„Fähner“: Ein Mann liebt seine Frau, die ihn ein Leben lang klein macht, beschimpft, demütigt – bis er im Alter zurückschlägt: Mit einer Axt spaltet er ihr den Kopf, bevor er sie zerlegt und sich mit den Worten „Ich hab’ Ingrid kleingemacht“ stellt. „Tanatas Teeschale“: Drei Berliner Kleinkriminelle machen einen Bruch – und verheben sich daran lebensgefährlich, weil sie unwissentlich ein Symbol japanischer Kultur klauen. Der neue Plan: Teeschale zurückgeben und am Leben bleiben. „Grün“: Ein junger Mann schneidet mit Vorliebe Schafen die Kehle durch. Hat dieser Sohn aus gutem Hause auch die Dorfschöne umgebracht, ist er hochgradig schizophren oder hat er „nur“ eine Wahrnehmungsstörung? „Summertime“: Die Spielsucht eines Kiez-Ganoven treibt seine Freundin, eine attraktive Studentin, in ein „Arrangement“ mit einem freundlichen Großindustriellen. Nachdem sie brutal ermordet wurde, wird dieser der Tat beschuldigt. „Notwehr“: Zwei junge Männer bedrohen einen seltsamen Mann, der sich erst blutig stechen lässt, bevor er sich wehrt – der dann aber kein Pardon kennt und die Angreifer mit ihren eigenen Waffen tötet. Der Mann wird festgenommen und verweigert jede Kommunikation – so kann seine Identität nicht festgestellt werden. Ein anderer Mann will kein Hannibal Lecter sein und doch hat er seine Freundin zum Essen gern.
Foto: ZDF / Gordon Muehle
Fünf von sechs Filmplots, die nach Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichten entstanden sind. „Verbrechen“, so klar der Titel, so klar die Ausgangssituationen der Geschichten. Auch die Lösungen sind nicht kompliziert, kommen ohne dramaturgische Tricks aus – allerdings sind sie nicht selten verblüffend. So verschieden die Milieus und die Menschen, die sich verdächtig oder schuldig machen, so unterschiedlich die Tonlagen der Storys und die Erzählweisen – gemeinsam sind den sechs 45-Minütern ihre konsequent ausschnitthafte Dramaturgie, die Reduktion auf den juristischen Zugriff auf die Fälle und die charismatische Hauptfigur dieser Mini-Serie: der Berliner Anwalt Friedrich Leonhardt. Er ist kein klassisch zynischer Paragraphenverdreher alter Juristenschule, sondern ein klarsichtiger Denker, der eine Haltung zum Leben besitzt, zur menschlichen Natur, zum Rechtsstaat, zu seinem Beruf.
„Ein Anwalt will nicht immer wissen, was wirklich passiert ist. Es ist eine Gratwanderung. Ob der Anwalt glaubt, dass sein Mandant unschuldig ist, spielt keine Rolle. Seine Aufgabe ist es, den Mandanten zu verteidigen. Nicht mehr und nicht weniger.“ Mag dieses Credo, mit dem jede der sechs Episoden schließt, die landläufigen Vorurteile gegen Rechtsanwälte weitgehend bestätigen – in seinen Gesprächen und Befragungen vermittelt Friedrich Leonhardt eher das Bild eines lebensklugen Mannes, dem große Show-Attitüden und Tricksereien fremd sind, der seine Mandanten vor allem mit dem Buchstaben des Gesetzes vertritt. Die Psychologie des Angeklagten blendet er weitgehend aus, er verlässt sich nicht auf Glauben, auf Augenschein oder gesunden Menschenverstand, auch aufgesetzte Moral ist ihm hochgradig zuwider. Dieser menschlich positive Eindruck, den Friedrich Leonhardt hinterlässt, ohne ein Sympathiebonus-Anwalt der kleinen Leute zu sein wie Dieter Pfaff in „Der Dicke“ oder Annette Frier in „Danni Lowinski“, hängt maßgeblich auch mit seinem Darsteller Josef Bierbichler zusammen. Es ist ein Hochgenuss, diesem Schauspieler zuzuhören, die feinen Nuancen in seinem bullig wirkenden Äußeren gewahr zu werden oder die beiläufig dahingeredeten Spitzen. Was ist das doch für eine wahrhaftige Persönlichkeit, was für eine existentielle, ja kreatürliche Tiefe, so anders als die ausgedachten Borderline-Kommissare, denen allein mit Konzeptionen Charakter eingeimpft werden soll.
Foto: ZDF / Gordon Muehle
Soundtrack: NaNuchKa („Red“), Emeli Sandé („Heaven“), Heather Nova („Higher ground“), Ane Brun („To let myself go“), The Counterfeit Junkies („Do you feel Love“), Patty Bravo („La Bambola“), Paul Taylor („A Girl like that“), Karen Elson („The Ghost who walks“), Balkan Beat Box („Ramallah – Tel Aviv“), Phoebe Killdeer and The Short Straws („The Fade Out Line“)
„Verbrechen“ macht das totgerittene Krimi-Genre hierzulande wieder aufregend. Jeder Film ist anders, erzählt wird mal über drei Tage, mal über fünf Jahrzehnte, zahlreiche Genres werden kurzgeschlossen, Justiz-Drama, Splatter-Komödie, Psycho-Western, Gerichts-Krimi, und doch ist diese Serie in der Lage, eine Sogwirkung zu erzeugen, die süchtig machen kann. Hier ist es nicht die spannende Variation des Immergleichen, die das Interesse weckt, sondern die cool stilisierte Klarheit einer vielfältigen Wirklichkeit. Sind andere Serien nur noch Hüllen für Versatzstücke aus eben jener Wirklichkeit, schafft es diese durch den veränderten Blick, die konzentrierte Erzählweise, wieder eine Neugier zu wecken, eine Neugier nach Geschichten, nach vitaler, wilder Realität, nach anderen Erzählformen. Ein Hilfsmittel dabei ist die Verfremdung. Eine ungewöhnliche Geschichte, eine unkonventionelle Dramaturgie, eine wuchtige, suggestive Filmsprache, ein atmosphäresteigernder Soundtrack (da hat einer bei Tarantinos Filmen ganz genau zugehört!) – das Ungewohnte lässt einen genauer hinschauen – vielleicht anfangs irritiert, aber irgendwann dann (hoffentlich) auch fasziniert. Das Ergebnis: ästhetische Krimi-Miniaturen jenseits des kreuzbiederen Fernsehabbildrealismus’. Der Worte sind genug gewechselt. Lasst Bilder sprechen…