Dieser Murot-„Tatort“ hat das Zeug zur Versöhnung. Wem die Filme des Hessischen Rundfunks (HR) um den LKA-Ermittler bisher zu experimentell waren, der dürfte sich mit der moderat überhöhten Episode „Murot und das Gesetz des Karma“ anfreunden können. Hier drohen keine Zeitschleifen, und Murot begegnet weder seiner eigenen Film-Figur noch reist er in unwirkliche Western-, Horrorfilm- oder Edgar-Wallace-Kulissen. Auch konfrontiert der elfte HR-„Tatort“ mit Ulrich Tukur sein Publikum nicht mit philosophischen Zitaten und existenzialistischen Betrachtungen wie zuletzt in „Murot und das Prinzip Hoffnung“. Zugrunde liegt dem Drehbuch von Lars Hubrich („Tschick“) und Co-Autor und Regisseur Matthias X. Oberg („Zazy“) allerdings die buddhistische Vorstellung vom „Karma“. Demnach erzeugt – grob gesagt – jede Handlung eine Wirkung, die dem Wesen der Handlung entspricht. Ein Fehlverhalten erzeugt also schlechtes Karma, wird irgendwann, möglicherweise auch erst in einem späteren Leben, Ursache für Schmerz und Leid sein.
Foto: HR / Bettina Müller
Hubrich und Oberg übersetzen diese Weltsicht in einen geradlinigen und spannenden Kriminalfilm. Zwar darf man sich über skurrile Details und tragikomische Figuren wundern, aber auf religionsphilosophische Exegesen wird ebenso verzichtet wie auf ausgefallene dramaturgische Kunstgriffe. Murot verfällt auch keineswegs der Idee, wiedergeboren zu sein. Für den einzigen, zudem leicht erkennbaren Zeitsprung sorgt zu Beginn ein privater Super-8-Film, der eine junge und offenbar glückliche Frau in einem Griechenland-Urlaub zeigt. Es ist nicht schwer zu erraten, dass die körnigen Bilder auf Murots Vergangenheit und eine ehemalige Liebesbeziehung anspielen.
Murots schlechtes Karma offenbart sich Jahrzehnte später nach einem Vortrag vor Versicherungsmanagern zum Thema Cyberkriminalität. An der Hotelbar begegnet er einer jungen Frau (Anna Unterberger), die auf ihrem Smartphone Scrabble spielt. Man kommt ins Gespräch und geht gemeinsam essen, doch die Frau träufelt Murot K.o.-Tropfen in den Rotwein, begleitet den Taumelnden aufs Zimmer und lässt sein Portemonnaie mitgehen. Zuvor hatte sie, durch eine andere Perücke getarnt, bereits dem nervösen Martin Landrot (Dirk Martens) das Tablet gestohlen. Landrot wollte es gegen eine stattliche Summe eintauschen, stattdessen wird er in einem Hotelzimmer erwürgt. Der Täter namens Xavier (Thomas Schmauser) begegnet dem Publikum schon bald wieder, denn er ist die rechte Hand von Schöller (Philipp Hochmair), dem Chef von Delphi-Invest und „neuer Star am Dax-Himmel“. Hochmair darf mal wieder sein Talent für boshafte Typen einbringen. Meist ist er damit beschäftigt, seinen Handlager Xavier zu triezen und wie einen ungezogenen Jungen an den Ohren zu ziehen. Impro-Filmer Jan Georg Schütte hat noch einen Auftritt als Alt-Hippie, aber die schönsten der prägnanten Nebenfiguren sind Bernd (Sascha Nathan) und seine sprechende Handpuppe Babette, die auch einiges Geschick beim Waffenverkauf an den Tag legt.
Foto: HR / Bettina Müller
Die skurrilen Typen, der Dialogwitz und das tragikomische Scheitern des Mörders erinnern an den HR-„Tatort – Falscher Hase“, der ebenfalls aus Hubrichs Feder stammte. Thomas Schmauser spielt großartig das arme, devote Würstchen, das sich aus Angst und Ehrgeiz zum Äußersten treiben lässt. Und dabei auch jede Menge einstecken muss. Die „Tatort“-Episoden des HR sind häufig eine Verbeugung vor filmischen Genre-Klassikern. Szenen wie Xaviers eskalierender Hausbesuch bei dem riesigen Bodybuilder (Enno Kalisch) und seiner sportlichen Frau erinnern an Tarantinos Sinn fürs Groteske. „Murot und das Gesetz des Karma“ verweist aber vor allem auf Gangsterkomödien mit weiblichen Heldinnen. Die von Anna Unterberger so überzeugend cool gespielte Trickdiebin Eva macht gemeinsame Sache mit ihrer Lebensgefährtin Halina (Marlina Mitterhofer), wobei die Zitat-Mischung aus „Thelma & Louise“ und „Bonnie und Clyde“ nur schwach ausgeprägt ist.
Der Beutezug im Hotel eröffnet den beiden Frauen die Möglichkeit, Schöller mit den Informationen auf dem gestohlenen Laptop zu erpressen. Zugleich erkennt Eva auf dem alten Führerschein-„Lappen“ Murots den jungen Mann wieder, der im Urlaubs-Fotoalbum und dem Tagebuch seiner Mutter auftauchte. Die eigentliche Mord-Ermittlung wird derweil von Magda Wächter (Barbara Philipp), der wackeren Mitarbeiterin Murots, vorangetrieben. Die schickt den von den K.o.-Tropfen angeschlagenen Kommissar erst einmal zu ihrem Arzt. „Das ist ein Inder, der behandelt ganzheitlich.“ Dass schlechtes Karma durch den Eingriff in das Leben eines Anderen entstehe, wie der Arzt (Mohammad-Ali Behboudi) erläutert, gibt Murot zu denken. Der Kommissar ist hier mehr mit seiner persönlichen Vergangenheit als dem eigentlichen Fall beschäftigt. Und die wandlungsfähige Eva ist gewissermaßen der Kitt, der beide Handlungsstränge zusammenhält. Sie taucht wie aus dem Nichts mal hier, mal dort auf und nimmt es mit allen Männern gleichzeitig auf – eine starke weibliche Episoden-Hauptrolle in einem bis zuletzt kurzweiligen Film. (Text-Stand: 7.9.2022)