Betty (Cristino Do Rego) ist das schwarze Schaf der Familie. Allerdings muss die Tochter des Hauses, die mit ihren 23 Jahren noch ungewöhnlich stark an Vater Bruno (Jophi Ries), Mutter Jette (Julia Jäger), Bruder Robbie (Moritz von Zeddelmann) und Opa Frans (Peter Franke) hängt, allein mit diesem Umstand umzugehen lernen, denn sie ist auch die einzige, die davon weiß. Die Schulzens sind Gauner. Rechtschaffene Verbrecher zwar, die zu Großvaters Leidwesen seit Jahren ihr Einkommen allein nach dem Motto der Schwiegertochter, „keine Waffen, keine Drogen: sanft gaunern!“, sichern – und das schwarze Schaf Bettina Schulze hat nun heimlich die Seiten gewechselt. Sie ist zur Polizei gegangen. Sie ist die Beste ihres Jahrgangs und seit Kurzem im Kripo-Einsatz mit der Triple-Espresso-süchtigen Oberzynikerin Ida Wolff (Barbara-Magdalena Ahren) und dem besserwisserischen Oberschleimer Ingo Pollack (Tristan Seith). Sie hat sich für die Abteilung Schwerstkriminalität entschieden. Doch mit ihren halblegalen Import-Exportgeschäften gerät ihre liebe Family immer wieder in den Dunstkreis schwerer Verbrecher oder aber Opa Frans sehnt sich mal wieder nach einem „Jahrhundertding“. Da ist es dann an Betty, alles wieder ins rechte Lot zu bringen. Aber auch als Polizistin macht sie sich richtig gut. Sie weiß schließlich am besten, wie Verbrecher ticken.
Foto: ARD / Marion von der Mehden
Ähnlich wie die junge Heldin so hat auch die ARD am Vorabend endlich mal die Seiten gewechselt. Wache und Kommissariat sind einmal nicht die Hauptschauplätze im – wie es früher hieß – Werberahmenprogramm. Denn „Unter Gaunern“ ist in erster Linie eine Familienserie, die durch das ungewöhnliche Wechselspiel zwischen beruflich und privat, zwischen der Liebe zur Familie und der Liebe zur Gesetzestreue nicht nur dramaturgisch ein dichtes, mehrsträngiges Handlungsnetz webt, sondern auch „inhaltlich“ Unkonventionelles mit sich bringt. Was Head-Autor Christian Jeltsch („Tatort – Außer Gefecht“) im Großen entwickelt hat, zeigt sich auch immer mal wieder im Kleinen: einige Nebenfiguren sind mehr als die serienüblichen Funktionsträger, die in ihrer gesellschaftlichen & genretypischen Rolle verharren. So darf in „Die nackte Paula“ eine Mutter, die ihrem Sohn wenig Liebe entgegengebrachte, nach einem stereotypen Auftritt dieses Prekariatsklischee mit Gefühlen brechen. Und zum Auftakt entpuppt sich in „Das schwarze Schaf“ Wolffs Informantin zwar als überaus parteiisch, weiß aber dem Klischee der aufgetakelten „Russenschlampe“ mit einer sexy-Tanzeinlage über einem Luftschacht Marilyn-Monroe- & Bolschoi-like zu begegnen.
Foto: ARD / Marion von der Mehden
Der doppelte Boden ist DIE Metapher dieser neuen ARD-Serie, für die RadioBremen und der NDR verantwortlich zeichnen. Mal verbirgt dieser doppelte Boden die Kopie eines deutschen Meisters, mal eine versteckte Ladung Kokain. Gleichsam doppelbödig funktionieren auch die „Beziehungen“ zwischen dem durchgängigen Serien-Personal. Ausgerechnet die in der Familie, die noch nie gut lügen konnte, wird zu einem Doppelleben gewungen, bei dem sie ihren Liebsten genauso wie den Kollegen ständig etwas vormachen muss. Wie sie es immer wieder schafft, dass der „Frieden“ gewahrt bleibt, sorgt beim Zuschauer zunächst für etwas Aufregung und schließlich für den verdienten Wohlfühleffekt, den man sich und den Figuren wünscht. Nicht oft passiert es, dass man in einer kriminalkomödiantisch angehauchten deutschen Serie mit allen Protagonisten Sympathie empfinden kann, anstatt ihnen vornehmlich mit Fremdschämen zu begegnen. Das liegt an dem geglückten Versuch, bei allem Witz die Figuren in „Beziehungen“ zu verstricken, ihr Spiel allenfalls mit einer leichten Humornote zu versehen und dafür mit den Geschichten eine augenzwinkernde Tonlage zu erzeugen. Dass man diese Typen zum Gernhaben mit Schauspielern besetzt hat, die ihrem Berufsstand alle Ehre machen – das ist ein weiterer Grund für das gute Gelingen von „Unter Gaunern“
Cristina Do Rego („Pastewka“) hat den Zuschauer sofort auf ihrer Seite. Jophi Ries („Soko Köln“) hamburgert fast so sonor wie Jan Fedder. Julia Jäger („Zeit der Helden“) als Pferdewetten-süchtige Mutter bringt einen Schuss Ernsthaftigkeit in die Interaktionen. Peter Franke („Teufelsbraten“) hat in dieser Serie voller knackiger, knapper Dialoge die launigsten Sprüche, die er mit ernster Brummbärmiene zum Besten gibt („Besteht die Chance, dass sie dich verlässt?“). Mit ähnlichem Gesichtsausdruck und angenehm sarkastischen Bemerkungen punktet auch Barbara-Magdalena Ahren („Tatort – Frau Bu lacht“). Den einen oder anderen treffenden Spruch haben Moritz von Zeddelmanns Robert Schulz, der nur Sex im Kopf hat und dabei schon mal vergisst, dass Betty seine Schwester ist („Sollte ’n Kompliment sein“), und Carmen (Kaya Marie Möller) parat, die ihre beste Freundin immer wieder aus prekären Situationen retten muss. „Der Anfang ist immer Scheiße. Naturgesetz. Kann ja sonst nicht besser werden.“ Was Carmen auf Bettys ersten Arbeitstag bezieht, trifft auch auf die meisten Vorabendserien zu. Die ersten drei Folgen von „Unter Gaunern“, die im Übrigen überaus gekonnt und dramaturgisch wie visuell abwechslungsreich von Sophie Allet-Coche („Der letzte Bulle“) inszeniert sind, bilden da eine Ausnahme. Bleibt zu hoffen, dass die „zweite Garnitur“, Autorin Sonja Schönemann („Sekretärinnen – Überleben von 9 bis 5“) und Regisseur Andreas Menck („Der Knastarzt“), es ebenso gut machen.