Tatort – Schutzmaßnahmen

Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt, Salisbury, Nina Vukovic. Jenseits der Veedels-Romantik

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Thomas Gehringer

Mit einem Stadtteil-Krimi aus Köln ohne kölsche Veedel-Folklore startet der „Tatort“ ins Jahr 2023. Dafür wird es für Kommissar und Familienvater Freddy Schenk in der Episode „Schutzmaßnahmen“ (WDR / Bavaria Fiction) persönlich. Im Restaurant seiner Tochter und seines Schwiegersohns wird ein Feuer gelegt, der Brandstifter wird niedergeschlagen und kommt in den Flammen um. Der Tote ist der Sohn eines Feinkost-Unternehmers (schön böse: Manfred Zapatka), der skrupellos über ein multikulturelles Stadtviertel herrscht. Nina Vukovic (Regie) und Julia Jalnasow (Bildgestaltung) setzen Köln, passend zu der rauen und dramatischen Geschichte (Drehbuch: Paul Salisbury), ungeschönt und in einem trüben Licht ins Bild: eng und voller Baustellen, auch die Veedels-Kneipe ist ein trauriger Ort. Klasse, wie kraftvoll & präsent Dietmar Bär jenseits der Ermittler-Routine durch den Film rauscht.

Voller Sorge eilt Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) zum Tatort: Im durch ein Feuer zerstörten Restaurant „Wunderlampe“, das von seiner Tochter Sonja (wie bereits 1999 in zwei „Tatort“-Episoden: Natalie Spinell) und ihrem Lebensgefährten Karim Farooq (Timur Isik) betrieben wird, wurde eine verkohlte Leiche entdeckt. Das Publikum weiß bereits, dass es sich um den Brandstifter handelt. Der maskierte Mann war mit einer Demo rechtsextremer Hooligans durchs Viertel gezogen und hatte die Gelegenheit genutzt, um das Feuer zu legen. Doch bevor er das Restaurant verlassen konnte, wurde er hinterrücks von einem Schlag getroffen. Identität und Motiv des Brandstifters sind vorerst unbekannt. Schenk bringt Sonja, Karim und Enkelin Frida (Maira Helene Kellers) vorübergehend in einer Wohnung unter, die die Polizei für bedrohte Zeuginnen und Zeugen bereithält. Allerdings ist die Stimmung bei den Schenks angespannt. Freddy hat offenbar ein grundsätzliches Problem mit Schwiegersöhnen.

Tatort – SchutzmaßnahmenFoto: WDR / Martin Valentin Menke
„Wunder gibt es immer wieder“. Es geht auch ohne Veedels-Romantik und Kleine-Kneipe-Glückseligkeit. Viktor Raschke (Manfred Zapatka) und sein Sohn Marco (Paul Wollin) terrorisieren Karim Farooq (Timur Isik), den neuen Freund von Schenks Tochter. Schutzgelderpressung liegt in der Luft im „Tatort – Schutzmaßnahmen“.

Dietmar Bär ist in dieser von Nina Vukovic („Am Ende der Worte“) inszenierten Folge besonders gefordert – und beweist dabei, dass ihn die übliche Kommissar-Routine eher unterfordert. Der gemütlich-gelassene Freddy Schenk hat Pause, in der Episode „Schutzmaßnahmen“ treibt ihn die Angst um seine Familie an. Und ein schlechtes Gewissen, das er mit einer bisweilen patzigen Art zu überspielen versucht. Denn der Kommissar hat sich nicht sonderlich um Tochter Sonja gekümmert, die seit zwei Jahren mit Karim zusammen ist. Er weiß nichts von deren finanziellen Sorgen, und auch zu seiner pubertierenden Enkelin Frida, Sonjas Tochter aus einer früheren Beziehung, bemüht er sich offenbar erst jetzt, ein engeres Verhältnis aufzubauen. Dass Schenks Ehefrau den Barcelona-Urlaub trotz der familiären Notlage nicht abbricht, erscheint natürlich unglaubwürdig, aber diese Figur bleibt im Kölner „Tatort“ traditionell unsichtbar. Umso mehr Verantwortung trägt Freddy, der zunehmend in Konflikt mit seiner beruflichen Rolle gerät. Als er Ballauf (Klaus J. Behrendt) wichtige Details verschweigt, die seine Familie belasten, gerät Schenk ins Abseits. Diesen Konflikt spielen Bär und Behrendt auf eine angenehm unaufgeregte Weise, die ohne viele Worte zum Ausdruck bringt, dass ihre Freundschaft weiter besteht.

Das wird auch das Verdienst von Nina Vukovic sein, die bereits die Drehbücher von zwei „Tatort“-Episoden des Schweizer Fernsehens („Schattenkinder“, „Risiken mit Nebenwirkungen“) geschrieben hat und nun ihr Regie-Debüt bei der Krimireihe gibt. Dabei gelingt es ihr, Köln auf eine überzeugende und ungewöhnliche Weise in Szene zu setzen, enger, grauer, ungeschönter als sonst. Realitätsnah und dokumentarisch in den Alltagsbildern mit den vielen Baustellen und dem Straßentreiben rund um die multikulturelle Weidengasse. Zugleich auch von Kamerafrau Julia Jalnasow visuell ausdrucksstark gestaltet, etwa in der von trübem Licht durchfluteten Kneipe von Ulla Waldstätt (Almut Zilcher). Sogar das Kommissariat wirkt wie verwandelt.

Soundtrack: Adamo („Es geht eine Träne auf Reisen“), Katja Ebstein („Wunder gibt es immer wieder“, „Abschied ist ein bisschen wie sterben“), Alexandra („Zwei Gitarren“), P.P. Arnold („The First Cut is the Deepest“)

Tatort – SchutzmaßnahmenFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Der Straßenkreuzer im Kölner „Tatort“ macht diesmal Sinn. Vor allem die Fahrten bei Nacht und andere Bilder in der Dunkelheit haben mehr von den New-York-Filmen des New Hollywood (von Scorsese bis Ferrara) als von den früheren Currywurst-Krimis. Auch sonst haben Regisseurin Nina Vukovic und Kamerafrau Julia Jalnasow gute Arbeit geleistet – mit ungewöhnlichen Perspektiven, Silhouetten im Gegenlicht und einem realistischen Licht. Dadurch kriegen auch die Kommissare mehr Konturen.

Das Drehbuch von Paul Salisbury beschränkt sich auf ein Stadtviertel, was schon deshalb eine kluge Idee ist, weil die rheinische Metropole gerne in Veedels-Romantik schwelgt. Köln ist eine Großstadt, die sich auf ihren nachbarschaftlichen Zusammenhalt einiges einbildet. Allerdings läuft nicht alles prima, nur weil sich die Menschen zum fast 50 Jahre alten Bläck-Fööss-Klassiker „En unserem Veedel“ gerne in den Armen liegen. Kölsches Liedgut wird nicht angestimmt, und Ullas Kneipe ist ein trister Ort, der zu der gedrückten Stimmung im Viertel passt. Hier haben nicht etwa libanesische Clans oder die Mafia das Sagen. Der Pate ist ein deutscher Feinkosthändler, was man vielleicht auch als Ironie verstehen darf. Jedenfalls werden damit keine Ressentiments bedient. Zudem ist die Besetzung mit Manfred Zapatka exquisit. Zapatka spielt Viktor Raschke, der sich als großzügig helfender Nachbar ausgibt, in Wahrheit aber die Restaurants mit Krediten und Erpressung unter den Nagel reißt.

Die Polizei findet schnell heraus, dass Raschkes Sohn Niko (Andreas Grusinski) der getötete Brandstifter war. Niko, der einst selbst der Hooligan-Szene angehörte, arbeitete nach einer Gefängnisstrafe in der „Wunderlampe“. Er hatte einen türkischstämmigen Mann, Betreiber eines Schnellrestaurants, brutal zusammengeschlagen. Das Opfer nahm sich Monate später das Leben, aber die Witwe, Aylin Göktan (Günfer Çölgeçen), ist der bemerkenswerten Ansicht: „Wir sind hier keine Fremden, also gab’s hier keinen Fremdenhass.“ Alyins Sohn Timur (Mido Kotaini) hätte dennoch ein Rache-Motiv. Ins Visier der Polizei gerät auch Karim, Schenks Schwiegersohn, dessen Alibi auf wackligen Füßen steht. Karim hatte bei Raschke einen Kredit für die neue Restaurant-Küche aufgenommen und kann die Schulden nicht zurückzahlen, weigert sich aber, Raschke das Restaurant zu überlassen. Nikos stets auf Krawall gebürsteter Bruder (Paul Wollin) erledigt nun die Drecksarbeit für seinen Vater. Es wird ungemütlich in Köln. Autor Salisbury hat eine verzwickte, thematisch vielleicht etwas überladene, aber spannende Krimi-Geschichte über ein von Angst und Gewalt geprägtes Veedel konstruiert.

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Reihe

WDR

Mit Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt, Natalie Spinell, Timur Isik, Maira Helene Kellers, Manfred Zapatka, Almut Zilcher, Günfer Çölgeçen, Mido Kotaini, Paul Wollin, Roland Riebeling, Tinka Fürst, Joe Bausch, Linda Schablowski, Andreas Grusinski

Kamera: Julia Jalnasow

Szenenbild: Ina Timmerberg

Kostüm: Holger Büscher

Schnitt: Claudia Klook

Musik: Leonard Petersen

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Paul Salisbury

Regie: Nina Vukovic

Quote: 8,97 Mio. Zuschauer (26,8% MA)

EA: 01.01.2023 20:15 Uhr | ARD

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