Schon mit den ersten Szenen vermittelt der Film ein Zeitgefühl für die frühen Achtziger: Eine junge Frau (Ute Christensen) lässt sich mit dem Taxi zum Freibad fahren. Weil sie ihr Bikini-Oberteil im Auto vergessen hat, legt sie sich kurzerhand oben ohne in die Sonne. Als der etwa gleichaltrige Taxifahrer (Hans-Georg Panczak) den Bikini entdeckt, macht er kurzerhand Feierabend und klappert auf der Liegewiese alle barbusigen Frauen ab, bis er die richtige entdeckt hat. Die beiden finden Gefallen aneinander, verabreden sich zum abendlichen Kinobesuch und verbringen anschließend die Nacht in seiner Wohnung. Für Fotomodell Natascha ist die Begegnung eine flüchtige Affäre, und deshalb verhält sie sich, wie es sonst stets die Männer tun: Sie möchte sich noch vor dem Frühstück aus dem Staub machen.
Der romantische Stefan aber will mehr, Nataschas Zurückweisung brüskiert ihn: Er gesteht ihr seine Liebe, sie lacht ihn aus; daraufhin schließt er die Wohnungstür ab und beginnt, sie zu beschimpfen. Als sie ihre Freundin Peggy (Hannelore Elsner) anruft und um Hilfe bittet, kommt es zu einer Mordszene, die bei der Erstausstrahlung des Films 1983 großes Aufsehen erregte: Wolfgang Becker (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, aber über vierzig Jahre jüngeren Regisseur von „Das Leben ist eine Baustelle“ und „Good Bye, Lenin“) inszeniert die Tat aus der Perspektive Peggys, die am Telefon mit anhören muss, wie Natascha brutal erschlagen wird; die Tat vollzieht sich im Kopf des Zuschauers. Die dumpfen Schläge und die Schreie des Opfers, das schließlich buchstäblich sein Leben aushaucht, klingen derart echt, dass damals besorgte Menschen beim Sender angerufen haben.
Foto: RBB / SWR
Die Rolle einer selbstbewussten jungen Frau, die sich nimmt, was sie will, war damals natürlich etwas Besonderes, aber sie passte zum Rahmen: „Peggy hat Angst“ war der dritte Auftritt von Karin Anselm als Mainzer Kriminalhauptkommissarin Karin Wiegand. Sie war zwar nicht die erste SWF-Ermittlerin im ARD-Sonntagskrimi (das war Nicole Heesters ab 1978 drei Folgen lang), aber Frauen im „Tatort“ waren nach wie vor gewöhnungsbedürftig und wurden von Zeugen oder Tatverdächtigen regelmäßig von oben herab behandelt (ein Klassiker: die Frage nach dem Chef). Auch wenn der Mörder im Zentrum der Geschichte steht: Ansonsten ist „Peggy hat Angst“ ein Frauenfilm. Peggy, ebenfalls Fotomodell, aber vor allem Kellnerin, ist der Polizei keine große Hilfe, denn sie hat keine Ahnung, von welchem Anschluss aus Natascha sie angerufen hat. Als sie kurz drauf anonyme Post mit Gedichtzeilen bekommt, ahnt sie, dass der Täter nun sie im Visier hat. Zur gleichen Zeit lernt sie einen jungen Mann kennen, in den sie sich bald verliebt. Er ist attraktiv, zuvorkommend, durch und durch Romantiker – und ein zweifacher Mörder, denn neben Natascha hat Stefan auch seine Vermieterin auf dem Gewissen; die alte Frau ist ihm auf die Schliche gekommen.
Becker hatte zwanzig Jahre als Schnittmeister gearbeitet, ehe er 1950 seine Regielaufbahn begann, in deren Verlauf er eine Vielzahl von Krimis inszeniert hat. Allein zehn Mal führte er bei einem „Tatort“ Regie; auf diesen folgten allerdings weitgehend nur noch Beiträge zu Serien wie „Derrick“ oder „Der Alte“; bei „Peggy hat Angst“ war Becker auf dem Höhepunkt seines Handwerks. Grimme-Preisträger Norbert Ehry (1986 für „Hautnah“) stand damals dagegen noch ganz am Anfang seiner Karriere. Schon die Erzählweise, die die Identität des Mörders von Anfang an preisgibt, war (trotz „Columbo“) ungewöhnlich. Die regelmäßigen Zitate aus den Baudelaire-Gedichten („Die Blumen des Bösen“), die Stefan liest und auch an Peggy schickt, geben dem Film ebenso eine besondere Note wie der sorgfältige Einsatz von Popmusik, etwa „I’m Not in Love“ von 10cc als Leitmotiv für Natascha. Eine dramaturgisch wichtige Rolle spielt auch „Why Can The Bodies Fly“, der einzige Hit der deutschen Gruppe Warning: Stefan hört den morbiden harten Rocksong, als er Natascha erschlägt. Entsprechend schockiert reagiert Peggy, als das selten gespielte Lied aus der Musikbox des Lokals erklingt, in dem sie arbeitet; instinktiv ahnt sie, dass einer der Gäste der Mörder sein muss.
Seine unveränderte Intensität verdankt „Peggy hat Angst“ auch der Bildgestaltung. Sehr hübsch sind die romantischen Schattenrissaufnahmen, als sich Natascha und Stefan nach dem Kinobesuch näherkommen; und nicht weniger aussagekräftig ist das Schlussbild, als Peggy zu den Klängen von Helen Schneiders melancholischem, aber ungemein passenden Song „When The Dream Is Over“ verlassen im Hinterhof hockt. (Text-Stand: 12.7.2016)