“Die Wirklichkeit ist nicht immer die Wahrheit.” Im fünften “Tatort” von Robert Atzorn darf sein Kommissar Casstorff mal wieder sein Faible fürs Buddhistische, gepaart mit einem neuzeitlich-pragmatischen Gerechtigkeitssinn und einer tief sitzenden Vaterliebe, an den Tag legen. Wäre sein Sohn nicht zufällig bei einer Demonstration dabei gewesen und danach wegen “Widerstand gegen die Staatsgewalt” vorläufig festgenommen worden – den Fall des toten Polizisten hätte man zu den Akten gelegt und die Wahrheit wäre nie geklärt worden.
Während einer genehmigten Demo von Globalisierungsgegnern wird ein junger Polizist übel zusammengeschlagen und erliegt ein paar Tage später seinen Verletzungen. Ein Polizei-Video beweist, wie brutal drei vermummte Männer gegen den Beamten vorgegangen sind. Einer wird identifiziert als Haudrauf und Dauergast auf deutschen Demos und festgenommen als tatver-dächtiger Totschläger. Doch Casstorff misstraut dem Augenschein des Videos – und beginnt, einigen Herren und der Freundin des Toten unangenehme Fragen zu stellen. Warum stand der Polizist allein vor der Apotheke, wo er getötet wurde? Warum wurde die Route der Demo von der Stadt kurzfristig geändert? Seltsam findet Casstorff auch, dass Staatsrat Pfeiffer, Apotheker Wichelhaus und Angela, die trauernde Freundin, befreundet sind.
“Todesbande” ist ein “Tatort”, dem man gerne auf die Spur kommt. Er ist spannend, weil den Kommissar eine persönliche Motivation antreibt und er sich deshalb stärker als gewohnt in den Fall verbeißt. Es geht unterschwellig auch ein wenig um die Rehabilitierung der anfangs im Film von der Polizei als Chaoten beschimpften Globalisierungsgegner. Die gewisse Sympathie, die Autor und Regisseur Thomas Bohn den idealistischen Jugendlichen um Casstorffs Sohn angedeiht, erhöht sicher das Interesse an der Auflösung des Falls, ohne dass hier die Dramaturgie die Herren vom Establishment, den Politiker (Bernhard Bettermann), den Apotheker (Hans Jochen Wagner) und einen Bauunternehmer (Benny Schnier), in den Stand der fiesen Prügelknaben erheben würde. Keine Schwarzweiß-Malerei bei den Charakteren, klare Inszenierung, hoher Neugier-Faktor, dazu eine erstklassige Besetzung bis zur kleinsten Gast-Rolle. Fazit: dieser Hamburg-„Tatort“ ist ein grundsolider Krimi. (Text-Stand: 25.1.2004)