Tatort – Kuscheltiere

Götz George, Feik, van Houweninge, Hajo Gies. Als Zeit(geist)dokument interessant

Foto: WDR
Foto Tilmann P. Gangloff

„Kuscheltiere“, erstmals im Winter 1982 ausgestrahlt, war der fünfte gemeinsame „Tatort“ des Duisburger Duos Schimanski und Thanner. Götz George und Eberhard Feik sind es auch, die diesen Krimi über die Suche nach den Hintermännern eines florierenden holländischen Kinderhandels sehenswert machen. Die Inszenierung durch Schimanski-Schöpfer Hajo Gies ist eher beschaulich und entspricht nicht mehr den heutigen Sehgewohnheiten. Dagegen fallen allerdings Sätze (aus Volkes Mund), die auch an Stammtischen 2016 Konjunktur haben.

„Kuscheltiere“ war der nächste Fall nach „Das Mädchen auf der Treppe“. Wie dort, so geht es auch diesmal um Rauschgift, aber davon ahnen Schimanski und Thanner noch nichts, als sie zu einem Kanal gerufen werden: Ein kleines asiatisches Mädchen ist im Wasser gefunden worden. Die Umstände lassen auf eine Bestattung schließen: Das Kind befand sich in einem Korb mit Spielsachen, Süßigkeiten und Blumen. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass es an Typhus gestorben ist, und weil eine Ausbreitung der Krankheit droht, sind die beiden Kommissare gleich mehrfach motiviert. Natürlich wollen sie wissen, wer ein Mädchen auf derartige Weise entsorgt, aber offenbar geht es auch um Menschenhandel: Wem die Bürokratie hierzulande einen Strich durch den Adoptionswunsch macht, kauft sich den Nachwuchs einfach in einem armen Land; möglicherweise sind noch weitere Kinder infiziert. Die Spur führt nach Amsterdam. Also machen sich Schimanski und Thanner auf den Weg und nehmen den holländischen Kollegen Hänschen als Dolmetscher mit. Die Vermittlungsagentur ist rasch gefunden, der Chef und seine Mitarbeiterin geben sich als Menschenfreunde, weigern sich aber, die Adressen ihrer deutschen Kunden zu verraten. Kurzerhand dringt Schimanski nachts in das Büro ein, wird dabei allerdings ertappt; ein Schuss fällt, die Polizei erscheint und findet es überhaupt nicht lustig, dass deutsche Kommissare in niederländische Häuser einbrechen.

Gemessen am Mythos Schimanski ist „Kuscheltiere“ ein vergleichsweise durchschnittlicher „Tatort“. Die Actionszenen halten sich im Rahmen, die Inszenierung durch den als Schimanski-Schöpfer geltenden Hajo Gies ist ruhig bis beschaulich; prompt wirkt eine Schlägerei völlig übertrieben und wie eine Reminiszenz an Georges Mitwirkung in diversen Karl-May-Filmen der Sechzigerjahre. Das Drehbuch stammt von Hänschen- Darsteller Chiem van Houweninge, der einige Skripts für den „Tatort“ aus Duisburg geschrieben hat. Seine Geschichten führen die Ermittler gern nach Holland und spielen oft mit den gegenseitigen Vorurteilen. Angesichts des ernsten Themas ist der Film ohnehin einige Male ungewöhnlich heiter, was zu einer nicht immer stimmigen Mischung aus süß/sauer führt. Einerseits echauffiert sich Thanner über deutsche Paare, die „was Gelbes oder Braunes adoptieren, passend zur Couchgarnitur“, andererseits gibt es viele Momente, die mit dem Fall nur am Rande zu tun haben: Mal ärgern sich die beiden Polizisten über ihren Chef, einen eitlen Fatzke (Christoph Hofrichter), der Kriminaloberrat Königsberg (Ulrich Matschoss) vertritt, mal macht Feik seiner Frau eine Szene, weil sie seiner Ansicht nach zu viel Zeit mit einem Kollegen verbringt; später wirft sie ihn raus, sodass er Schimanski um Asyl bitten muss. Das passt, denn das Duo George/Feik benimmt sich bereits wie ein Paar nach zwanzig Ehejahren. Dass Schimanski einschläft, als Thanner im Verlauf einer Autofahrt einen Vortrag über Auslandadoptionen hält, ist wiederum fast schon selbstironisch.

Es ist nicht nur die Mischung grundverschiedener Tonfälle, die den Krimi uneinheitlich erscheinen lässt. Die Szenen, die Schimanskis Verwurzelung im Milieu belegen sollen, wirken aus heutiger Sicht aufgesetzt. Andere sind schlicht zu lang geraten: Der Fall ist gelöst und das Trio längst wieder in Duisburg, aber der Film noch lange nicht zu Ende: Schimanski wird suspendiert, ermittelt aber selbstredend weiter, denn die Typhusfrage ist immer noch ungeklärt; die entsprechende Auflösung ist clever.

Sehenswert ist „Kuscheltiere“ vor allem wegen des Duos George und Feik, erst recht, da nun beide nicht mehr leben. Gerade die beiläufig gespielten kleinen Gesten sind sehr sympathisch: Thanner verhindert, dass Schimanski nach seiner Suspendierung mit einer Flasche Weinbrand in der Jackentasche bei einer Zeugin auftaucht; der revanchiert sich, indem er dem Kollegen einen Rest Rasierschaum aus dem Gesicht wischt. Interessant ist auch die stark vom damals angesagten elektronischen Schlagzeug dominierte Musik von Thilo von Westernhagen. Ganz kurz ist der ebenfalls bereits verstorbene Dieter Pfaff zu sehen: Er spielt einen zornigen Kneipengast, der Schimanski vorwirft, zu wenig gegen die drohende Typhusepidemie zu tun; es war eine seiner ersten TV-Rollen überhaupt. In der gleichen Szene schimpft ein anderer, man solle die „Kanaken“ alle ausweisen, weil sie „Krankheiten einschleppen“. Es fallen einige Sätze dieser Art; in diesen Momenten klingt „Kuscheltiere“ erschreckend aktuell. Später gibt es noch mal so eine Szene: Ein Mann ruft bei der Kripo an und denunziert seine Nachbarn, die ein „Kanakenkind adoptiert“ hätten. Offenbar sagt er noch mehr, denn Thanner wird richtig sauer, imitiert bei der Nacherzählung den Sprachduktus von Adolf Hitler und fragt sich und die Kollegen: „Wo leben wir eigentlich?“ Auch wenn es vor allem die kritischen Berichte des Politmagazins „Monitor“ waren, die dem WDR damals bei CDU und CSU das Prädikat „Rotfunk“ eingebracht haben, so fügt sich Thanners Empörung gut ins Gesamtbild. Die kleine Rache der Kommissare: Sie verpassen dem Anrufer ein Protokoll wegen falschen Parkens.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

WDR

Mit Götz George, Eberhard Feik, Chiem van Houweninge, Ulrich Matschoss, Christoph Hofrichter, Geert de Jong, Nate Seids, Renate Becker, Dieter Pfaff

Kamera: Axel Block

Szenenbild: Dieter Reinecke

Schnitt: Felicitas Lainer

Musik: Thilo von Westernhagen

Produktionsfirma: Bavaria Atelier

Drehbuch: Chiem van Houweninge

Regie: Hajo Gies

EA: 12.12.1982 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach