Frühlingserwachsen im Spätsommer. Der 17-jährige Anton verbringt mit seiner Mutter und ihrem Liebhaber die Ferien an der französischen Atlantikküste. Die Sonne lacht, der Pool lockt und vom Luxus-Bungalow aus hat der Junge einen prächtigen Blick aufs Meer. Doch der hat nur Augen für David und Katja von nebenan, die sich als Geschwister ausgeben und alsbald ein undurchschaubares Spiel mit dem ebenso verunsicherten wie von der Radikalität der beiden faszinierten Anton treiben. Sind die zwei wirklich an ihm interessiert oder wollen sie ihn nur manipulieren, provozieren und ins Unglück rennen lassen? Der scheue Junge, der noch immer unter dem Selbstmord seines Vaters leidet, nabelt sich aber in diesem Urlaub offenbar nur scheinbar ab von der Mutter. Freud winkt beiläufig mit dem Zaunpfahl.
Foto: WDR / Lichtblick / Derennes
Wolfgang Fischer über seine Intention:
„Der Film visualisiert das Verdrängte, Unheimliche und das Nicht-Erklärbare in einer vermeintlich heilen und geborgenen Welt. Innen- und Außenleben der handelnden Figuren verschwimmen dabei in der Bilderwelt der wilden Natur der Bretagne und offenbaren überraschende Abgründe.“
Das Psychodrama „Was du nicht siehst“ erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte über Verführung, Gewalt und über die Träume, die in einem Teenager schlummern können. Es lockt der Leichtsinn – und noch mehr das Verbotene. Der Debütfilm des Österreichers Wolfgang Fischer taucht seine Geschichte, die er nie semantisch überfrachtet, sondern entspannt im Arthaus-Stil entwickelt, in eindrucksvolle Bilder: Auf die bizarre, urwüchsige Landschaft der Bretagne projizieren er und sein vorzüglicher Kameramann Martin Gschlacht die Abgründe der jugendlichen Figuren. Das Meer spiegelt die Freiheit(ssuche), im Bild der Steilküste verschmelzen der Traum, einfach davon fliegen zu wollen aus dieser Erwachsenenwelt, mit dem Moment des Gefährlichen zu einem wilden Spiel der Urkräfte, und der Wald umstrahlt geheimnisvoll die Wonnen und den Wahn der drei Pubertierenden. Gekrönt wird „Was du nicht siehst“ von einem guten Schauspieler-Quartett, aus dem die Darsteller der handlungstreibenden „Jugendlichen“ besonders herausstechen: Ludwig Trepte („Ihr könnt euch niemals sicher sein“) und Frederick Lau („Neue Vahr Süd“), beide bereits in jungen Jahren Grimme-Preisträger, und Alice Dwyer, die das Urmotiv der weiblichen Verführung individuell, frisch und sinnlich variiert. Dasselbe lässt sich auch über die Vorgehensweise von Wolfgang Fischer sagen: Solche Pubertätspsychothriller, die das Innere nach außen kehren, sind nicht neu – aber so eindringlich hat man den Blues der Kids vor vermeintlicher Sehnsuchtslandschaft lange nicht mehr gesehen. (Text-Stand: 28.3.2012)