Verführt – In den Armen eines Anderen

Isabell Gerschke, Julian Weigend, Sturm, Herling. Spiel mit falschen Erwartungen

Foto: Sat 1 / Christoph Assmann
Foto Tilmann P. Gangloff

In der Ankündigung von Sat 1 klingt „Verführt – In den Armen eines Anderen“ wie ein Sexfilm. Tatsächlich ist die Geschichte ein Beziehungsdrama: Die Ehe von Karrierefrau Nina und ihrem ähnlich erfolgreichen Mann ist in die Jahre gekommen, das Feuer von einst ist dahin. Als ein mysteriöser Fremder in Ninas Leben tritt, lässt sie sich nach anfänglichem Zögern auf eine Affäre ein. Regisseur Herling verzichtet auf plakative Sexszenen und sorgt dennoch für knisternde Erotik – und Isabell Gerschke ist in jeder Hinsicht sehenswert.

Eigentlich schade, dass es Sat 1 nicht beim alten Titel belassen hat: Ursprünglich hieß dieser Film „Dein Atem auf meiner Haut“. Das klingt nicht nur deutlich sinnlicher als „Verführt – In den Armen eines Anderen“, es trifft die Handlung auch besser als die Sexfilm-Ankündigung des Senders: „Karrierefrau Nina lässt sich vom attraktiven Daniel in eine neue Welt der Begierde entführen.“ Tatsächlich erzählt Hardi Sturm, der für Sat 1 auch die Drehbücher zur Justizkrimireihe „Im Alleingang“ geschrieben hat, ein klassisches Beziehungsdrama: Nina (Gerschke) und Sebastian (Kalupa) haben Karriere gemacht, sie in einer PR-Agentur, er als Anwalt; ihre kinderlose Ehe ist dabei auf der Strecke geblieben. Als Nina den Auftrag bekommt, die Website einer Kundin zu gestalten, die einen speziellen Dating-Service anbietet, ist sie zunächst überzeugt, sie sei gegen solche Versuchungen immun; aber dann lernt sie Daniel (Weigend) kennen und stürzt sich gegen ihren Willen in eine in leidenschaftliche Affäre.

Verführt – In den Armen eines AnderenFoto: Sat 1 / Christoph Assmann
Love with a Stranger. Nina (Isabell Gerschke) kann Daniel (Julian Weigend) nicht widerstehen.

Das klingt nach einem Vorwand für Sexszenen, aber „Verführt – In den Armen eines Anderen“ ist dem Titel zum Trotz durchaus anspruchsvoll und handelt von einer Geschichte, wie sie sich vermutlich viele Menschen erträumen, deren Beziehung ebenfalls in die Jahre gekommen ist. Deshalb wecken die Vorspannbilder ebenso falsche Erwartungen wie die Sat-1-Formulierung von der „Welt der Begierde“: Markus Herling, der zuletzt die sehenswerte ARD-Beziehungskomödie „Seitensprung mit Freunden“ gedreht hat, lässt es zwar kräftig knistern, aber seine Hauptdarstellerin muss keine Grenzen überschreiten. Wenn die Aufnahmen dennoch vergleichsweise freizügig wirken, liegt das wohl eher daran, dass Sex im Fernsehfilm seit einiger Zeit vorzugsweise unter der Bettdecke stattfindet. Die Bilder sind jugendfrei, sorgen jedoch dank Daniel Koppelkamms geschmackvoller Bildgestaltung für sinnlichen Nervenkitzel und entsprechen somit exakt der Vorgabe, die Ninas Kundin für ihre Website wollte: Der eigentliche Film spielt sich im Kopf des Betrachters ab.

Geschickt steigert Sturm die Spannung: Um frischen Wind in die Ehe zu bringen, arrangiert Sebastian ein Date in einem feudalen Hotel, wo Nina ihm im Dunkeln versehentlich die Nase blutig schlägt. Frustriert zieht sich Sebastian in die Bar zurück und verbringt den Rest der Nacht im intensiven Austausch mit einem Fremden. Am nächsten Tag will sich das Paar gemeinsam eine Altbauwohnung anschauen. Dort trifft Nina aber nicht auf ihren Gatten, sondern auf den Mann aus der Bar. Er zeigt ihr die versteckten Dienstbotengänge und entführt sie buchstäblich in die Welt hinterm Spiegel: Gemeinsam beobachten sie ein Paar durch die Rückseite eines Spiegels beim Spontan-Sex. Diesmal kann sich Nina der erotisch aufgeheizten Stimmung noch entziehen, aber bei der nächsten Begegnung schmilzt ihr Widerstand dahin.

Verführt – In den Armen eines AnderenFoto: Sat 1 / Christoph Assmann
Ehemann Sebastian (Patrick Kalupa) entgeht die Veränderung seiner Frau (Isabell Gerschke) nicht.

Die Affäre ist zwar triebgesteuert, aber schon allein Sendezeit und Jugendschutz verhindern, dass Herling die „Begierde“ entsprechend umsetzt. Im Vergleich zu „Verführt – In den Armen eines Anderen“ ist „Fifty Shades of Grey“ ein Softporno; und gerade das spricht für die Qualität des Sat-1-Films. Sturm & Herling schälen ihre Hauptfigur wie eine Zwiebel. Anfangs tritt Nina zugeknöpft im typischen Kostüm der Karrierefrau auf: mit Hose, hochgeschlossener Bluse und die Haare zum strengen Dutt hochgesteckt. Gegenentwurf ist ihre Kollegin Rita (Lodyga), die ihre Reize sehr offensiv einsetzt und kein Geheimnis daraus macht, dass sie ein Verhältnis mit dem Chef (Warms) hat. Nina, halb fasziniert, halb befremdet, beobachtet die beiden bei einer Autonummer auf dem Parkdeck der Agentur. Später wird sie an der gleichen Stelle Daniels fingerfertigen Avancen erliegen, und natürlich spiegeln sich ihre sexuellen Erlebnisse auch in offenherzigerer Bluse und ungebändigten Haaren wider.

Trotzdem gehört mehr als bloß Kleidung und Frisur dazu, den inneren Wandel der Rolle zu verdeutlichen. Isabell Gerschke, der nach wie vor das außerordentliche Verdienst zukommt, dem scheintoten „Polizeiruf“ aus Halle 2010 neues Leben eingehaucht zu haben, vermittelt glaubwürdig, wie Nina versucht, sich gegen die Versuchung zu wehren. Selbst wenn die Sexszenen nicht explizit sind: Mut war sicherlich dennoch erforderlich. Darüber hinaus haben Sturm und Herling wirkungsvolle Bilder gefunden, um zu illustrieren, wie die kontrollierte Nina den Kopf verliert: In einem erotischen Traum sieht sie erneut durch den Spiegel, aber die Frau auf der anderen Seite ist nun sie selbst; und als sie beim Spontansex mit Sebastian in den beschlagenen Badezimmerspiegel schaut, steht hinter ihr nicht ihr Mann, sondern Daniel. Diese kurzen Momente sind viel eindrucksvoller als die demonstrative Naheinstellung ihrer unruhigen Hände, als die Betreiberin des Seitensprungportals ihr erzählt, welche Möglichkeiten sich ihren Kunden bieten. Die Agentur trägt den Namen Charade – ein Hinweis darauf, dass die Dinge von Anfang an anders liegen, als Nina glaubt? (Text-Stand: 6.11.2016)

Verführt – In den Armen eines AnderenFoto: Sat 1 / Christoph Assmann
Anfangs hochgeschlossen, später eher dürftig bekleidet: Isabell Gerschke als Nina

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Fernsehfilm

Sat 1

Mit Isabell Gerschke, Julian Weigend, Patrick Kalupa, Karolina Lodyga, Guntbert Warns, Annika Ernst, Merle Collet

Kamera: Daniel Koppelkamm

Szenenbild: Wolfgang Baark

Kostüm: Elisa Cappell

Schnitt: Nils Landmark

Musik: Birger Clausen

Produktionsfirma: Producers at Work

Drehbuch: Hardi Sturm

Regie: Markus Herling

EA: 22.11.2016 20:15 Uhr | Sat 1

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