Varianten der Liebe: Der humanistische Gemeinschaftsgedanke steht über allem
Eine Münchner Hausgemeinschaft wie aus dem Bilderbuch. Miriam (Petra Schmidt-Schaller) und ihre Tochter Julchen (Lara Sophie Rottmann) kriegen das mit der Trennung von Miriams Noch-Ehemann Jan (Max von Thun) und den Besuchszeiten „erwachsen“ geregelt. Und Miriam ist glücklich, seit sie den liebevollen Gemeindepfarrer Gregor (Wotan Wilke Möhring) kennt. Der hat für jeden ein offenes Ohr; insbesondere Strohwitwer Achim Henning (August Zirner) braucht momentan Beistand. Auch Michael (Thomas Loibl) kümmert sich vorbildlich um seine Teenagertochter Nina (Janina Fautz). Und als der alte Grantler Eberling (Fred Stillkrauth) seine Demenzerkrankung nicht länger verbergen kann, ist die Hilfsbereitschaft groß. Alles bestens also. Doch kratzt man etwas an der Oberfläche, sieht plötzlich alles gar nicht mehr so prima aus. Henning, dessen Wohnung immer mehr verwahrlost, dürfte vergeblich hoffen, dass seine „Waldi“ zu ihm zurückkommt. Julchen fehlt ihr Papa sehr. Das lässt Miriam plötzlich an ihrer Liebe zu Gregor zweifeln. Sollte sie es nicht noch mal mit Jan versuchen? Gottesmann Gregor zweifelt zwar – aber nicht an seiner Liebe, sondern an der falschen Moral seiner Gemeinde. Viele schneiden ihn, seit er eine Beziehung mit einer (noch) verheirateten Frau hat. Und für Eberling kann es in dem Haus, in dem er sein bisheriges Leben verbracht hat, keine Zukunft geben. Auch der allein erziehende Michael ist nicht glücklich, ihm fehlt eine Frau. Doch anstatt daran zu arbeiten, Eberlings Tochter ist offenbar noch zu haben, kontrolliert er lieber das Frühlingserwachsen seines Lieblings.
Foto: ZDF / Marco Nagel
Voraussetzung für Romantik: Die Menschen müssen miteinander reden wollen
Die romantische Ausrichtung der Geschichten, die der ZDF-Fernsehfilm „Was im Leben zählt“ dem Zuschauer in gefälliger Zopfdramaturgie präsentiert, ist von der ersten Filmminute an spürbar. Drehbuchautorin Astrid Ruppert will ein Beispiel geben: Mit ein bisschen mehr Menschlichkeit im Alltag ist (uns) allen schon geholfen. Wie schwer sich diese etwas naive Botschaft in der gelebten Realität verwirklichen lässt, thematisiert der Film gleichsam mit. Denn es dauert seine Zeit, bis die Protagonisten mit ihren Problemen herausrücken. „Über Scheidung habt Ihr noch nicht gesprochen?“, fragt Gregor vorsichtig bei seiner Freundin an. Er selbst braucht lange, bis er mit ihr über die Differenzen zwischen ihm und dem Kirchen-Vorstand spricht (was nicht nur dramaturgische Gründe hat). Alltag hat zu funktionieren. Seine Liebsten will man nicht belasten. Und die Angst, Probleme zuzugeben, ist groß; Unangenehmes hält man sich lieber vom Hals. Das alles kennt jeder aus dem eigenen (Er-)Leben. Autorin Ruppert holt also nicht nur die Zuschauer bei ihren unterschiedlichen Lebensmodellen ab, sorgt mit den einzelnen Geschichten für ein großes Identifikations-Angebot, sondern sie spiegelt ihnen auch gängige Verhaltensmuster. Im Film ist einmal von „praktizierter Nächstenliebe“ die Rede. Das ist in dem Moment auch mit einem Schuss Ironie verbunden. Die insgesamt leichte Gangart von Vivian Naefes Film ist denn auch die Voraussetzung dafür, dass man diese vielen guten Menschen ohne Weiteres ertragen kann.
Foto: ZDF / Marco Nagel
Gutmenschen zum Gernhaben: Wie sich die Küchenphilosophie von selbst relativiert
Ein Sozialmärchen war schon vor vier Jahren der weihnachtliche Pulswärmer „Obendrüber da schneit es“, ein Film, der 6,89 Millionen Zuschauern schon einmal Einblicke gewährte in jenes Münchner Mehrfamilienhaus. War es damals – ein Todesfall inklusive – das Fest der Feste, das das Innehalten und Zusammenwachsen der Hausgemeinschaft motivierte, muss nun – jenseits versöhnlicher Weihnachtsstimmung – erst einmal der Alltag mit seinen Zwängen und unhinterfragten Gewohnheiten überwunden werden. Dass es in diesem ganz normalen Sommer nicht zur emotionalen Überhitzung kommt (und der Film eine andere Tiefe als beispielsweise die Produktionen des „Herzkino“ besitzt), dafür sorgen die humorvolle Distanz, die das dramaturgische Konzept mit sich bringt, und Rupperts Dialoge, die gern auch mal etwas existentiell grundsätzlicher werden. Aus der Vielzahl der Geschichten ergibt sich, dass der Hang zur Küchenphilosophie deutlich relativiert wird. Wurden im Weihnachtsfilm die Probleme, die in den Ereignissen eines einzigen Tages kulminierten, entsprechend punktuell gelöst, ergeben sich jetzt, im Verlauf eines Sommers, private Sorgen und Nöte struktureller Natur. Das wirkt komplexer, dramaturgisch anspruchsvoller, ist wohl auch schwieriger zu drehen gewesen, wie Vivian Naefe im ZDF-Presseheft-Interview andeutet, und auch für den Zuschauer wird dieses etwas problemorientiertere Alltagsdrama nicht so schnell zum stimmungsvollen Wohlfühlgemeinschaftserlebnis wie die „Obendrüber da schneit es“-Dramödie. „Man muss warten, bis das Lieblingspaar, die Lieblingsfigur, wieder auftaucht“, bringt die Regisseurin die Herausforderung beim Sehen von „Was im Leben zählt“ auf den Punkt. Die meisten Zuschauer werden wohl auf das romantische Hauptpaar des Films warten, auf Wotan Wilke Möhring und seine Ex-„Tatort“-Partnerin Petra Schmidt-Schaller (die die während des Drehs schwangere Diana Amft ersetzen musste). Denn die anderen Geschichten bleiben B-Plots und die Attraktivität der dazu gehörigen Figuren hält sich – trotz der guten Besetzung – entsprechend in Grenzen. Und doch bleiben sie wichtig für das stimmige Gemeinschaftsgefüge. Allenfalls das Paar um die 30, das sich für oder gegen den Kinderwunsch der Frau entscheiden muss, wirkt im Film bisweilen wie ein Fremdkörper.
Meister ihres Fachs: Schmidt-Schaller & Möhring sind in ihren Rollen glaubwürdig
Schmidt-Schaller als Frau im Zwiespalt und Möhring als ein Prediger der Achtsamkeit sind eine ideale Besetzung: zwei stets nuanciert aufspielende Meister ihres Fachs, bestens aufeinander eingespielt, mit einer großen Glaubwürdigkeit für ihre alltagsnahen Rollen. War Amft im Zusammenspiel mit der beim ersten Film noch sehr kindlichen Lara Sophie Rottmann eine wunderbare Besetzung, scheint Schmidt-Schaller, besonders stark in Rollen von Frauen, die zwischen Kopf & Bauch schwanken, nun für dieses Alltagsdrama und vor allem für das zum Teenager gereiften Jungtalent als Anspielpartnerin die bessere Wahl zu sein (obwohl man offenbar keine Wahl hatte). Auch als ernstzunehmde, coole bis einfühlsame Jazz-Sängerin macht die Schauspielerin, die sich in den letzten Jahren vom hübschen „Beiwerk“ zur stets glaubwürdigen Protagonistin entwickelt hat, eine ausgezeichnete Figur. Die Geschichte mit der Gemeinschaft stiftenden Kraft der Musik – ein bisschen als Ersatz für das Weihnachtsfest – anzureichern, war eine vortreffliche Idee der Autorin. Dadurch lassen sich auch immer wieder die verschiedenen Schicksale stimmungsvoll miteinander kurzschließen (wenn beispielsweise Zirners Frührentner Henning auf seiner Querflöte „Bourée“ bläst). Thematisch passen die Geschichten ohnehin zusammen, geht es in „Was im Leben zählt“ doch um Varianten der Liebe – der Liebe zwischen Mutter und Tochter, zwischen Vater und Tochter, zwischen zwei Teenagern, zwischen Mann und Frau. Dadurch entsteht ein stimmiger Gesamteindruck und eine heilsame Botschaft, die sicher manch einer in die Kitsch-Ecke rücken wird. Dabei geht es doch um ganz normale private Sehnsüchte und Utopien aus dem Nahbereich der Gesellschaft. Und die werden im Gegensatz zum „Herzkino“ nicht emotional wirksam ausgeschlachtet, sondern durchaus „ernsthaft“ verhandelt. (Text-Stand: 11.8.2016)