Bring mir das Herz von Nick Tschiller
„Es müsste schon vorbei sein; er müsste schon tot sein.“ Clan-Boss Firat Astan sitzt zwar im Knast, ist dennoch tief zufrieden, beseelt von einem wohligen Rachegefühl. Der Mann, der drei seiner Leute getötet und seinen Bruder zum Krüppel geschossen hat, müsste in diesem Augenblick in die Luft fliegen. Doch LKA-Mann Nick Tschiller hat Glück: die Autobombe erwischt ihn nicht. Als sein Kampf gegen die Hamburger Unterwelt zunächst seiner Ex und seiner Tochter und dann auch noch Staatsanwältin Hanna Lennerz, mit der der streitbare Polizist eine Affäre hat, beinahe das Leben kosten, sieht Tschiller rot. Kollege Gümer muss ihn bremsen. Alleingänge sind zu gefährlich. Denn der Astan-Clan hat ein Kopfgeld auf den unliebsamen LKA-Mann ausgesetzt: 50.000 € für dessen herausgeschnittenes Herz.
Der Action-Heiland kommt mit Tempo & ohne Verstand
Leichen pflastern den Weg von Til Schweiger in seinem zweiten „Tatort“-Einsatz. „Du machst genau da weiter, wo du aufgehört hast“, wirft dem Helden seine Ex vor. Recht hat sie. Markige Macho-Recken blasen zu urbanen Rachefeldzügen, Prophezeiungen und Provokationen heizen die Aktionen an, Versager und Verräter bevölkern die Szenerie – so einfach ist das Spiel. Der Titel „Kopfgeld“ erinnert nicht umsonst an das ultimative Männer-Genre. Eine Art Action-Heiland ist der Gute, abgrundtief böse sind die Bösen – und die Dialoge sind entsprechend: „Um dein Leben zu betteln ist zwecklos – denn: du bist schon tot.“ Aber es gibt auch andere in diesem Dauerlauf auf Leben und Tod, die moralisch nicht eindeutig zu verorten sind. Das kennt man vom Thriller, seit Jahrzehnten. Der Rest ist viel Action-Krabumm. Story & Plot stecken irgendwo in den Achtzigern fest, das Gewaltpotenzial und das Tempo dagegen sind zeitgemäß (was nicht unbedingt ein Kompliment ist).
Und mehr und mehr und mehr…
Ob der ARD-„Tatort“ so ein knallendes Effektmaschinchen braucht? (Vielleicht ist das die falsche Frage: es gibt so Vieles im Fiktion-TV, das die Welt nicht braucht.) Einen handwerklich gut gemachten Action-Krimi könnte unser Fernsehen sehr wohl vertragen. Diesen Film aber braucht man definitiv nicht. Dramaturgisch ist „Kopfgeld“ viel zu kurzatmig. Stimmungsvoll sind allenfalls einige Einzelbilder (das überrascht bei einem Regisseur wie Christian Alvart!), der Film besitzt weder Rhythmus noch Stil; eine klare Strukturierung ist nicht erkennbar. Geschichte wie Film setzen allein auf das Kumulationsprinzip: Leichen, Action, Bedrohung. Es fehlt an Akzentuierung, an weitsichtigen Entspannungsmomenten, ja es fehlt das Unterscheidbare – das wird bereits auf der wahrnehmungspsychologischen Ebene zum Problem. Was bleibt dem Action-unerfahrenen Zuschauer nach den 90 Minuten in Erinnerung? Dunkelheit, Geballere, Blutbäder, Pokerface Til Schweiger, Kampfhandlungen zwischen Männern mit Migrationshintergrund, viel Bewegung… Action ist Bewegung – im Bild, der Kamera, zwischen den Bildern. Das hat was, wenn es denn auch bewegt.
Motion ohne Emotion, Wut-Bulle ohne Psychologie
Aber dieser zweite Schweiger-„Tatort“ um Wut-Bulle Nick Tschiller ist alles andere als bewegend. Jede Minute kann alles passieren. Kein Spannungsmoment vor einer Action-Szene wird ausgespielt; stattdessen setzt Autor Christoph Darnstädt auf die immergleichen Überraschungseffekte. Er und Alvart hoffen offenbar Spannung zu „generieren“, wie es heute so schön heißt, indem man zwei brenzlige Situationen einfach gegeneinander schneidet (wie im Showdown von „Kopfgeld“). Das mag theoretisch richtig sein. In diesem Film aber wird die Spannung allenfalls (handwerklich) behauptet, sie stellt sich aber nicht ein. Oder Ist das vielleicht nur eine subjektive Wahrnehmung? Finden Action-Schweiger-Fans solche Szenen wirklich spannend oder einfach nur „geil“? Kann es in Action-Krimis per se keine klassische Identifikation im Sinne von Mitgefühl und Empathie geben? Oder liegt es nur an der dürftigen „Psychologie“ von Tschiller & Co? (Wenn wenigstens etwas Ironie im tödlichen Spiel wäre).
Wo ein Menschenleben nichts wert ist
Das Handwerklich-Ästhetische ist nur das eine. Mit der Frage nach dem Weltbild ließe sich ein zweites Fass aufmachen. Denn muss das Genre so abgrundtief naiv und erschreckend schlicht sein? Muss die zynische Grundhaltung, die die Story transportiert (Menschenleben sind nichts wert) und von der auch der messianische Racheengel nicht ablenken kann, unbedingt als Genre-Konvention in einem „Tatort“ etabliert werden? Gibt es 2014 nicht zeitgemäßere Genremuster? Viele Fragen – vielleicht gibt Tschillers dritter Fall Antworten!