Fünf Richter sollen in Bremen über die umstrittene Weservertiefung befinden. Die Interessengruppen bringen sich in Position. Objekt von größter Aufmerksamkeit ist für die Lobbyisten Konrad Bauser, einer der höchsten Rechtssprecher der Republik. Sein Lebenswandel könnte ihn erpressbar machen. Ein junges Pärchen kommt mit einem Sexvideo den politischen Erpressern zuvor. Das Mädchen kann entkommen; der junge Mann wird eiskalt von einem Auftragskiller ermordet. Für Inga Lürsen und Stedefreund, der seinen Absprung aus dem Kommissariat vorbereitet, ein höchst problematischer Fall. Mit derselben Waffe sind in den letzten Jahren zahlreiche Morde begangen worden – offenbar immer derselbe Täter, ermittelt Leo Ulfanoff, der neue Kollege. Bauser hat den Mord in Auftrag gegeben. Aber bei wem? Auch das Mädchen soll sterben. Als schließlich das BKA in Person von Strippenzieherin Sigrid Strange, eine Mittelsperson von Bauser, den Fall übernimmt, hat es den Eindruck, als ob diese Bundesbehörde nun gegen sich selbst ermitteln müsste. Noch ahnen Lürsen & Co nicht, was ihnen da für ein Kuckucksei ins Nest gelegt wurde. So lassen sie sich weiter vorführen vom LKA und ermitteln „Inszenierungen“, ohne es zu merken.
Christian Jeltsch („Deckname Luna“) wirbelt in „Puppenspieler“ den Kripo-Alltag in der Hansestadt einmal mehr gehörig durcheinander. Zum einen, weil er ein beängstigendes Verschwörungsszenario ausbreitet, in das korrupte Politiker, Wirtschaftslobbyisten und Geheimdienste verstrickt sind und das keine traditionelle Ermittlungsarbeit mehr möglich macht. Zum anderen führt der renommierte Drehbuchautor ein neues Gesicht in die Reihe ein: Leo Ulfanoff, ein freundlicher Fels in der Brandung, an den sich eines Nachts seine Chefin überraschenderweise anlehnt. Ist also der Liebhaber von kürzlich schon wieder Geschichte? Die moralisch strenge Lürsen kommt nicht klar mit dessen „Der-Zweck-heiligt-die-Mittel“-Haltung im Fall der Weservertiefung. Jeltsch schickt das Hauptpersonal offensichtlich zur Generalüberholung: Stedefreund zum Lebenskrisen-Check, bei dem das in Gefahr schwebende Girlie, auch eine Suchende, hilfreich ist, und die sonst oft so verbiesterte Inga Lürsen mal eben – ganz nebenbei – zum One-Night-Stand. Da kommt der Neue gerade recht, ein Frauen-Versteher und Klima-Verbesserer allererster Güte, der vernünftig, fleißig und ganz schön verquer sein kann. „Mach ich Sie nervös – ich mein’ als Mann?“, fragt er Lürsen. Die beiden ermitteln erst wenige Stunden miteinander. Noch lächelt die Kommissarin nur.
Die Kombination aus Gesellschaftskritik und persönlichen Angelegenheiten, aus der Gefahr „da draußen“ und der Glückssuche des Einzelnen ist vortrefflich gelungen. Der Fall zeigt, wie sehr auch höchstrichterliche Entscheidungen im politischen Kontext stehen, welche Abhängigkeiten und Verstrickungen bestehen, wie ein System aus Vertuschung und Begünstigung zum persönlichen Machterhalt funktionieren kann. In Jeltschs Geschichte spinnen sich die Fäden der Intrige bis nach Berlin, ins Zentrum der Macht. Für den Autor ist es immer wieder „ein Ansporn, recherchierte und unbekannte Facetten einer wahren Geschichte in der Fiktion so aufzuarbeiten, dass sie den richtigen Leuten ein wenig wehtun“.
Sabine Postel zum Realitätsgehalt der Story:
„Zuletzt gab es in der Realität einige Fälle, in denen Geheimdienste nicht besonders vertrauenerweckend agierten, zum Beispiel bei den NSU-Morden oder in der Debatte um die kontaminierten Wattestäbchen. Dass der Orwellsche Gedanke sich mittlerweile verselbständigt hat, ist beklemmend und unheimlich.“
„Puppenspieler“ ist einer der stärksten Radio-Bremen-„Tatorte“ der letzten Jahre. Ein auf allen Ebenen dicht erzählter, atmosphärischer Krimi, dramaturgisch und visuell gleichermaßen zupackend. Moderner, edler Look, eine schnelle Montage mit einem wirkungsvollen Einsatz der Splitscreen-Technik fallen einem als erstes ins Auge. Doch Regisseur Florian Baxmeyer begnügt sich nicht mit cooler Oberflächen-Optik; auch den Protagonisten kommen er und sein Kameramann Marcus Kanter für Krimi-Verhältnisse ziemlich nah. Bei Jella Haases Girlie und Katja Danowskis LKA-Eisblock gibt es da rollenbedingt mehr zu entdecken als beim Richter-Ekel, das Christoph M. Ohrt zu spielen hat. Dieser „Tatort“ fordert die Wachsamkeit des Zuschauers. Gleich zu Beginn wird er konfrontiert mit einem scheinbar nicht endenden Nachrichtenfluss. Wer auf die Kommissare als Kommissare wartet, kann lange warten. In „Puppenspieler“ ist immer was los – aber Spannung, Thrill, Gefühl und Humor laufen stimmig zusammen und ergeben einen Film, der sehr viel entspannter dem Spiel der Mächte zuschaut als Jeltschs bisherige Bremer Verschwörungskrimis. (Text-Stand: 26.1.2013)