noch Adika und Tessa, die sich nicht gesucht, aber trotzdem gefunden haben.
Foto: ZDF / Jaqueline Krause-Burberg
Das strukturelle Konzept hat sich bereits vielfach bewährt, ist allerdings nie wieder so witzig und herzerwärmend umgesetzt worden wie in der britischen Weihnachts- und Liebeskomödie „Tatsächlich … Liebe“ von Richard Curtis (2003). Auch bei „Weihnachtspäckchen … haben alle zu tragen“ will der Funke nicht recht überspringen, zumal die einzelnen Episoden nicht nur biss- und harmlos, sondern auch erwartbar sind. Welches „Päckchen“ zum Beispiel der gramgebeugte Frank Donneck (Aleardi) zu tragen hat, lässt sich ebenso erahnen wie die gemeinsam verbrachte Nacht der seit Jahren geschiedenen Eltern von Teenager Henny, die womöglich nur deshalb so viele Schokoriegel futtert, weil sie unter einem mütterlichen Aufmerksamkeitsdefizit leidet. Sehr schön verpackt ist allerdings der christliche Gedanke der Nächstenliebe. Bis auf Tessas unsympathischen Chef (Roberto Martinez), selbstredend ein Weihnachtshasser, zeichnen sich sämtliche Personen durch eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft aus. So sorgen Henny und ihre Freundin dafür, dass ein regelmäßig vom Vater verprügelter Junge, der von zuhause ausgerissenist, nicht auf der Straße schlafen muss; Adika, der weiß, wie es ist, als Minderjähriger auf sich allein gestellt zu sein, vermittelt ihm eine Perspektive.
Einige Rollen sind zwar etwas klischeehaft, aber die Leistungen der Mitwirkenden sind ausnahmslos ansprechend. Die Aufnahmen vom Karwendel- und Wettsteingebirge rund um Mittenwald sind selbstredend imposant, doch das gehört bei einem solchen Film genauso dazu wie die heimelige Weihnachtsstimmung, die vor allem beim nächtlichen Besuch eines traditionellen Skilanglaufs aufkommt. Viel Freude bereiten auch einige kleine Schnittverblüffungen. Trotz einiger schöner Szenen reicht der Film unterm Strich dennoch nicht an die Weihnachts-Tragikomödie „Wenn das fünfte Lichtlein brennt“ (2021) heran. In dem gleichfalls von Bühling inszenierten und ganz ähnlich konzipierten Ensemblewerk müssen einige Menschen Heiligabend an einem Provinzflughafen verbringen, aber die Handlungsstränge sind ungleich vergnüglicher miteinander verknüpft.