Skandinavien-Krimis – Der Schock heiligt die erzählerischen Mittel
Endlich wieder Abwechslung auf dem ZDF-Sendeplatz am Sonntag um 22 Uhr, der dauerhaft von „Inspector Barnaby“ besetzt schien, jener formelhaften britischen „Heiter bis tödlich“-Variante, die als Wiederholung obendrein Sendeplätze bei ZDFneo verstopft. Wenn Barnaby und Kollegen pausieren, kommen die Skandinavier zu ihrem Recht. Serien wie „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ oder „Die Brücke – Transit in den Tod“, Koproduktionen skandinavischer Sender mit dem ZDF, haben große Aufmerksamkeit gefunden, beide vorgenannten Produktionen wurden in den USA adaptiert. Beide stehen aber auch für ein gewisses Laissez-faire, was die Handlungslogik betrifft. In der ersten Staffel von „Kommissarin Lund“ starb das Opfer streng genommen mehrere Tode, das Finale der dritten Staffel geriet vollends unsinnig. Und in „Die Brücke“ müsste sich der Täter eigentlich an mehreren Orten gleichzeitig aufgehalten haben. Um solche Schwächen und sonstiges erzählerisches Ungeschick zu kaschieren, setzen speziell skandinavische Autoren – auch Bestsellerautor Henning Mankell bedient sich dieser Masche – bevorzugt auf den Schockeffekt, indem sie besonders bestialische Verbrechen aushecken und breit ausmalen.
Foto: ZDF / Frederic Batier
Europol – wo das Verbrechen die Grenzen überschreitet
Verglichen mit derartigen Gewaltexzessen erscheint die jüngste Koproduktion „The Team“ nachgerade maßvoll. In Berlin, Antwerpen und Kopenhagen werden Prostituierte ermordet; die Merkmale deuten auf denselben Täter: ein Schuss durchs Auge, anschließend wurde jedem Opfer ein Finger abgetrennt. Wo die Verbrecher Grenzen überschreiten, müssen Justiz und Exekutive nachziehen. Europol stellt eine Sonderkommission zusammen mit Ermittlern aus den beteiligten Ländern. Deutschland wird durch die Berlinerin Jackie Mueller (Jasmin Gerat) & die ihre Assistentin Natascha Stark (Miriam Stein) vertreten, in Kopenhagen werden Harald Bjørn (Lars Mikkelsen) & die Innendienstlerin Kit Ekdal (Ida Engvoll) berufen, Belgien schickt Alicia Verbeeck (Veerle Baetens). Anfangs tauschen sich die Kriminalisten via Video-Konferenz aus, die Entwicklung des Falles macht aber bald Reisen durch ganz Europa nötig.
Den Machenschaften eines litauischen Milliardärs auf der Spur
Wie sich zeigt, steht die Mordserie in Zusammenhang mit zurückliegenden Verbrechen und zugleich mit den aktuellen Machenschaften des in Berlin lebenden litauischen Milliardärs Marius Loukauskis (Nicholas Ofczarek). Der verdankt sein Vermögen groß angelegter Zuhälterei und dem Frauenhandel, sucht nun aber, unter anderem durch eine strategische Verheiratung seiner Tochter Bianca (Jella Haase), den Weg in die bürgerliche Gesellschaft. Eine weitere zentrale Figur der Geschichte ist der Belgier Jean-Louis Poquelin. Er hatte vor Jahren wegen Mordes vor Gericht gestanden, war aber frei gesprochen worden. Poquelin hatte die kurz darauf ermordeten Prostituierten aufgesucht und steht unter dringendem Tatverdacht. Die Ermittlergruppe findet ihn und seine Lebensgefährtin in Österreich.
Foto: ZDF / Frederic Batier
Zahlreiche Erzählstränge, schnelle Schauplatzwechsel, kleine Unstimmigkeiten
Der ursprüngliche Kriminalfall fächert sich im Verlauf der Fortsetzungsgeschichte immer weiter auf. Die Recherchen führen zur Neubewertung älterer Verfahren, legen bislang unbekannte Zusammenhänge offen. Das Autorenteam Mai Brostrøm und Peter Thorsboe (Drehbuch und Idee) treibt die Ermittlungen Schritt um Schritt voran, blendet zwischendurch immer wieder auf andere Beteiligte, auf Opfer und Täter, bezieht auch das Privatleben der Kriminalisten mit ein. Jackie Mueller und Harald Bjørn haben eine gemeinsame Vergangenheit, was ihre jeweiligen aktuellen Partnerschaften belastet. Alicia Verbeeck wird von der Sorge um ihre alkoholkranke Mutter beansprucht und hegt zudem den Verdacht, dass ihre Vorgesetzte Stéphane Pernel (Hilde Van Mieghem) bestochen wurde und Beweise manipuliert hat. Eine solche Erzählstruktur, die Aufgliederung der Handlung, die oft sehr schnellen Schauplatz-Wechsel, erlaubt es, immer wieder aufs Neue über das zentrale Rätsel hinaus Spannungs-Momente herzustellen. Für Mai Brostrøm und Peter Thorsboe, die zuvor an „Unit One – Die Spezialisten“ oder „Der Adler – Die Spur des Verbrechens“ und damit an formal wie inhaltlich verwandten Serien mitgewirkt haben, ist diese Machart Routine. Und doch gibt es erneut allerlei Unstimmigkeiten wie jene, in der zwei Gangster Jean-Louis Poquelins alpinen Wohnsitz überfallen und sich spektakulär, aber sinnlos an einer Steilwand abseilen – sie landen auf der Straße unterhalb des Hauses, die sie ohne jeden Nachteil auch direkt hätten nehmen können. Es wären nur kleine Eingriffe nötig gewesen, um diesen Part plausibel erscheinen zu lassen.
Foto: ZDF / Frederic Batier
Regisseurin Kathrine Windfeld über die Farbe von „The Team“:
„In skandinavischen Fernsehserien haben wir nie nur einen Handlungsstrang, sondern immer mindestens zwei oder mehr und das macht sie auch so sehenswert. Eine weitere Besonderheit ist das blaue Licht in den Ländern Nordeuropas. Natürlich haben wir die Farbe blau nicht erfunden, aber wir nutzen sie, um diesen ganz speziellen Look zu kreieren. Jeden Tag um 16:00 Uhr sieht alles so aus, als sei es in eine blaue Decke gehüllt – das ist sehr fotogen.“
Die Produktionsförderung schlägt sich in den Bildern nieder
In einer anderen Sequenz besucht Alicia Verbeeck ihre Mutter. Sie kommt mit dem Fahrrad, steigt aber nach dem Verlassen des Wohnhauses in ein Auto – das bei ihrer Ankunft noch gar nicht am Platze stand. Mysteriös – wer hat es dort geparkt? Warum? Woher hat Verbeeck die Schlüssel? Und was wird aus ihrem sonst wohlgehüteten, nun aber achtlos zurückgelassenen Rad?… Das Regiekonzept der Serie, die jeweils von deutschen, belgischen, dänischen und österreichischen Crews realisiert wurde, stammt von Kathrine Windfeld und bleibt im Rahmen der Konvention. Auffällig ist, dass die Aufnahmen der österreichischen Schauplätze allesamt auch für die Fremdenverkehrswerbung eingesetzt werden könnten. Da hat sich die Produktionsförderung des Landes Salzburg sicherlich gelohnt. (Text-Stand: 10.2.2015)