Hoch oben am blauen Himmel zieht ein Flugzeug seine Bahn. Auf der Tonspur hört man Unruhe, Schreie, das Geräusch einer Explosion. Den Abschuss sieht man nicht, den Treffer auch nicht, das Flugzeug hatte sich aus dem Bildausschnitt entfernt. Aber man hört Nachrichtenschnipsel, hektisch hinter- und übereinander geschnitten. Der blaue Himmel ist auf eine beunruhigende Weise leer. Regisseur Lars Kraume deutet mit diesem kurzen Vorspiel die furchtbare Tat an, die die Grundlage des Gerichts-Dramas „Terror“ bildet: Der Abschuss einer zivilen Verkehrsmaschine, weil Terroristen mit ihr Kurs nehmen auf das mit 70.000 Menschen vollbesetzte Münchener Fußballstadion. Angeklagt ist der Bundeswehrpilot Lars Koch (Florian David Fitz), der gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten eine Rakete auf das mit 164 Menschen besetzte Flugzeug abfeuerte.
Foto: Degeto / Moovie / Terjung
Wie in der Theaterinszenierung des erfolgreichen Stücks von Ferdinand von Schirach bleibt Kraume, abgesehen von der kurzen Anfangssequenz, ausschließlich im Gerichtssaal. Keine Bilder von der Entführung der Maschine, vom Kampf an Bord, vom angeblichen Versuch der Passagiere, das Cockpit zu stürmen, von Raketeneinschlag und Absturz. Keine Bilder auch von der großen Halle, in dem die gefundenen Habseligkeiten der getöteten Passagiere und Crewmitglieder ausgebreitet sind und von der die Nebenklägerin (Jördis Triebel) im Prozess erzählt. Frau Meiser hatte durch den Abschuss ihren Mann verloren und nur noch den linken Schuh von ihm zurück erhalten. Der Film hätte seinem Publikum das Schreckensszenario jedenfalls mit einiger Wucht vor Augen führen können.
Stattdessen hält sich auch die Verfilmung an die dramatische Theater-Vorlage, an die formal strenge Anordnung eines juristischen Prozesses unter der Leitung des Vorsitzenden Richters (Burghart Klaußner). Die Beweisaufnahme beschränkt sich auf die Befragung des Offiziers Lauterbach (Rainer Bock) als einzigem Zeugen, des Angeklagten und der Nebenklägerin. Zum Abschluss halten Staatsanwältin (Martina Gedeck) und Verteidiger (Lars Eidinger) ihre Plädoyers. Mehr braucht es auch nicht, denn von Schirach hat ein von der ersten Sekunde an ungemein fesselndes Gerichtsdrama geschrieben, das das Publikum mit einer existenziellen Frage konfrontiert: Darf man Leben gegen Leben aufwiegen? Der Fall an sich scheint auf den ersten Blick klar, zumal der Pilot seine Tat nicht leugnet. Dennoch kommen in der Beweis-Aufnahme wichtige Details zum Vorschein, die ein unerwartetes Licht auf den Abschuss des Flugzeuges werfen. So blieb womöglich Zeit genug, das Stadion zu evakuieren. Darauf hatte allerdings der Pilot keinen Einfluss. Er war überzeugt davon, dass er durch den Abschuss zwar Menschen opferte, aber damit gleichzeitig eine viel größere Anzahl retten konnte.
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Dem Autor, der auch am Drehbuch der Verfilmung mitwirkte, ist ein ungeheuer dichtes und vielschichtiges Drama gelungen, das an ein aktuelles gesellschaftspolitisches Thema anknüpft sowie die damit verbundenen juristischen und ethischen Fragen fachkundig zuspitzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Abschuss ziviler Maschinen, der unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 durch das neue Luftsicherheitsgesetz erlaubt werden sollte, für verfassungswidrig erklärt. Leben gegen Leben aufzuwiegen, sei mit dem Artikel 1 GG („Die Menschenwürde ist unantastbar“) nicht vereinbar. Anschließend hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung erklärt, er halte das Urteil für falsch und würde ein ziviles Flugzeug, das von Terroristen zur Waffe umfunktioniert worden sei, dennoch abschießen lassen – aufgrund eines „außergerichtlichen Notstandes“. Und, wie sich im Prozess herausstellt, war Pilot Koch ein Überzeugungstäter, der das Karlsruher Urteil ebenfalls für eine Kapitulation vor den Terroristen hält.
In Kraumes Inszenierung ist der Schauplatz ein nüchterner und erkennbar fiktiver Ort: sowohl Gerichtssaal als auch Theater. Ein großer, hoher und heller Raum mit nackten, dunkelgrauen Wänden und voll besetzten Zuschauerrängen. Das Publikum ist wie im Theater auf ansteigenden Rängen angeordnet. Hinter dem Richtertisch ist wie in einem Schaufenster der Deutsche Bundestag in Berlin zu sehen, was wohl die staats- und verfassungspolitische Bedeutung des Stücks unterstreichen soll. Oder den von den Beteiligten beschworenen Charakter eines „Fernsehevents“ (ARD-Programmdirektor Herres) und eines „TV-Highlights des Jahres“ (Degeto-Chefin Christine Strobl). Ohne das Symbolbild vom alten Reichstag wäre es auch gegangen, aber der Blick hinaus ist eine zusätzliche Verknüpfung mit der Realität.
Der Fernsehproduktion liegt ein „etwas gekürzter Drehbuchtext“ (Kraume) zugrunde. Die Möglichkeiten einer filmischen Umsetzung werden genutzt, ohne Intention und Aussage des Dramas zu verändern. Dennoch ändert sich Einiges: Die Kamera verringert die Distanz zu den Protagonisten durch die Nah-Aufnahmen der Gesichter. Der Schnitt, die verschiedenen Perspektiven und die meist langsamen Kamerafahrten sorgen für eine viel dynamischere Wahrnehmung, als es im Theater möglich wäre – auch wenn über der Bühne eine große Leinwand hängt, auf der das Mienenspiel der Schauspieler bei den Befragungen zu beobachten ist. Einerseits rückt man als Zuschauer also mitten ins Geschehen, andererseits ist die Distanz im Fernsehen größer, weil die meisten den Film wohl im kleinen Kreis oder allein in den eigenen vier Wänden „konsumieren“. Das Theater ist ein etwas „feierlicherer Ort“, außerdem sind die Reaktionen des Publikums im Theater-Saal unkalkulierbar und spontan, im Fernsehen dagegen ist das Publikum auf den Rängen Teil der Inszenierung. Aber Kraume bemüht sich auch hier um Neutralität, kopfschüttelnde Zuhörer sind sowohl beim Plädoyer des Verteidigers als auch der Staatsanwältin zu sehen.
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Interessant ist die Idee, dass in der TV-Version im Publikum die Ehefrau und die Eltern des Angeklagten sitzen. Die Ehefrau im roten Kleid und mit ihrem roten Lippenstift sticht heraus, leuchtet geradezu in dem sonst nicht gerade farbgesättigten Szenenbild. Sie sitzt nur da, zeigt kaum eine Regung, aber allein ihre Anwesenheit verweist auf das außergewöhnliche Dilemma. Die Staatsanwältin richtet denn auch die nahe liegende Frage am Ende eines intensiven Wort-Duells an den Angeklagten: „Hätten Sie geschossen, wenn Ihre Frau im Flugzeug gewesen wäre?“ Nach längerer Bedenkzeit dreht sich Kampfpilot Koch schließlich zu seiner Frau um und gibt eine Antwort, die man ehrlich oder ausweichend empfinden kann. Auch in solch dramatischen Augenblicken agieren die Darsteller mit reduzierten Mitteln. Niemand verliert hier vor Gericht die Kontrolle. Es scheint so, als fürchtete Kraume geradezu, dass zu starke emotionale Ausschläge das Publikum vom Kern, vom gesprochenen Wort, ablenken und bei der Urteilsfindung in die eine oder andere Richtung beeinflussen könnten.
Der „Spiegel“ zitierte von Schirach nach einer Pressekonferenz in Berlin mit der Aussage: Es gebe ein Problem mit dem Angeklagten, er sehe zu gut aus. Florian David Fitz („Vincent will Meer“), der den Piloten nachdenklich, unbeirrt, ohne erkennbare Reue, aber nicht als eiskalten Killer spielt, hat man allerdings Lars Eidinger an die Seite gestellt. Den Theater-Star kennen viele Fernsehzuschauer wohl eher als Bösewicht, etwa aus zwei Kieler „Tatort“-Filmen. Eidinger bringt als leicht aufmüpfiger Verteidiger etwas Sportsgeist in die Runde. Jördis Triebel hat einen beeindruckenden Auftritt als Nebenklägerin, die allein mit ihren Blicken eine Ahnung vom Schmerz der Opfer-Angehörigen gibt. Martina Gedeck dagegen bewältigt als clevere Staatsanwältin und Hüterin der Verfassung die größte Dialoglast. Und dazu noch Burghart Klaußner, der von Schirachs Drama in Dresden selbst inszeniert hat, als akribischer, sachlicher Richter. Was für eine Besetzung.
Foto: Degeto / Moovie / Terjung
Weil die Zuschauer als „Schöffen“ mit einbezogen werden, entfaltet dieses Gerichtsdrama eine ganz besondere Wirkung. Sie fordert jedem Einzelnen eine eigene Haltung ab – was angesichts des moralischen Konflikts, der unerwarteten Komplexität des Falles und der eindringlichen Plädoyers am Ende von Minute zu Minute schwieriger wird. Im Theater ist beinahe mit den Händen zu greifen, wie das Thema das Publikum beschäftigt, umtreibt, Diskussionen auslöst. Ob dies im Fernsehen genauso funktioniert, ist keineswegs gesagt. Dass das Fernsehpublikum live abstimmen kann, ist auch alles andere als einzigartig – das gilt aber im Wesentlichen nur für Unterhaltungs-Shows, nicht für die fiktionale Aufbereitung eines brisanten Themas. Von Schirachs „Terror“ im Fernsehen ist mehr als eine Theater-Adaption, es ist, als wollten die ARD und ihre Partner beweisen, dass sie bei den großen Fragen noch die Gesellschaft am Lagerfeuer zusammentrommeln können. „Wir wollen aus dem Stück nicht nur einen Film machen, sondern ein mediales Ereignis“, sagt Produzent Oliver Berben.
Nach dem Ende des Fernsehfilms können die Zuschauer online oder telefonisch abstimmen, ob der Pilot schuldig gesprochen werden soll oder nicht. Frank Plasberg übernimmt mit „Hart aber fair“. Nach etwa zehn Minuten steht das Urteil fest; eine der beiden vorbereiteten Versionen der Urteilsverkündung wird dann ausgestrahlt, die andere kann jedoch online abgerufen werden. Anschließend soll bei „Hart aber fair“ diskutiert werden. „Terror“ wird außerdem zeitgleich im österreichischen und im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. Eingebunden ist auch der ARD-Hörfunk. Und bereits am 14. Oktober wird der Film in über 100 Kinosälen gezeigt, ebenfalls verbunden mit der Möglichkeit abzustimmen. Da schwingt offenbar der Ehrgeiz mit, eine Art Volksabstimmung zu organisieren. Die Alt-Liberalen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, die auch die Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Luftsicherheitsgesetz gewesen waren, forderten die ARD in einem Zeitungsinterview auf, das „Terror“-Projekt abzublasen und insbesondere keine Abstimmung über eine solch elementare, die Grundlagen der Verfassung betreffende Frage durchzuführen. Vielleicht spielte dabei eine Rolle, dass bisher die Mehrheit, knapp 60 Prozent, der Theaterzuschauer den Piloten frei gesprochen haben. Interessant ist, dass sich ihr Protest gegen das Stück erst an der Fernseh-Inszenierung entzündete.
„Natürlich ist es ein mutiges Experiment der ARD, aber es ist richtig und notwendig. Und wir sollten nicht immer, wie Politiker es so oft tun, die Menschen unterschätzen“, sagt Ferdinand von Schirach. Auch das fiktionale Fernsehen neigt häufig genug zur Unterschätzung. So ist „Terror“ tatsächlich ein außergewöhnliches TV-Ereignis – ganz unabhängig von der Frage, wie viele Zuschauer sich an der Abstimmung beteiligen und wie das Urteil ausfällt.