Der Wandel des Freitagsfilms im „Ersten“ ist offenkundig, doch an den Filmen aus Norwegen lässt er sich besonders gut ablesen. Früher firmierten die meist luftig-leichten Geschichten unter dem Sammeltitel „Liebe am Fjord“. Geliebt wird zwar immer noch, doch ansonsten besteht die von Studio Hamburg produzierte Reihe vor allem aus anspruchsvollen Dramen. Die Landschaft spielt naturgemäß nach wie vor eine optisch dominante Rolle, weshalb es mitunter wie ein Rückfall in längst überwundene Zeiten wirkt, wenn sich Regisseur Jörg Grünler und Kameramann Markus Selikovsky in „Unterm Eis“ gar nicht satt sehen können an der prachtvollen Landschaft. Einige Luftaufnahmen haben keine dramaturgische Bewandtnis und wirken daher, als seien sie deshalb im Film, um die teure Heli-Miete zu rechtfertigen.
Das Drama ist ohnehin immer dann am stärksten, wenn sich der „Fjord“-erfahrene Grünler auf die handelnden Personen und somit auf seine Darsteller konzentriert. Zentrale Figur ist Isak (Rott), ein junger Informatiker, der im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Jonas früh die Enge des Elternhauses verlassen hat und nur noch selten in die Heimat zurückkehrt. Als ihn sein Bruder im Frühjahr zur Taufe seines Kindes einlädt, machen die beiden passionierten Kletterer eine Bergtour, die für Jonas tödlich endet. Isak wird gerettet und leidet nun unter enormen Schuldgefühlen: Ohne ihn wäre Jonas nicht in die Berge gefahren. Außerdem war er immer eifersüchtig auf den Bruder, der stets der Liebling der Eltern (Hübchen & Krößner) war. Seine Missgunst ging gar so weit, dass er Jonas als Kind den Tod gewünscht hat.
Foto: ZDF / Richard Hübner
Der Titel des Films ist klug gewählt. „Unterm Eis“ bezieht sich vordergründig darauf, dass die Suchtrupps den Leichnam des von einer Lawine begrabenen Jonas nicht finden können; das macht es für die Familie so schwer, Abschied zu nehmen. Hintergründig sind aber fraglos auch der fast frostige Umgang der Eltern mit ihrem jüngeren Sohn und die verkrusteten familiären Strukturen gemeint. Das Drehbuch von Silke Zertz verdeutlicht dies gleich zu Beginn, als sich Mutter Ingrid zwar nach Isaks Befinden erkundigt, ihm aber nicht richtig zuhört. Und selbstredend darf auch die rapide zunehmende Sehschwäche des Vaters sinnbildlich verstanden werden: weil er nie wahrgenommen hat, was in Isak vorgegangen ist. Außerdem hat er Jonas derart idealisiert, dass ihm entgangen ist, wie wenig der Sohn diesem Ideal in Wirklichkeit entsprach; und zwar sowohl in Bezug auf die Arbeit im väterlichen Betrieb wie auch auf die vermeintlich glückliche Ehe mit Malin (Hartmann). Isak braucht nicht lange, um rauszufinden, dass Jonas eine Geliebte hatte und seine Frau wohl verlassen wollte.
Alle diese Konflikte und Erkenntnisse spielen sich jedoch unter der Oberfläche der Filmbilder ab; oft werden sie auch nur angedeutet. Umso eindrucksvoller ist die Leistung David Rotts, der die innere Zerrissenheit Isaks ganz sparsam und doch stets spürbar vermittelt: Einerseits will Isak das Dorf so schnell wie möglich wieder verlassen und zu Freundin Stelle (Linke) zurückkehren, andererseits zieht es ihn immer wieder in den Heimatort, zumal Sandkastenliebe Oda (Blendl) offenbar die einzige ist, die ihn wirklich versteht. All das – die Sehnsucht nach den Wurzeln, die Begegnung mit der Jugendliebe – sind natürlich Zutaten, bei denen sich auch die früheren Degeto-Filme gern bedient haben; das Ergebnis waren allerdings oft genug zähe und allzu sehr auf vermutete Erwartungen zugeschnittene Melodramen. Es spricht für die Qualität von Drehbuch und Regie, dass „Unterm Eis“ davon auch dank der ausgezeichneten darstellerischen Leistungen meilenweit entfernt ist. (Text-Stand: 10.1.2015)