Kaum aus dem Urlaub – schon wartet die nächste Aufgabe für Cenk Batu. Das Hamburger LKA schleust ihren Undercover-Spezialisten in eine Organhändler-Bande ein. Eine Mini-Organisation, keine Hintermänner – und die Informationen sind für ihn als einfachen Fahrer dürftig. Es sind Kinder, die als Ersatzteillager dienen und mitten in Hamburg in einem mobilen OP in lebensbedrohliche Situationen geraten. Dann steckt Batu im Schlamassel: eine Fahrt mit der 14-jährigen Amelie steht an – eine Fahrt, die unter dem Messer enden wird. Glück im Unglück: Das Mädchen provoziert einen Unfall und kann fliehen. Für Cenk Batu heißt das Zeitgewinn. Zunächst wird er wegen seines Missgeschicks brutal in die Mangel genommen. Er muss Amelie finden und hat nur eine Chance: er muss sie den Organhändlern übergeben, darf sie aber nicht aus den Augen lassen, sie nicht verlieren: sonst ist sie verloren.
Foto: NDR / Georges Pauly
Auch der vierte „Tatort“ um den verdeckten Ermittler Cenk Batu ist dramaturgisch und genreästhetisch weit weg von den „Wo-waren-Sie-gestern-Abend“-Krimis. „Leben gegen Leben“ ist gebaut wie ein Thriller. „Das Drama besteht hauptsächlich in der Angst des Zuschauers, dass Batu auffliegen könnte“, so Autor-Regisseur Nils Willbrandt. Später sind es vor allem die Sorge um die kleine Amelie und die Beunruhigung, die den Undercover-Mann deswegen umtreibt – die den Zuschauer emotional an die Handlung binden. Doch bis dahin bleibt der Film seltsam fahrig und sprunghaft. Sicher, das gehört zum Konzept: der Zuschauer ist hautnah dran am Geschehen, weiß kaum mehr als die Protagonisten, bei denen zwar immer wieder das Gehirn rattert, die aber auch auf alles gefasst sein müssen. Nur seltsam, dass einen das alles weitgehend kalt lässt. Dieses im besten Falle fiebrige Anti-Hitchcock-Suspense-Konzept funktioniert erst dann, wenn man als Zuschauer die Geschichte verortet hat, wenn Batu einige Male gelächelt und Gefühle gezeigt hat oder nachdem er die Knarre am Kopf hatte und das stille Band der Zuneigung zwischen ihm und Amelie gespannt ist. Die letzten 30 Minuten fahren eine gute Ernte ein – obwohl Willbrandt nicht optimal ausgesät hat.
Foto: NDR / Georges Pauly
Die ersten 60 Minuten sehen wir vor allem verfilmte Drehbuch-Emotionen, die sich unzulänglich vermitteln. Das Konzept, der Mensch im Raum, das „Auf der Sonnenseite“ und zuletzt „Vergissmeinnicht“ auszeichnete, entspricht Mehmet Kurtulus und seinem zur Melancholie neigenden Protagonisten besser als der (durch die Montage) sehr viel bewegtere aktuelle Film. Kurz angeschnitten verkommt sein Gesicht zum Klischee: man sieht markante Männlichkeit, vielleicht sogar den türkischen Macho. Sein Charisma entwickelt dieser Schauspieler in langen Szenen, wie beispielsweise in den Bildern von Kameramann Martin Langer im ersten und im dritten Batu-„Tatort“, in denen man etwas von seiner besonderen Physis sieht, von seiner Wärme spürt. In sein Gesicht zu schauen ist 1000 Mal spannender, als mit ihm wie zu Beginn von „Leben gegen Leben“ durch die Szenen zu hetzen.
Überhaupt, der Beginn: der kündet von der rein formalen Lust am vermeintlich modernen Erzählen. Die Verschränkung der Zeitebenen ist eine Irritation ohne tieferen Sinn. Mittlerweile ist man schon fast wieder dankbar für klare Worte in einem deutschen Krimi. Wie Peter Jordans Kohnau die Grundlagen des Falls umschreibt – das ist gut, das ist knapp, jetzt könnte es eigentlich losgehen: mit den großen, ängstlichen Augen von Michelle Barthel. Doch bis dahin muss man sich noch fast eine Stunde gedulden. Mit Kino-Mitteln – sprich mehr Geld – hätte sich diese Geschichte atmosphärisch spannend erzählen lassen können. Im Fernsehen wirkt das Ganze irgendwie abgehackt. Es fehlt der Fluss – aber die Macher können sich loben: Menscheskinder, haben wir heute aber wieder modern erzählt! (Text-Stand: 27.2.2011)