Um die 50

Raacke, Wörner, Tarrach, Schäfer, Eyron, Ralf Huettner. Melancholie schwingt mit

Foto: ZDF / Raymond Roemke
Foto Rainer Tittelbach

Ein 50. Geburtstag ist ein guter Anlass, dass sich eine Clique aus den Neunzigern nach Jahren wiedersehen könnte. Doch nicht allen steht gleichermaßen der Sinn nach einem solchen Treffen. 1994 und 1996 waren die munteren Beziehungsgeschichten von Frank, Tina & Co schon einmal im ZDF zu sehen. Jetzt im Fernsehfilm „Um die 50“ gibt es einige wunderbare  Referenzen an die Serie „Um die 30“. Der Film dürfte für Fans der Serie, die mit der Lust, nicht erwachsen werden zu wollen, mit flottem Soundtrack und jungem Look TV-Geschichte geschrieben hat, ebenso funktionieren wie für „Neueinsteiger“. Ralf Huettner hat wie schon vor einem Vierteljahrhundert diesem Ensemblestück eine unaufgeregte, unkomplizierte, für viele seiner Filme typische Tonlage verpasst. Es ist eine lockere Mixtur aus Alltagsthemen und -situationen der Babyboomer-Generation, in der die Wehmut über das Älterwerden & über die Einsicht, dass man vieles hätte besser machen können, mitschwingt, mal komisch, mal ernsthaft, mal albern, mal dramatisch – und von einer offenen Dramaturgie geleitet.

Der 50. Geburtstag von Carola (Susanne Schäfer) wäre ein guter Anlass, dass sich die Sechs der Münchner Clique nach vielen Jahren mal wiedersehen könnten. Doch nicht allen steht der Sinn nach einem solchen Treffen, obwohl Göttergatte Carlo (Jürgen Tarrach), dessen Ehe mit Carola trotz ihrer aktuellen Affäre als einzige die Zweierbeziehungen der anderen vier überlebt hat, trotz angespannter Finanzlage so großen Einsatz zeigt bei den Vorbereitungen der Geburtstagsgartenparty. Auch die zweite Ehe von Frank (Dominic Raacke) mit der sehr viel jüngeren Henriette (Henny Reents) läuft momentan nicht rund, weshalb sie ihr Veto eingelegt hat, dass Tina (Natalia Wörner), Franks große Liebe und erste Ehefrau, zur Feier eingeladen werde. Die lebt zwar in Paris, weilt aber wie ihre Schwester an diesem Wochenende in München, wo sie Nachlassangelegenheiten zu regeln haben. Bei dieser Gelegenheit stellt Sabrina (Catherine Flemming) Tina ihre neue Lebenspartnerin Ellen (Jule Böwe) vor. Die Schwestern wollen beide nicht zu Carola und Carlo „rausfahren“. Sabrina legt keinen großen Wert darauf, die alten Freunde wiederzusehen, vor allem ihren Ex Olaf (Bruno Eyron). Der lebt noch immer auf zu großem Fuß und versucht, deshalb seiner dementen Mutter ihr Haus abzuluchsen. Der ewige Porschefahrer wirkt depressiv, sein Seelenzustand hat aber auch Gutes: Aus der Sorge um ihn kommt es doch noch zum Wiedersehen von Frank und Tina.

1994 und 1996 waren die munteren Beziehungsgeschichten von Frank, Tina & Co schon einmal im ZDF zu sehen. Damals wurde viel mit der Lust, nicht erwachsen werden zu wollen, in schicken Bildern und nostalgisch anmutenden Popsongs locker und unterhaltsam kokettiert. Jetzt im Fernsehfilm „Um die 50“ gibt es einige sehr passende Referenzen an die Serie „Um die 30“. Der damalige Titelsong „Make Me Smile“ von Cockney Rebel funktioniert 2021 noch immer, jetzt doppelt melancholisch gut, und in einem Ausschnitt zu Beginn hören und sehen wir Frank sagen: „Ich glaub, wir werden nie erwachsen; wir werden einfach nur älter.“ Zweieinhalb Jahrzehnte später hat das Leben deutlich seine Spuren hinterlassen. Bis auf Obernarziss Olaf sind sie wohl alle mehr oder weniger erwachsen geworden – sprich: Sie gehen die Probleme, die es zu bewältigen gibt, mit reiferer Überlegung an als damals mit Anfang, Mitte 30. Frank, der nur schwer mit dem spätpubertären Sohn seiner zweiten Frau klarkommt, wirkt am „vernünftigsten“. Oder ist es nur sein typisches Schweigen, das Tina schon in ihrer Ehe auf die Palme gebracht hat, welches ihm Souveränität und Tiefe verleiht? Tina selbst ist das weibliche Pendant, selbstbewusst tough, aber emotional anspruchsvoller, offenbar noch mit Klärungsbedarf, was das Scheitern ihrer gemeinsamen Ehe angeht. Wenig verändert haben sich Carola und Carlo: Sie noch ein bisschen mehr Spaßbremse als früher, und er will es noch immer allen recht machen und wirkt nicht nur dadurch manchmal ziemlich lächerlich. Und Sabrina hat sich von allen – auch von ihrer Schwester Tina – abgeseilt.

Um die 50Foto: ZDF / Raymond Roemke
Sie waren das Traumpaar; doch sie haben es versemmelt. Es gibt allerdings auch psychologische Gründe, weshalb die Ehe nicht gehalten hat. Dominic Raacke & Natalia Wörner – in ihren Szenen tut sich (auch im Spiel) am meisten.

Ein Stück Fernsehgeschichte der 90er Jahre: die Serie „Um die 30“ (1994/96).
Es war die Zeit, als die jungen Zuschauer den öffentlich-rechtlichen Sendern in Richtung RTL und Pro Sieben davonliefen und das fiktionale Fernsehen seine Krise mit jüngeren Geschichten und modernerer Verpackung zu bewältigen versuchte. Die Privatsender kamen mit meist reißerischen TV-Movies, die ARD mit dem Label „Wilde Herzen“, das ZDF, von der Konkurrenz als „Rheumadeckensender“ verspottet, mit frischeren Serien wie „Girl Friends“, „Nur eine kleine Affäre“ und „Um die 30“.

Meine Kritik von 1994, die den Stellenwert von „Um die 30“ deutlich macht:
Endlich, die Serie für uns, die wir um die 30 sind oder auch ein paar Jährchen drüber. Für uns, die wir die Woodstock-Zeiten im Kindergarten verbrachten und in den 80er Jahren nie zu den Yuppies gehören wollten. Wir sind DIE dazwischen: Wir hängen zwischen den Generationen ebenso wie wir zwischen den Fernsehprogrammen hängen. Grelle Actionware oder bunte Videoclips sind uns zu billig, aber auch das pädagogisch wertvolle Fernsehspiel geht uns zunehmend auf den Senkel. Doch uns fragt ja keiner. Die Kids und Jung-Twens haben MTV und Viva, die gesetzteren Eltern und älteren Zuschauer ihre Derricks und Drombuschs. Und was bleibt uns? „Alles außer Mord“, „Zoff und Zärtlichkeit“ – das war’s. Sich unser angenommen, auch thematisch, hat sich jetzt Ralf Huettner. Und er hat mit „Um die 30“ eines der frischesten und unverkrampftesten TV-Stücke des Jahres abgeliefert. Sechs forsche Typen, von denen man mehr erfahren möchte. Sechs interessante Gesichter, denen zuzuschauen nie langweilig wird. Sechs Schauspieler, die wissen, was sie spielen. Der Alltag ist nur leicht dramatisiert, gesprochen wird so, wie wir’s eben sonst auch tun. Diese Realitätsnähe findet sich auch im Nonverbalen, den Gesten, dem Augenzwinkern, dem Indirekten. Man kennt sich. Man muss nicht alles aussprechen. Wir jedenfalls, die um die 30, kennen das, verstehen das alles nur zu gut. Uns macht das riesigen Spaß. Nur uns?

Um die 50Foto: ZDF
Ob Schauspieler oder Zuschauer, die mit gealtert sind: Da kann man schon etwas melancholisch werden. Tarrach, Schäfer, Wörner, Raacke, Flemming und Eyron. Ein Stück Fernsehgeschichte der 90er Jahre: die Serie „Um die 30“ (1994/96). Es war die Zeit, als die jungen Zuschauer den öffentlich-rechtlichen Sendern in Richtung RTL und Pro Sieben davonliefen und das fiktionale Fernsehen seine Krise mit jüngeren Geschichten und modernerer Verpackung zu bewältigen versuchte. Die Privatsender kamen mit meist reißerischen TV-Movies, die ARD mit dem Label „Wilde Herzen“, das ZDF, von der Konkurrenz als „Rheumadeckensender“ verspottet, mit frischeren Serien wie „Girl Friends“, „Nur eine kleine Affäre“ und „Um die 30“.

Auf welche Weise die sechs Protagonisten in „Um die 50“ an einem Wochenende im Sommer 2020 nun wieder aufeinandertreffen (und mit welchen dezenten Rollenbilder-Variationen), das haben sich Ralf Huettner und Dominic Raacke, die schon die Drehbücher zu „Um die 30“ ge-schrieben haben, alltagsnah und unprätentiös mit einem konstruktiven Faible für glückliche Zufälle ausgedacht. Ein Fest als Ausgangspunkt mag simpel erscheinen, bietet aber gerade auch in der Art und Weise, wie ernst es von den einen genommen wird und wie lästig es für andere ist, Rückschlüsse auf die Charaktere. Das Fest selber bietet aber ohnehin nur den Rahmen für das Wiedersehen. Dabei steht die umtriebige Vorbereitung in keinem Verhältnis zum abendlichen flauen Tanzvergnügen (das sicherlich nicht nur Corona geschuldet ist) und zur späteren Katerstimmung, als der übergewichtige Carlo den harten Kern der Party kurzzeitig einen Schrecken einjagt. Dieses – nennen wir es – Ensemblegeplänkel, das ja eben auch typisch ist für Partys mit Gästen zwischen 50 und 60, macht durchaus Laune, da man Schauspielern wie Dominic Raacke, Jürgen Tarrach oder Henny Reents gerne bei den kleinen Dingen des Lebens zuschaut. Von den klamaukigen Situationen zu Beginn, vom Zeltaufbau bis zum Fassanstich, die vor allem Carlo wie früher zur Witzfigur degradieren, hätte man durchaus verzichten können. Charakter und Mentalität des offenbar gescheiterten Restaurantbesitzers („Der Mann ist wichtig für uns“) kommen auch so hinreichend zur Geltung. Die interessanteren Geschichten spielen sich ohnehin in München ab – wenn die ungleichen Schwestern aufeinandertreffen, wenn Frank und Carlo Olaf in seiner Wohnung „überfallen“ und wenn Tina und Frank drauf und dran sind, sich den alten Zeiten hinzugeben.

Um die 50Foto: ZDF / Raymond Roemke
Ja, wo bleiben sie denn?! Carlo (Jürgen Tarrach) hat sich für seine Carola (Susanne Schäfer) mächtig ins Zeug gelegt. Macht sich dabei aber wie schon in „Um die 30“ häufig ein bisschen lächerlich. Die Synchronisierung der Bedürfnisse aller Beteiligten klappte früher besser. Das kann auch an den neuen Partnern liegen… Henny Reents

In den Ensemble-Szenen wirkt „Um die 50“ manchmal wie das, was man wohl vor 30 Jahren hierzulande „eine turbulente Komödie“ genannt hätte. In den Szenen, in denen die Konflikte auf den Tisch kommen, in denen Verdrängtes – zum Beispiel im Angesicht des Elternhauses – wieder hochkommt oder angenehmere Gefühle sich ihren Weg aus der Vergangenheit ins Jetzt bahnen, ändert sich allerdings die Tonlage schlagartig. Das zeigt, wie viel glaubwürdiges Problem-Potenzial doch in den Figuren steckt und wie rasch es – zumindest bei denen, die die Serie noch einigermaßen im Kopf haben – aktualisiert werden kann. Die Geschichte mit ihren Andeutungen und emotionalen Subtexten, die viele Zuschauer dieser Generation bekannt vorkommen werden, dürfte aber auch für „Neueinsteiger“ funktionieren. Auch eine Rückblende zur rechten Zeit trägt viel zum (emotionalen) Verständnis des Films bei.

Eine Szene bringt die Meta-Melancholie besonders nachhaltig auf den Punkt: Wenn sich Frank heute daran erinnert, wie sich Tina in „Um die 30“ voller Wehmut an ihre Kindheit erinnert. Gerne hätte man noch mehr solcher dramaturgischer Bezugspunkte zur Serie gesehen. Perfekt wäre natürlich eine Ausstrahlung von „Um die 30“ im Vorfeld des Fernsehfilms gewesen. Doch leider war dies aus rechtlichen Gründen nicht möglich, wie es beim ZDF heißt (oder war der Sender nur zu knausrig?). Und wer „Um die 30“ mochte und die eigenen verklärten Nostalgie-Gefühle nicht gegen „Um die 50“ richtet, der dürfte Spaß haben an diesem 90-Minüter, dem Ralf Huettner eine unaufgeregte, unkomplizierte, für viele seiner Filme typische Tonlage verpasst hat. Es ist eine lockere Mixtur aus Alltagsthemen und -situationen der Babyboomer-Generation, in der die Wehmut über das Älterwerden und über die Einsicht, dass man vieles hätte besser machen können, mitschwingt, mal komisch, mal ernsthaft, mal albern, mal dramatisch und von der offenen Dramaturgie eines solchen Ensemblestücks geleitet.

Um die 50Foto: ZDF / Raymond Roemke
Carlo (Jürgen Tarrach) steht zwar am Rande und wird von allen ein bisschen belächelt. Doch am Ende behält er mit seiner Strategie „die Affäre von Carola aussitzen“ Recht. Auch mit mehr Haaren und weniger Bauch muss man nicht unbedingt zufriedener oder gar glücklicher sein. Um die 50 ist um die 50. Obwohl: Bruno Eyron ist 56, Jürgen Tarrach 60 und der stattliche Dominic Raacke sogar schon 62. Beim Film wird halt gern gemogelt. „Um die 60“ würde aber auch zu sehr nach ZDF klingen.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Dominic Raacke, Natalia Wörner, Jürgen Tarrach, Susanne Schäfer, Bruno Eyron, Catherine Flemming, Jule Böwe, Henny Reents, Thomas Limpinsel, Marc Hosemann, Sandra Bourdonnec

Kamera: Armin Golisano

Szenenbild: Debora Reischmann

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Benjamin Kaubisch

Musik: Steffen Britzke

Soundtrack: u.a. „Cockney Rebel („Make me smile“), T. Rex („Get it on“), Stevie Wonder („Happy Birthday“), Santana („Oye como va“), RunDMC („Walk ths Way“)

Redaktion: Jutta Kämmerer

Produktionsfirma: Akzente Film & Fernsehproduktion

Produktion: Susanne Freyer

Drehbuch: Ralf Huettner, Dominic Raacke

Regie: Ralf Huettner

Quote: 4,40 Mio. Zuschauer (15,9% MA)

EA: 30.08.2021 20:15 Uhr | ZDF

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