Ein angespannter Moritz Eisner rast durch die Nacht – und setzt einen Notruf ab. Wenig später fällt ein Schuss. Der Wiener Chefinspektor liegt im eigenen Blut und wenig später im Klinikum Klagenfurt. Ein Fragment der Kugel befindet sich noch in Eisners Kopf. Zwei Wochen später geht es ihm den Umständen entsprechend gut; und so macht er sich auf eigene Faust in die kleine Gemeinde in Kärnten auf, in der er angeschossen in einem Steinbruch gefunden wurde. Das Dumme: Eisner kann sich an so gut wie nichts erinnern. Auch nicht an den Dorf-Paten, den großen Zampano Franz Wiegele – dem gehört so gut wie alles hier, auch der Steinbruch. Solche Provinz-Barone hat der Wiener gefressen! Sogar die Dorfpolizisten stehen ganz unter seinem Einfluss. Umso mehr Gas gibt der gallige Eisner – und so muss er von der aus Wien herbeigeeilten Kollegin Bibi Fellner immer wieder gebremst werden. Es wird nicht besser mit ihm, als er im Zuge der Recherchen beginnt, sich zu erinnern. Eisner befand sich in jener Nacht auf dem Weg zu einer Frau, einer Frau, die er mochte und die in großer Gefahr schwebte. Ihre Recherchen über SS-Verbrechen kurz vor Kriegsende wirbelten viel brauen Staub im Dorf auf. Sie hatte nicht so viel Glück wie Eisner.
Der „Tatort – Unvergessen“ kommt schnell zur Sache. Nach Matthias Brandts „Fieber“ und Ulrich Tukurs Murot-Tumor im Kopf kommt nun Moritz Eisner mit retrograder Amnesie, mit der sich von Odenthal („Flashback“) über Lindholm („Vergessene Erinnerung“) bis hin zu Batic („Wir sind die Guten“) so gut wie jeder namhafte TV-Kommissar schon herumschlagen musste. Das Krankheitsbild korrespondiert mit der zuletzt zunehmenden „Angeschlagenheit“ des Wiener Polizisten, bei dem sich schwerlich von den „besten Mannesjahren“ sprechen lässt. Die Story mit dem SS-Exkurs zu Verbrechen an der Menschlichkeit, ein Thema, das leider immer aktuell bleibt, wird geschickt, weil sehr anschaulich, am Rande der Ermittlungen über Film-im-Film-Dokumente nebenbei mit erzählt. Auch die Animositäten zwischen dem aufgeklärten Wien und den vermeintlichen Kärntner Hinterwäldlern kommen höchst unterhaltsam ins Spiel. Die Handlung ist von daher sehr abwechslungs- und wendungsreich, wirkt aber nie überladen oder überkonstruiert, sondern findet immer wieder zu ihrem Kern zurück. Krimitechnisch sind die 90 Minuten gut strukturiert; der Umgang mit Zeit und Timing sind dramaturgisch überzeugend (mal geht alles rasend schnell, mal lässt man sich Zeit). Am Ende erkennt man zwar das dramaturgische Konzept des Ganzen, erkennt, dass man mit Eisners Zutun ein wenig manipuliert wurde, aber man ist keineswegs verstimmt.
Buch und Regie lagen bei Sascha Bigler, dem Sohn von Christiane Hörbiger, im klassischen Krimi eher unerfahren, in guter Hand. In der ersten Hälfte arbeiten er und Kameramann Gero Lasnig an einem markanten Kamera-, Licht- und Atmosphäre-Konzept, das eher amerikanisch urban wirkt. Charakterköpfe schälen sich aus dem Dunkel, Autofahrten vermitteln Ausnahmezustände, psychedelische Effekte und Splitscreen-Technik erzeugen dichte Stimmungen – die Sinne werden geschärft und versetzen den Zuschauer in Alarmbereitschaft. Mit der Zeit gewinnt Eisner seine Erinnerung zurück – und das Dorf in Kärnten erscheint wie ein Dorf in Kärnten. Die Rückblenden und die dichte Inszenierung sorgen aber auch in der zweiten Hälfte dafür, dass „Unvergessen“, dieser Film über die Formen des Vergessens, ein ästhetisch reizvoller Krimi bleibt, der mit einem visuell & emotional starken Showdown endet.