Ein riesiger Blutfleck am Tatort, doch von dem Toten oder Verletzten fehlt jede Spur. Bei dem Vermissten handelt es sich um einen erfolgreichen Inkasso-Manager. Der hatte sich gerade noch mit seinem Mann (Vladimir Korneev) an einer stolzen Bonuszahlung erfreut, als dieser wenig später per Handy live miterleben muss, wie jener Fabian Pavlou (Thomas Hauser) angegriffen und schwerverletzt auf die Rückbank seines eigenen Wagens gezerrt wird. Bei einem solchen Beruf geraten alsbald die Schuldner ins Visier von Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär). Da ist die Steuerfachangestellte Stefanie Schreiter (Katharina Marie Schubert), die die Insolvenz ihres Ex-Mannes ausbaden muss und der die Pfändung ihres Gehalts bevorsteht. Da ist der Physiotherapeut Timo Eckhoff (Ben Münchow), der sich abrackert, aber nicht aus der Schuldenfalle kommt. Und da sind Monika und Jost Lehnen (Tilla Kratochwil & Roman Knizka), denen die Zwangsversteigerung ihres Hauses droht; er verleugnet die aussichtslose Lage, sie macht sich auf zur Kölner Tafel. Emotional kein leichter Fall für Ballauf, Schenk und Jütte (Roland Riebeling), der sich durch die Berge von Schuldnerfällen der international tätigen Correct Inkasso graben muss. Die Geschäftsmethoden dieser Firma mögen unmoralisch, möglicherweise sogar rechtswidrig sein – doch Mord oder Totschlag bleiben Mord oder Totschlag.
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Der „Tatort – Restschuld“ knüpft nach längerer Zeit mal wieder an die Kölner Tradition des sozialkritischen Krimis an. Doch Ballauf und Schenk treten – trotz nach wie vor 1A-Haltungsnoten – insgesamt weniger moralisierend auf als in früheren dieser Themenkrimis. Dafür legt Autorin Karlotta Ehrenberg („Tatort – Marlon“ / „Besuch bei Emma“) den Ermittlern viele ihrer recherchierten Fakten zum Thema Inkasso-Büro-Praktiken oder Schuldenspirale in den Mund. Während Jütte scheinbar naiv eine Inkasso-Mitarbeiterin befragt, die ihm gegenüber die Firmenpolitik verteidigt, wird Ballauf beispielsweise zum Lohnpfändungsspezialisten, und Schenk verrät dem Kollegen, dass auch er mal einen ungünstigen Kredit aufnehmen musste. Die Last solcher Dialoge relativiert sich allerdings durch die Vielzahl der Schicksale, in denen sich die ganze Bandbreite des Themas spiegelt. In der Regel sind Krimi-Dramen, die sich auf eine Geschichte, eine Person, eine Familie, eine Beziehung konzentrieren, die interessanteren. Doch bei diesem Thema war es nicht nur aus Whodunit-Gründen richtig, von mehreren Betroffenen zu erzählen, da Verschuldung, „Buy-now-pay-later-Prinzip und Psychostress durch Geldeintreiber keine Einzelphänomene sind. Und was bei allen drei Fällen deutlich wird: „Die Mittelschicht ist die neue Klientel der Schuldnerberatungsstellen“, so Karlotta Ehrenberg. Im Film sind alle Parteien der Dramatik zuliebe beratungsresistent.
Das didaktische Kalkül hinter Dramaturgie und Geschichte ist sicherlich etwas, was vor allem Fernsehkritikern ins Auge fällt. Der „Normalzuschauer“ wird eher mit den Charakteren aus eben dieser bürgerlichen Mittelschicht mitfühlen, denen, die aussichtslos überschuldet sind, die ihre Häuser nicht mehr halten können, denen das Wasser bis zum Hals steht, wie Schenk anmerkt. Und auch wenn der Whodunit krimidramaturgisch eher unspektakulär erzählt wird, will man über diese privaten Tragödien hinaus schon gern erfahren, was an jenem Abend genau passiert ist und welche dieser vier verdächtigen Personen ausgerastet ist. Diese Neugier entsteht auch aus dem Interesse an diesen vom Schicksal und eigenen Verschulden Gebeutelten – und dieses Interesse ist wiederum eng an die Darsteller gebunden. Katharina Marie Schubert, Roman Knizka, Ben Münchow und vor allem Tilla Kratochwil vermitteln jene Ohnmacht, Verzweiflung, Wut und stille Resignation, die man bei solchen monatelang, jahrelang gestressten Schuldnern vermuten kann. Die Nerven liegen blank, das Selbstwertgefühl ist im Keller, die Körpersprache ungesund – mal geduckt und unterwürfig, mal trotzig aktiv, mal ein Häuflein Elend. Und nicht nur die Geigen weinen. Es mag im Auge des Betrachters liegen, ob nicht etwas weniger musikalischer Mollton gereicht hätte. Die visuelle Inszenierung (Regie: Claudia Garde) genügt völlig, um die Lage zu zeichnen: Das geringe Licht in den Innenräumen der sich vom Leben der anderen zunehmend isolierenden Figuren oder das einst erträumte Eigenheim, das zum Gefängnis geworden ist, spiegeln stimmig die Befindlichkeiten der Protagonisten.
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
„Restschuld“ ist eher ein „Tatort“ für diejenigen Zuschauer, die es geruhsam und konventionell mögen und die sich an einer Old-School-Dramaturgie und Aufklärung zum Thema in Dialogform nicht stören. Nach 55 Minuten lässt das Ermittler-Quartett alle Verdächtigen noch einmal Revue passieren. Und noch immer rechnen einige mit einem Entführungsfall, mit Erpressung. Auch das gehört zum Bereich Krimi-Konvention. Und auch wenn die Handlung mitunter das Thema etwas plakativ vor sich herträgt (der Film endet mit einem Plakat im Hintergrund: „Leben willst du jetzt, zahlen kannst du später“), hat ein „Tatort“ wie dieser durchaus seine Berechtigung. Anders als in der ersten Hälfte der 2010er Jahre gibt es heute als 90-Minüter nur noch wenige dieser sogenannten „Themenkrimis“. Doch ähnlich wie der Whodunit in einer cleveren, abwechslungsreichen Form (sogar international) wieder ein kleines Revival erlebt, nachdem gefühlt jeder dritte „Tatort“ zum Thriller mutiert ist, so könnte auch themenorientiertes Crime-TV wieder zunehmend punkten in einem Programm, in dem der thematisch relevante Fernsehfilm eine Rarität geworden ist. Allerdings in Sachen Mikrodramaturgie und der Frage, wie integriert man Fakten zum Thema nicht im (altklugen) Dialog, lässt sich einiges besser machen als in „Restschuld“.
1 Antwort
Was für ein Elend! Aber unterhaltend ist das nicht.
3-3,5 Sterne